Deutschland in der Einzelkritik:Die Sternenfänger

Sie haben Deutschland den vierten Titel geholt - sie sind die Mannschaft schlechthin. Die Weltmeister in der Einzelkritik: Manuel Neuer, bester Torhüter der WM, verursacht eine Kung-Fu-Kollision. Bastian Schweinsteiger lässt sich selbst von einer blutenden Wunde nicht aufhalten. Und Mario Götze braucht nur eine Aktion, um alles zu ändern.

Von Christof Kneer und Philipp Selldorf, Rio de Janeiro

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Deutschland in der Einzelkritik:Manuel Neuer

Manuel Neuer; WM; DFB;

Quelle: Pedro Ugarte/Afp

Sie haben Deutschland den vierten WM-Titel geholt - die Weltmeister in der Einzelkritik.

Manuel Neuer: Erinnert sich noch jemand ans Trainingslager in Südtirol? Ans große Raunen um Manuel Neuers Schulter? Es schien nur zwei Möglichkeiten zu geben: Entweder Neuer könnte die WM vergessen - oder er würde hinfahren, aber sich vor jedem Schuss dreimal überlegen, ob er sich hinschmeißt. Angesichts dieser Prognose war es dann ein recht ordentliches Turnier. Entwickelte sich vom normalen Weltklassetorwart zur Angstfigur aller Stürmer; man wird nie beweisen können, dass Higuaín frei vor Neuer nur ein Schüsschen zustande brachte, weil ihm das Schussbein schlotterte - aber möglich wär's. Selbst Lionel Messi schien es bei seiner Riesenchance (50.) besonders gut machen zu wollen - was ihn das Ziel verfehlen ließ. Higuaín bekam bei einer Kung-Fu-Kollision mit Neuer zu spüren, dass der deutsche Torwart tatsächlich wieder völlig bruchfest ist. Wurde selbstverständlich als bester Torwart des Turniers ausgezeichnet.

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Deutschland in der Einzelkritik:Philipp Lahm

Philipp Lahm; WM; DFB;

Quelle: AFP

Philipp Lahm: Der linke argentinische Flügel hing so tief herab, dass Lahm defensiv unterbeschäftigt war. Verlagerte seine Verteidiger-Aktivitäten ins Mittelfeld oder gleich in die gegnerische Hälfte, wo er das Flügelspiel ankurbelte und mit Müller ein aus gemeinsamer Erfahrung gewohntes Duett bildete. Ließ keinen Weg nach vorn aus, der sich defensiv verantworten ließ. Gewann für einen 30-Jährigen viele Sprintduelle. Ein Spiel, das bewies: Ein Kapitän kann auch auf dem Flügel Kapitän sein.

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Deutschland in der Einzelkritik:Jérôme Boateng

Argentina's Lionel Messi and Germany's Jerome Boateng fight for the ball during their 2014 World Cup final at the Maracana stadium in Rio de Janeiro

Quelle: REUTERS

Jérôme Boateng: In der oft hoch aufrückenden Abwehrreihe fiel ihm häufig die Rolle der letzten Instanz zu, von der dann Wohl und Wehe abhing. Sein Timing und seine Abstimmung passten, auch bei schwierigen Bällen kam er technisch auffallend gut klar. Konzentriert und aufmerksam. Den schwierigsten Ball parierte er in der 40. Minute, kurz vor der Torlinie wehrte er an Stelle von Manuel Neuer vor ungefähr fünf freien Gegnern ab. In der zweiten Halbzeit wurde der gute Boateng noch besser. Eine Anmerkung für die Nachgeborenen, die nur den sogenannten modernen Fußball kennen: Einen wie Boateng nannte man früher "Turm in der Schlacht".

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Deutschland in der Einzelkritik:Mats Hummels

Mats Hummels; WM; DFB;

Quelle: dpa

Mats Hummels: Wurde bereits vor dem Finale in die erweiterte Allstar-Elf berufen, hatte für einen Allstar aber schwer zu kämpfen gegen den größten aller Allstars. Musste gegen Messi gleich in ein paar Laufduelle, die er nicht gewann, weil er sie nicht gewinnen konnte. Oft in Not und öfter mal überfordert, was weniger an einer mangelhaften Leistung lag als an der höheren Gewalt, die von Messi ausgeht und auch auf dessen Mitspieler übergeht. Seine gewohnte Souveränität als Abwehrchef konnte Hummels eher nicht nachweisen. Nach dem unsauberen Zweikampf mit Agüero konnte er froh sein, dass sein Gegner auf den Beinen blieb, anstatt sich um den legitimen Elfmeter zu bemühen. Vor Messi hatte er so viel Respekt wie die Stürmer der Welt vor Neuer. Unterlief in der Verlängerung einmal eine Flanke, doch Rodrigo Palacio zögerte kurz zu lang, Neuer rettete - auch den guten Ruf von Hummels.

