DFB-Frauen-Sieg gegen Frankreich:"Was ist mit Dzseni, die liegt da hinten?"

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Riesenjubel: Die deutschen Frauen siegen im Elfmeterschießen. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Die deutschen Fußballfrauen liefern sich mit Frankreich das beste Spiel der WM.
  • Sie gewinnen im Elfmeterschießen, Torfrau Nadine Angerer hält den letzten Schuss.
  • Bundestrainerin Silvia Neid bewahrt Ruhe und nominiert die verletzt am Boden liegende Dzsenifer Marozsan, die auch trifft.
  • Hier geht's zu allen Ergebnissen der Frauen-WM und zur Liveticker-Nachlese des deutschen Viertelfinales.

Von Jürgen Schmieder

Es war ein faszinierender, ein elektrischer, ein fulminanter Spurt - und erfahrene Beobachter waren sich sicher, dass nur Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt jemals schneller über einen Fußballplatz gelaufen ist. Silvia Neid spurtete über den Rasen im Stadion von Montreal, sie strahlte, ganz offenbar suchte sie jemanden zum Knuddeln. Nadine Angerer bot sich an, die Torfrau hatte gerade den letzten Elfmeter der Französinnen gehalten und die deutsche Nationalelf damit ins Halbfinale dieser WM gebracht. Oder Celia Sasic, die wenige Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit die Nerven bewahrt und per Strafstoß zum 1:1 ausgeglichen hatte. Oder Almuth Schult. Die hatte zwar nicht gespielt, aber egal.

Natürlich laufen Menschen lachend über das Spielfeld, wenn sie gerade das Viertelfinale einer Weltmeisterschaft gewonnen haben - Menschen laufen auch bei weit geringeren Anlässen lachend über das Spielfeld. Dieser Lauf der Silvia Neid, er ist dennoch interessant für den, der die Bundestrainerin in den 120 Minuten zuvor beobachtet hat; vor allem, wenn sie von vorne zu sehen war.

Hinter ihr fieberten die Ersatzspielerinnen mit, sie schlugen die Hände über den Köpfen zusammen, sie brüllten und zeterten und mussten von den Offiziellen bisweilen zur Ruhe ermahnt werden. Am vorderen Rand der Trainerzone stand Silvia Neid. Es stand 0:0. Es stand 0:1. Es stand 1:1. Neid brüllte nicht, sie gestikulierte nicht. Sie stand einfach nur da, oftmals mehrere Minuten ohne größere Regung und ohne Veränderung des Gesichtsausdrucks.

Pokerface wird das in der Sprache der Kartenspieler genannt, weil so keine Gefühle zu erkennen sein sollen. Diese beinahe stoischen 120 Minuten, verbunden mit diesem explosiven Spurt danach, er lässt Rückschlüsse zu, wie Neid dieses hochklassige Viertelfinale gegen Frankreich erlebt haben muss.

"Das war, soweit ich mich erinnern kann, das intensivste Spiel", sagte Neid nach der Partie: "Auf einer Skala von eins bis zehn würde ich sagen: zehn - sehr intensiv!" Deutschland und Frankreich bespielten sich nicht nur an diesem Nachmittag, sie bekämpften sich auch bei der bislang besten Partie dieses Turniers. "Frankreich war uns überlegen in der ersten Halbzeit", sagte Neid: "Aber wir haben uns in dieses Spiel gekämpft. Ich finde, dass die Mannschaft großen Charakter gezeigt hat."

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Vielleicht muss man den Nachmittag der Silvia Neid in einem größeren Zusammenhang sehen. Sie war als Spielerin, Assistentin und Trainerin an allen zehn Titeln der Nationalelf beteiligt. Diese Erfolge kreieren Erwartungen, sie sorgen für Druck und Stress wie etwa bei der WM vor vier Jahren, als die deutsche Elf im Viertelfinale mit 0:1 gegen Japan verloren hatte. Auch bei diesem Viertelfinale lagen die deutschen Frauen mit 0:1 zurück, doch Neid wirkte nicht aufgeregt oder gar panisch. Sie wirkte, ja wirklich, gelassen.

"Ich genieße jeden Tag", hatte sie vor dem Spiel gesagt: "Klar ist so ein Turnier auch Stress. Aber es ist wirklich so, dass ich das alles viel mehr genieße, und zwar jeden Tag. Ich spüre hier überhaupt keinen Druck, nur Freude, dass ich mit so tollen Spielerinnen arbeiten darf." Neid wirkt in diesen Tagen in Kanada, das sagen auch Mitarbeiter und Spielerinnen, überaus ruhig. "Sie hat aus den Erfahrungen der letzten Jahre gelernt", sagt Assistentin Ulrike Ballweg: "Sie ist viel entspannter und umgänglicher geworden."

Diese Gelassenheit zeigte sich auch bei der Wahl der Elfmeter-Schützinnen: "Ich habe die Spielerinnen gefragt, wer schießen will. Einige haben sich gemeldet, manche haben zu Boden geschaut. Wir hatten dann vier, eine hat also noch gefehlt, und Dzseni (Anm. d. Red: Marozsan) lag noch am Strafraum. Da meinte ich: Was ist mit Dzseni, die liegt da hinten? Lena Goeßling ist dann zu ihr und hat sie gefragt. Sie hat ja gesagt." So einfach geht das.

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Marozsan war am Schluss der Verlängerung auf dem Kunstrasen umgeknickt, ausgerechnet mit ihrem ohnehin angeschlagen linken Fuß. Wegen einer Bänderverletzung hatte sie bereits das erste WM-Spiel verpasst, nun lag sie auf dem Platikrasen, während der Rest sich auf das Elfmeterschießen vorbereitete. Aber so ein Strafstoß, der ging noch. "Ich habe keine Angst vorm Elfmeter", sagte Marozsan später.

Direkt nach der Auswahl ging Neid lachend zu Nadine Angerer, klopfte ihr auf die Schulter und schickte sie grinsend ins Tor - als würde sie bereits ahnen, dass Angerer mindestens einen Schuss der Französinnen würde abwehren können. "Das Spiel war sehr intensiv", sagte Angerer danach: "Ich brauche jetzt einen Tag, um die Erlebnisse sacken zu lassen."

Die deutsche Elf hat die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro geschafft, das letzte Turnier von Silvia Neid als Trainerin, ehe sie an Steffi Jones übergeben und die Scoutingabteilung des DFB leiten wird. Sie hat das Halbfinale erreicht gegen eine bärenstarke französische Elf (Neid: "Wenn man ein Spiel, das derart auf der Kippe steht, gewinnt, dann ist das natürlich gut fürs Selbstvertrauen.") und trifft dort am kommenden Dienstag auf bärenstarke Amerikanerinnen, die bei diesem Turnier erst ein Gegentor hinnehmen mussten.

"Der dritte Stern ist für mich ein Traum", sagt Neid. Sie hat erkannt, dass zu einem erfolgreichen Turnier eine akribische Vorbereitung und harte Arbeit gehören, wohl aber auch Gelassenheit währenddessen. Sie wird am Dienstag, Ortszeit Montréal (Mittwoch, 1 Uhr MESZ) wieder lange Zeit regungslos an der Seitenlinie stehen, während die Spielerinnen vor ihr auf dem Spielfeld und hinter ihr auf der Ersatzbank herumtoben. Es kann als Ruhe einer erfahrenen Trainerin interpretiert werden. Vielleicht ist es aber auch die Vorbereitung auf den Spurt danach - es gibt da noch den Rekord von Müller-Wohlfahrt zu brechen.

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