DFB-Erfolg beim Confed Cup:Jenseits vom Niederrhein

DFB-Erfolg beim Confed Cup: Ging keinem Zweikampf mit den Chilenen aus dem Weg: Lars Stindl zwischen Arturo Vidal (links) and Charles Aranguiz.

Ging keinem Zweikampf mit den Chilenen aus dem Weg: Lars Stindl zwischen Arturo Vidal (links) and Charles Aranguiz.

(Foto: Roman Kruchinin/AFP)

Die Zwangsreise nach Russland erweist sich sich dank Spielern wie Lars Stindl als glückliche Fügung des Schicksals, von der wohl nicht nur Bundestrainer Löw profitiert.

Von Philipp Selldorf, Kasan

Mittlerweile ist es gute Gewohnheit geworden, dass Max Kruse, 29, in Las Vegas am Pokertisch Platz nimmt, während sich seine Fußballer-Kollegen bei Welt- und Europameisterschaften oder, wie zurzeit, Mini-Mini-Mini-WMs verausgaben. Beim Triumph von Rio de Janeiro 2014 konnte somit auch Kruse jubeln, obwohl ihn der Bundestrainer nicht in den Kader genommen hatte: Er gewann im Laufe eines Pokerturniers 26 800 Dollar. Zwei Jahre später durfte Kruse wieder zufrieden sein: Deutschland schied zwar in Paris gegen Frankreich aus, doch er räumte im Casino 7236 Dollar ab. Und nun wird aus Arizona berichtet, dass Werder Bremens illustrer Angreifer abermals gewonnen habe, wenngleich bloß etwas Taschengeld: 2568 Dollar nahm er diesmal mit.

Max Kruse gehörte zu den herausragenden Erscheinungen der Bundesliga-Rückrunde, Joachim Löw hätte vom Publikum Beifall bekommen, wenn er ihn ins Team für den Confed Cup in Russland berufen hätte. Aber dann fiel dem Coach doch noch ein Argument ein, wie er auf den Stürmer verzichten konnte, den er bereits zweimal mit spitzen Fingern aus seinen Aufgeboten entfernt hatte (2014 und 2016). Kruse habe prima Leistungen gebracht und sich sehr empfohlen, schmeichelte Löw. Aber er kenne ihn ja bereits.

Dass Löw von der Nominierung absieht, weil er über den Kandidaten schon Bescheid weiß, das ist auf tückische Art eine doppeldeutige Begründung. Womöglich würde man darüber nun in Deutschland diskutieren, wenn sich nicht am Donnerstagabend beim 1:1 der Nationalelf gegen Chile in Kasan ein Artverwandter des listigen Werder-Stürmers den mehr als acht Millionen Zuschauern bei der Live-Übertragung vorgestellt hätte. Lars Stindl hat gegen den Südamerikameister nicht nur das vierte Länderspiel in seiner Karriere bestritten - sondern bereits das vierte Länderspiel binnen zwei Wochen. Damit war nicht zu rechnen, als der wild gemischte DFB-Haufen kurz vor dem Turnierstart zusammenfand. Stindl war froh, dass ihn der Bundestrainer trotz seines greisenhaft hohen Alters von 28 Jahren überhaupt zu sich gebeten hatte.

Nun regt sich Wettkampfgeist - gegen Kamerun soll Platz eins in der Gruppe gesichert werden

Als Lars Stindl jetzt nach der Partie in Kasan vor den Reportern Halt machte, stand da ein recht schmächtiger, allenfalls durchschnittlich großer und sehr diskret auftretender Mann, der sich deutlich von jenem draufgängerischen Stindl unterschied, der eben so extrem ausdauernd über den Platz gelaufen und keinem Zweikampf mit keinem noch so ruppigen Chilenen aus dem Weg gegangen war - sowie obendrein das Tor zum Ausgleich geschossen hatte. Es war unvermeidlich, dass ihm für seinen Auftritt nun überall Komplimente gemacht wurden. Einer lobte ihn besonders. "Ein sehr raffinierter Spieler mit unglaublicher Spielintelligenz und guter Orientierung im Raum", schwärmte Joachim Löw und war mit dem Schwärmen noch lange nicht fertig: "Er ist schon ruhig, aber auch selbstsicher. Er ist eine Persönlichkeit, er zeigt keine Ansätze von Nervosität." Der Geehrte, von der Natur nicht mit dem Porschefahrer-Gen ausgestattet, stellte derweil trocken fest, er könne "nicht meckern momentan".

Die aufgezwungene Reise nach Russland entwickelt sich dank Spielern wie Stindl zu einer Güte des Schicksals, von der nun alle profitieren: Die Fußballfreunde daheim, die mitten in der Sommerpause eine packende Partie wie jene gegen Chile zu sehen bekommen; der Bundestrainer, der in seinem Aushilfskader spannende Entdeckungen macht; die Spieler im Turnier-Aufgebot, die das Gefühl bekommen, zu größeren Taten fähig zu sein, als sie sich bisher zutrauten. Gegen Chile war es ja zunächst nicht so gut gelaufen: Das frühe 0:1 (6. Minute), ausgehend vom Fehler des Abwehrchefs Shkodran Mustafi, traf die Deutschen nicht nur in ihrer Findungsphase, sondern unterstützte auch den strategischen Plan der Chilenen. "Sie wollten uns überrennen", wusste Leon Goretzka hinterher, weshalb der Fehlstart "extrem suboptimal" gewesen sei - "um es mal vorsichtig zu formulieren". Doch statt der Tendenz zum Kollaps nachzugeben, fand sich das Team nach 20, 30 Minuten zu einer erwachsenen Leistung zusammen, und Löw gewährte ihnen dafür die volle Spieldauer. Auf Aus- oder Einwechslungen verzichtete er ausdrücklich. Er wollte "eine gewisse Widerstandsfähigkeit und Härte" sehen, und es gab keine Enttäuschung. Allenthalben wurde das 1:1 gegen Chile als stolzes Resultat gewertet, und nun regt sich auch der Wettkampfgeist bei Löw, der bisher so tat, als diene das Turnier ausschließlich gutachterlichen Zwecken. "Es wäre für uns schon erstrebenswert, diese Gruppe zu gewinnen", sagte er in Erwartung der Partie gegen Kamerun am Sonntag in Sotschi. Heißt: Löw will mit seiner Mannschaft Gruppenerster werden, um das Halbfinale ebenfalls in Sotschi zu spielen und somit eine Reise weniger machen zu müssen. Weil man dadurch Kraft fürs Finale sparen könnte.

Im Mediendiskurs und in 100 000 deutschen Expertenkreisen werden jetzt wohl Berechnungen angestellt, welcher Spieler im Confed-Cup-Kader und warum und zu welchem Prozentsatz seine Chance auf ein Wiedersehen bei der WM in Russland genutzt habe. Die Umfragewerte für Lars Stindl werden erheblich steigen, in persönlicher und sportlicher Hinsicht passt sein Stil zu Löws Nationalteam. Die Rolle der mobilen falschen Neun, die beim DFB-Team bisher Mario Götze besetzt hielt, übt Stindl auf seine Weise in Mönchengladbach aus. Seine unaufdringliche, aber immer konkrete Torgefährlichkeit ist offenbar nicht an den Niederrhein gebunden, sondern bis ins deutsche Eliteteam exportfähig. Thomas Müller und Lars Stindl? Keine abwegige Vorstellung. Für Max Kruse heißt das womöglich, dass er schon mal das Startgeld fürs nächste Pokerturnier in Las Vegas bereitlegen sollte.

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