Deutsches WM-Quartier:Das Grummeln von Watutinki

  • Joachim Löw vergleicht die DFB-Unterkunft im Südwesten von Moskau mit einer "Sportschule".
  • Auch die Spieler sind von dem Quartier in Watutinki noch nicht restlos überzeugt.
  • Doch auch im "Campo Bahia" beim Titelgewinn 2014 in Brasilien funktionierte zu Beginn auch nicht alles.

Von Philipp Selldorf, Watutinki

Der Küchenchef, so berichten Augenzeugen, bekam einen hochroten Kopf, er ballte die Hände zu Fäusten, stand auf und verließ augenblicklich den Saal. Soeben hatte der wichtigste Gourmetkritiker des Landes seine Kreation in aller Öffentlichkeit vernichtet, denn die Komposition der Aromen und Texturen hatte Jogi Löw nicht zugesagt. Und auf diesen Affront war der im Zuschauersaal sitzende Maestro nicht vorbereitet. Kein Wort hatte ihm der Bundestrainer nach der ersten Probierstunde verraten.

Okay, in Wahrheit bemängelte Löw am Mittwoch nicht die strukturalistische Beschaffenheit des Mittagessens, doch er hat sich schon sehr wie der König der Gastronomiekritik angehört, als er auf der Pressekonferenz über den Zustand des Trainingsrasens sprach. Dieser sei zwar "sehr, sehr dicht" und schon auch "gut" gewesen - "aber ein paar Millimeter zu hoch" und somit nahezu "stumpf".

Der "Rasenpapst" wendet die Krise ab

Für Rainer Ernst, den verantwortlichen Greenkeeper des DFB-Teams, der 2014 im brasilianischen Sumpfland ein Meisterwerk von Trainingsrasen für die Insassen des "Campo Bahia" kreiert hatte, klang dieses Urteil wie ein Verriss. Dabei hatte er noch während des Trainings dem Reporter der Frankfurter Rundschau versichert, der Rasen im Sportkomplex von Watutinki sei nicht top - er sei "top top top". Nach der ersten Übungseinheit hatte ihm keiner der Beteiligten etwas anderes mitgeteilt - bis Löw plötzlich vor all den Leuten Missfallen äußerte. "Das werden wir korrigieren", beschied der Bundestrainer.

Beim Training am Donnerstag betrat Löw um kurz nach elf mit Kennermiene den Arbeitsplatz. Er jonglierte ein paar Bälle, spielte ein paar Flachpässe, prüfte und fühlte - und war zufrieden. Ernst, genannt "der Rasenpapst", hatte seine Gärtner angewiesen, die Schnitthöhe um weitere zwei, drei Millimeter zu kürzen. Die Rasen-Krise war abgewendet.

Nicht nur der Rasenpapst hatte Anlass zum Erschrecken gehabt, als Löw seine ersten Einschätzungen über die Verhältnisse im Sportzentrum Watutinki abgab, das in den nächsten Wochen die Heimat der Nationalelf sein wird. Auch andere Mitglieder der DFB-Delegation zuckten nervös, als er die Unterkunft im Südwesten von Moskau mit einer "Sportschule" verglich, wobei es der Fantasie der Zuhörer überlassen blieb, wie sie das zu werten hatten. Meinte er das mythische Malente, Inbegriff eines spartanischen Ertüchtigungsinstituts, oder Stätten wie Kamen-Kaiserau, das keine gewöhnliche Sportschule mehr ist, sondern ein komfortables "Sport-Centrum"?

Grundsätzlich, meinte Toni Kroos am Donnerstag, sei der Begriff ja nicht schlecht gewählt. "Sportschule ist doch super, wir sind ja hier, um Sport zu machen." Das Quartier sei "absolut okay", erklärte Kroos, aber man braucht diesen Gütebefund nicht mit einem Kompliment zu verwechseln - der Satz war noch nicht zu Ende gesprochen. So sei "die Vorfreude auf einen möglichen Urlaub vielleicht noch größer, wenn man sich das Hotel wieder selbst aussuchen kann", fügte Kroos hinzu.

Eine Dringlichkeitssitzung findet statt

Ausgesucht hat Löw das Hauptquartier in der früheren Garnisonsstadt definitiv nicht. Dies dürfe man ja nicht vergessen, raunte am Donnerstag ein Mitbewohner in Watutinki: "Der eine wollte dorthin, der andere hierhin!" Der eine, Löw, wollte wieder nach Sotschi ans Schwarze Meer, wo es ihm während des Confed Cups im vorigen Sommer gut gefallen hatte. Der andere, Teammanager Oliver Bierhoff, erklärte die ehemalige Garnisonsstadt Watutinki zur "alternativlosen" Lösung, weil in Sotschi angeblich nicht genug Platz für Deutschland war, und weil sich die Fifa nicht bereitfand, dem Weltmeister Sonderwünsche zu genehmigen. Außerdem spare das Wohnen in Moskau unnötige Flugmeilen. Allerdings heißt es auch, dass der DFB die Chance verpasst hätte, das Lager in Sotschi aufzuschlagen. Während des Trainingslagers in Eppan entschlüpfte dem Bundestrainer ein bezeichnender Satz: "Wir müssen das Beste draus machen."

Erfahrungsgemäß werde es ein paar Tage dauern, bis man sich richtig eingewöhnt habe, stellte Löw nach dem ersten Kennenlernen durchaus reserviert fest. Damit es nicht zu lang dauert, fand am Mittwochabend, so wird erzählt, eine Art Dringlichkeitssitzung mit Löw, Bierhoff und Missionschef Georg Behlau statt. Es soll Beschwerden über den Service gegeben haben, schon am nächsten Tag wurden neue Kräfte geworben.

Toni Kroos meint, in Sachen Hotel gebe es "nichts zu meckern", das Ambiente werde "nie im Leben eine Ausrede sein", und die Probleme beim Einleben seien doch nicht mehr als Problemchen. Thomas Schneider, der Assistenz-Trainer, vermisste zum Beispiel das Wasser in seinem Badezimmer, was Kroos aber nicht störte - "ich hatte". Andere berichten von unerwünschten Teppichböden in den Schlafräumen und einem Anflug von "sowjetischem Charme", der eilends noch ein wenig aufpoliert worden sei. Immerhin mit nagelneuen Boxspringbetten.

Auch in Brasilien hatte vor vier Jahren nach dem Einzug nicht alles funktioniert. Der Trainingsrasen war zwar sauber geschoren, doch Duschen versagten den Dienst, die Technik streikte, es regnete in die Bungalows hinein. Trotzdem entfaltete das "Campo Bahia" ziemlich schnell die inspirierende Wirkung auf die Mannschaft, die sich dessen geistiger Schöpfer Bierhoff erhofft hatte. Zur romantischen Legende von Watutinki fehlt im Moment noch die Fantasie.

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