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Deutschland in der Einzelkritik:Benedikt Höwedes

Benedikt Höwedes; DFB;

Quelle: AFP

Benedikt Höwedes: Nicht genug, dass er das ganze Turnier auf der falschen Seite spielen muss: Im letzten Spiel des Turniers schaute auch ständig Lionel Messi auf seiner Seite vorbei. Höwedes brauchte Hilfe und bekam sie, meistens von Hummels, der selbst Hilfe brauchte gegen Messi (und sie von Höwedes bekam). Für ein demonstrativ hartes Tackling gegen Lavezzi, das in ein demonstrativ grobes Foulspiel ausartete, musste Höwedes mit der gelben Karte büßen. Kurz vor der Pause verpasste er nach tollkühnem Einsatz sein erstes Turniertor um ein paar Zentimeter - sein Kopfball ging gegen den Pfosten. Die Duellbilanz und die kämpferische Haltungsnote stimmten, die Präzision im Stellungsspiel und das Spielerische stimmten weniger.

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Deutschland in der Einzelkritik:Bastian Schweinsteiger

World Cup 2014 - Final - Germany vs Argentina

Quelle: dpa

Bastian Schweinsteiger: Begrüßte vor dem Spiel Carles Puyol und Gisele Bündchen, die den Pokal mitbrachten. Beide sind Botschafter aus vertrauten Welten: Puyol stammt aus der Welt des Fußballs (Schweinis Welt), Bündchen aus der Welt der Models und schönen Frauen (Schweinis Freundins Welt). Erste Erkenntnis: Schweinsteiger ist der Weltmann auf dem Platz. Nur er durfte sich das erlauben: Messi in der 13. Minute den Ball abnehmen. Spielte dann auch welt- und staatsmännisch. Lenkte würdevoll das Spiel und kämpfte sich hinein, als die Partie in den offenen Schlagabtausch überging. Musste fiese Nickligkeiten wie eigentlich alle deutschen Spieler immer wieder ertragen. Der Tiefpunkt: Agüero schlug ihm in der Verlängerung eine blutige Wunde ins Gesicht, ohne Folgen für den Argentinier. Wurde weiter ständig getreten und gefoult, fast jede Körperstelle war lädiert - aber dieser tollkühne Schweinsteiger, er stand immer wieder auf. Heroische Leistung, absolut.

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Deutschland in der Einzelkritik:Christoph Kramer

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Quelle: AFP

Christoph Kramer: Erfuhr kurz vor Spielbeginn, dass er wegen Khediras Unpässlichkeit im Finale von Anfang an spielt. Als die Kameras ihn im Kabinengang einfingen, sah er aus, als ob er lieber "nein" gesagt hätte, als der Trainer ihn zum Spielen aufforderte. Die ersten Pässe glückten aber gleich. Schreck in der 18. Minute: Kramer drohte nach einer hinterhältigen Karambolage mit einer argentinischen Schulter ebenfalls auszufallen; bekam von Assistent Flick einen Schluck Wasser gereicht und spielte weiter. Bis er sich nach ein paar Minuten verabschieden musste: Verdacht auf Gehirnerschütterung. Feierte aber mit.

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Deutschland in der Einzelkritik:Toni Kroos

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Quelle: AFP

Toni Kroos: Versuchte seine Allstar-Nominierung ebenfalls zu rechtfertigen, mit den gewohnt präzisen Spielverlagerungen und den gewohnt gepflegten Pässen. Ungewohnt: seine katastrophale Kopfballrückgabe zu Neuer, die Higuaín beinahe die Führung ermöglicht hätte (20.). Ein richtiger Allstar macht so was besser nicht. Und besser macht er auch mehr aus der Schusschance, die ihm Özil fünf Minuten vor der Pause servierte: Anstatt dem Ball einen Tritt zu geben, schob ihn Kroos mit dem rechten Fuß so sanft zum Torwart Romero, als ob er diesen für einen Mitspieler hielte. Das war der alte Kroos, der aus dem Klischee, nicht der neue, der auf dem Weg zum beeindruckenden Chef ist. Rückte nach Kramers Ausscheiden weiter zurück, auf die zweite Sechserposition. Die defensive Schufterei nahm ihm die Luft fürs Künstlerische. In der 82. Minute schlurfte er den Ball wieder am Tor vorbei, anstatt anständig zu schießen. Kein Allstar.

