DFB-Elf:Löws zweite Reihe begehrt auf

Aus dem Stadion von Martin Schneider

In der 74. Minute versuchte Sebastian Rudy Gianluigi Buffon auszudribbeln und das war in mehrerer Hinsicht eine bemerkenswerte Szene. Zum einen, weil Buffon großer internationaler Fußball ist, Weltmeister, Europapokalsieger, Welttorhüter. Rudy ist kleiner nationaler Fußball, er spielt in Hoffenheim, das den Großteil der Saison auf dem vorletzten Tabellenplatz stand. Zumal ist Rudy dort zentraler Mittelfeldspieler, da dribbelt man im Tagesgeschäft nicht so oft. Aber es war eben in dieser Situation so, dass Toni Kroos einen seiner langen Pässe gespielt hatte, der Rudy alleine auf Buffon zulaufen ließ. Mit einer erstaunlich leichtfüßigen Bewegung ließ der Hoffenheimer den Ball vom linken Fuß auf den rechten Fuß wandern, Buffon grätschte, Strafstoß. Mesut Özil verwandelte zum 3:0.

Vielleicht ist Sebastian Rudy sowas wie der heimlichste Gewinner dieser beiden Freundschaftsspiele der deutschen Nationalmannschaft gegen England und Italien. Rudy gehört ja zu der sogenannten "zweiten Reihe", also jene Spieler, die man nicht spontan in die erste Elf werfen würde, wie diese Müllers oder Neuers. Diese zweite Reihe, das sind Spieler, die "Druck machen sollen", die für "Konkurrenz sorgen" sollen und die zeigen sollen, "dass sie in den Kader drängen", wie es der Bundestrainer das bei verschiedenen Terminen immer wieder formuliert. Beim 2:3 gegen England in Berlin drängte aber keiner, da waren die besten Spieler auf dem Platz Mats Hummels, Toni Kroos und Mario Gomez - und die fahren nur dann nicht mit zur EM, wenn sie sich verletzen, spontan den Job wechseln oder den Bundestrainer öffentlich beleidigen.

Wenn man nun nach den beiden Länderspielen diese "zweite Reihe" mal durchgeht, dann landet man neben Rudy auch bei Jonas Hector. In jeder Mannschaft und in jeder taktischen Formation muss man ja mit zwei Außenverteidigern spielen und seit Jahren - und seit dem Rücktritt von Philipp Lahm besonders - ist es so, dass Deutschland auf dieser Position keine richtige Auswahl hat. Mit Marcel Schmelzer, Erik Durm und dem gegen Italien eingewechselten Matthias Ginter hätte Löw zwar noch drei Dortmunder Optionen, die er aber augenscheinlich für weniger gut hält.

Löw entschied sich nach dem Spiel jedenfalls, seine beiden aktuellen Außenverteidiger explizit zu loben. Man müsse sagen, dass "Jonas Hector und Sebastian Rudy schon auch ihre Sache diszipliniert gemacht haben". Sie seien "laufstark" und "spielstark" gewesen sagte der Bundestrainer zweimal, im Fernsehen und in der Pressekonferenz, obwohl ihn gar keiner nach den beiden gefragt hatte.

Er wollte also eine Botschaft unters Volk bringen. Was er freilich nicht sagte: Emre Can hat das gegen wenig motivierte Italiener nicht so gut gemacht. Der junge Liverpooler hatte gegen sehr viel engagiertere Engländer sogar unübersehbare Probleme auf der für ihn ungewohnten Position. Im Verein spielt er im zentralen Mittelfeld, er ist eher ein wuchtiger Spielertyp und die Umstellung fällt ihm nicht so leicht wie Rudy.

Auch Mario Götze gehört zur zweiten Reihe

Deutschland - Italien

War von der Darbietung gegen Italien angetan: Bundestrainer Joachim Löw

(Foto: dpa)

Ob man Jonas Hector, der gegen Italien auch noch sein erstes Länderspieltor erzielte, überhaupt noch zur zweiten Reihe zählen darf, ist bereits diskussionswürdig. Kein Deutscher hatte im Jahr 2015 mehr Länderspielminuten gesammelt als der Spieler des 1. FC Köln. Die einzige Gefahr für Hector: Löw baut die Abwehr nochmal komplett um und spielt - wie in Brasilien - mit vier gelernten Innenverteidigern (auch bekannt als "Ochsenabwehr").

Eindeutiger zur zweiten Reihe als Jonas Hector gehört tatsächlich Mario Götze. Wenn die deutsche Offensivreihe aus Müller, Gomez, Özil und Marco Reus, je nach Taktik vielleicht auch noch Kroos und Ilkay Gündogan, vollständig ist, dann hat er da keineswegs einen Stammplatz sicher. Gegen Italien machte er seine Sache auch neben dem Tor sehr gut, ging viele Wege ohne Ball. Nach dem Spiel stand er in der Interviewzone und keinem Spieler wurden so viele Mikrofone und Aufnahmegeräte unter die Nase gehalten wie ihm. "Ich freue mich, dass das heute so gelaufen ist", sagte er und in seiner oft schwer zu deutenden Mimik sah man tatsächlich ziemlich eindeutig das Gefühl von Erleichterung.

Hinter Götze spielte Julian Draxler, seit Wochen beim VfL Wolfsburg mit aufsteigender Form und auch gegen Italien umtriebig, agil, technisch stark und vor dem Tor von Jonas Hector mit Übersicht und einem starken Pass direkt durch die Lücke. Einer, der in den beiden Spielen klar Punkte gemacht hat im Vergleich zu Vereinskamerad André Schürrle. Wobei dieser auch nicht die Chance von Beginn an bekamen.

In der Abwehr experimentierte Löw gegen Italien diesmal mit einer Dreier- und Fünferkette. Shkodran Mustafi spielte im Zentrum, Antonio Rüdiger neben ihm. Beide haben Potenzial, aber vor allem Rüdiger zeigte, dass er schwierige Situationen, etwa wenn die Gegner den Spielaufbau früh störten, nicht so löst, wie es ein Klasse-Verteidiger tut. Aber das ist von einem 23-Jährigen vielleicht auch ein bisschen viel verlangt. Beide sind für die erste Elf nur dann ein Thema, wenn sich Hummels noch verletzt oder Jérôme Boateng nicht rechtzeitig fit wird. Oder wenn sich Löw wieder für eine Ochsenabwehr entscheidet.

Löw sendet Botschaft an Kramer, Bellarabi und Podolski

Er hätte noch einige junge Spieler im Auge, gab Löw nach dem Spiel zu und nannte Namen: Max Meyer, Leon Goretzka, Mahmoud Dahoud, Julian Weigl und Joshua Kimmich stehen noch amtlich auf der Beobachtungs-Liste des Bundestrainers. Sie hätten in ihren Vereinen "sehr stark" gespielt. Spieler wie Karim Bellarabi, Christoph Kramer oder auch der Säulenheilige Lukas Podolski, die in ihren Vereinen zuletzt nicht so stark gespielt haben und nun auch vom Bundestrainer kaum Chancen in den Testspielen bekamen, werden es vernommen haben.

Denn wenn ein Trainer um die Wichtigkeit seiner Spieler 12 bis 23 weiß, dann Joachim Löw. Die WM in Brasilien war ein Joker-Turnier. Das Final-Tor von Rio haben mit Schürrle und Götze bekanntlich zwei Spieler von der Bank vollendet.

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