DFB-Elf in der WM-Qualifikation:Sturmlos siegen in Astanas Nacht

Kazakhstan v Germany - FIFA 2014 World Cup Qualifier

Hier noch nicht erfolgreich: Die "falsche Neun" Mario Götze.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Mit einem lockeren 3:0 im WM-Qualifikationsspiel in Kasachstan beendet die deutsche Nationalmannschaft erfolgreich ihre Debattenwoche. Hat Bundestrainer Joachim Löw also Recht behalten mit seinem neuen System? In Wahrheit ist der Gegner zu klein für große Erkenntnisse.

Vor zweieinhalb Jahren hat die deutsche Nationalmannschaft schon einmal in Kasachstan gespielt, und vor dem Spiel wurden ähnliche Geschichten erzählt wie diesmal. Man stritt über die Ästhetik des Kunstrasens, und man schmunzelte über die Armbanduhren der deutschen Spieler, denen es partout untersagt war, kasachische Ortszeit anzuzeigen.

Über eines aber sprach man damals nicht: über Stürmer. Warum auch? Es war ja alles wie immer. Als die Deutschen sich schwer taten gegen kompakte Kasachen, kamen halt wie immer in der deutschen Fußballgeschichte die Stürmer daher und regelten die Sache. 1:0 Klose 48. Minute, 2:0 Gomez 76., später traf noch Podolski zum 3:0.

Zweieinhalb Jahre später haben sich Kunstrasen und Armbanduhren mit schönen Nebenrollen begnügen müssen. Die Hauptrolle vor dem EM-Qualifikationsspiel in Astana gebührte den Stürmern - alles drehte sich um die Frage, ob man sie im System Löw noch braucht. Es hatte eine gewisse Ironie, dass die große Diskussion am Ende von ein paar kleinen Muskelfasern entschieden wurde. Wegen einer leichten Zerrung, so die offizielle Diagnose, musste Mario Gomez seinen Einsatz stornieren.

So kam es also kampflos zur sogenannten spanischen Variante, mit dem kleinen Dortmunder Mario Götze als einzigem - soll man sagen: Stürmer? Vielleicht sollte man besser sagen: mit dem kleinen Dortmunder Mario Götze als vorderstem Spieler. Zur Bewertung des Experiments nur so viel: Es gibt Spiele und es gibt Gegner, da werden Stürmer kaum gebraucht.

Ein paar ziemlich überdurchschnittliche Fußballer reichten am Ende aus, um beim recht schweißfreien 3:0 (2:0) in Astana die Führung in der Qualifikationsgruppe C zu verteidigen. Wobei: Man hätte sie gewiss auch mit Stürmer verteidigt, vermutlich sogar mit Stefan Kießling, den Bundestrainer Löw für zu leichtgewichtig hält, um auf großer Bühne zu bestehen. Aber zur Geisterstunde in Astana (Spielbeginn: 24 Uhr, Ortszeit) war die Bühne in etwa so groß, dass Bayern-Präsident Uli Hoeneß bestimmt wieder Vergleiche mit dem FC Tegernsee oder Eintracht Swasiland einfallen. "Drei Punkte bleiben hängen, das war's", bilanzierte Thomas Müller trocken, "die erste Halbzeit war gut, in der zweiten waren ein paar Nachlässigkeiten drin, über die wir sprechen müssen."

Podolski und sein 108. Länderspiel

Vor lauter Stürmerdebatten war vor dem Spiel etwas untergegangen, dass in der Innenverteidigung gleich beide Stammverteidiger (Badstuber und Hummels) ausfielen. Auf dieser Position präsentierte Löw eine Lösung, die zu interessanten Interpretationen einlädt. Neben dem altgedienten Per Mertesacker platzierte Löw den Schalker Benedikt Höwedes - und nicht, wie allgemein erwartet, den Bayern-Profi Jérome Boateng, dessen Position auch im DFB-Team zu wackeln scheint; er ist jetzt in beiden Mannschaften Reservist.

Höwedes' Nominierung fügte sich in eine Reihe von Premieren. Neben dem ersten mittelstürmerfreien Pflichtspiel des Gerd-Müller-Uwe-Seeler-Klaus-Fischer-Horst-Hrubesch-Rudi-Völler-und-Jürgen-Klinsmann-Landes galt es folgende Debüts zu Protokoll zu nehmen: Höwedes schlüpfte beim DFB erstmals von Beginn an in seine Lieblingsrolle als Innenverteidiger; der Schalker Julian Draxler stand zum ersten Mal in Löws Startformation; Lukas Podolski bestritt später zum ersten Mal in seinem Leben sein 108. Länderspiel, womit er erstmals Jürgen Klinsmann einholte und in der Statistik nur noch Miroslav Klose und Lothar Matthäus vor sich hat.

Podolski war nach 19 Minuten für Draxler gekommen, der nach einem Zusammenprall mit Verdacht auf eine leichte Gehirnerschütterung ausgewechselt werden musste. Er konnte von draußen mit ansehen, wie die Kollegen direkt danach das Spiel entschieden: Erst lupfte Schweinsteiger den Ball über einen Gegenspieler, dann nahm er den Ball volley und schoss mit einem Umweg über Thomas Müllers Brust zum 1:0 ein (20.) - das hätte ein echter Stürmer nicht besser gekonnt. Zwei Minuten später blieb Khediras Pass erst im Gewühl hängen, aber als der Ball Götze vor die Füße fiel, vollendete er trocken - man ahnt bereits, dass das ein echter Stürmer auch nicht besser gekonnt hätte.

Die spielerische Überlegenheit der DFB-Elf war so gewaltig, dass sich allmählich ein paar Konzentrationsschwächen einschlichen, vor allem in der zweiten Hälfte sank die Körperspannung bedenklich in Swasiland-Regionen. "In der Halbzeit war das Spiel irgendwie entschieden, danach hat die Mannschaft das Tempo rausgenommen und es nicht mehr konsequent zu Ende gespielt", urteilte Löw milde.

Es bedurfte zweier kasachischer Großchancen in Form eines Lattenschusses (69.) und einer Neuer-Parade (71.), um Löws Elf wieder zu straffen. Das führte direkt zum 3:0 - Müller traf nach feiner Vorarbeit von Özil und Götze. Es gab immer wieder diese Szenen, in denen die Null-Stürmer-Variante dank Positionsrochaden und hübscher Kleinkunst ihren Reiz entfaltete, aber am Ende gab es nur wenige belastbare Erkenntnisse, die die deutsche Elf mit nahm auf ihren nächtlichen Rückflug nach Nürnberg, wo am Dienstag das Rückspiel stattfindet.

Erkenntnis eins: Schweinsteiger fehlt in Nürnberg wegen der zweiten gelben Karte. Erkenntnis zwei: Sollten auch Draxler und Gomez ausfallen, würde Löw eventuell noch einen Spieler nachnominieren. Die entscheidende Erkenntnis aber: Mit Stürmern gewinnt man - wie vor zweieinhalb Jahren - gegen Kasachstan 3:0. Ohne Stürmer dagegen gewinnt man 3:0.

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