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Deutschland in der Einzelkritik:Thomas Müller

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Quelle: AFP

Thomas Müller: Hatte diesmal einen Gegenspieler, den er schon bald zu schätzen lernte. Nach vier Minuten checkte Marcos Rojo seinen deutschen Kollegen so liebevoll aus dem Weg, dass einem beim Zusehen das Kreuz wehtat. Die Zweikämpfe mit dem argentinischen Straßenkämpfer gaben dem Spiel eine spezielle Note. Müller verlor zwar seinen Humor, ließ sich aber nicht einschüchtern und begab sich unentwegt auf die Suche nach dem freien Raum, was im meistens restlos zugeparkten argentinischen Strafraum schwierig war. Ständig unterwegs, ständig gefährlich.

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Deutschland in der Einzelkritik:Mesut Özil

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Quelle: AFP

Mesut Özil: Auf seine genialen Momente hat der Bundestrainer während des ganzen Turniers geduldig gewartet. Im Finale deutete Özil sein Genie an: Gute Szenen, spielerisch und auch kämpferisch besser als zuletzt, aber mitunter fehlten ihm die schnelle Zündung und die Dynamik, um richtig produktiv zu sein.

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Deutschland in der Einzelkritik:Miroslav Klose

World Cup 2014 - Final - Germany vs Argentina

Quelle: dpa

Miroslav Klose: Würde man einen Nachwuchsfußballer fragen, was sein großer Traum ist, er würde sagen: Ich würde gerne mal Nationalspieler werden, und mein letztes Länderspiel sollte das WM-Finale sein, vielleicht sogar im Maracanã-Stadion. Ein Kindertraum halt, der sowieso nicht wahr wird - außer bei Miroslav Klose. Traf zur Feier des Tages aus 18 Metern ins Eck, Tore aus solcher Entfernung schießt er sonst nie - allerdings fiel das Tor beim Warmmachen. Und während des Spiels konnte Klose sich mühen, wie er wollte, einen Torschuss gestatteten ihm die Argentinier nicht. Tapfer jagte er aber jedem Ball nach, doch dann fehlten ihm Tempo und Durchsetzungsvermögen. Kämpfte, als sei das sein letztes Länderspiel. Weinte später sehr.

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Deutschland in der Einzelkritik:André Schürrle

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Quelle: AFP

André Schürrle: Kam für Kramer, musste diesmal nicht wie üblich bis zur zweiten Halbzeit warten, um mitspielen zu dürfen. War mal fahrig, dann gefährlich. War zu Beginn der Verlängerung dem Treffer nahe. Glänzte schließlich doch noch, nach seiner perfekt getimten Vorlage von der linken Seite schoss ein Mitspieler ein Tor, das zufällig den WM-Titel bedeutete.

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Deutschland in der Einzelkritik:Mario Götze

World Cup 2014 - Final - Germany - Argentina

Quelle: dpa

Mario Götze: Dieser Mitspieler war Mario Götze. Kam zum Ende der regulären Spielzeit für Klose, war mal fahrig, dann ungefährlich. War nicht sein Turnier. So sah es aus. Dann kam diese eine Aktion, die alles änderte. Ein Allstar-Tor. Unfassbar.

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Deutschland in der Einzelkritik:Per Mertesacker

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Quelle: AFP

Per Mertesacker: Kam in der 120. Minute, gewann den ersten Zweikampf. "Wat woll'n se?", das hatte er mal gefragt vor langer Zeit, als Deutschland noch nicht Weltmeister war. Seine TV-Rede trug auch einiges zum Teamzusammenhalt bei. Grinste bei der Siegerehrung ohne Ende. Sprintete dem Pokal hinterher. Ja, dieses Ding war es, wat se alle wollten. Und jetzt ist es da.

© SZ vom 14.07.2014/fued
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