DFB-Elf gegen USA:Zum Flanken gezwungen

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Mesut Özil gehört zu den schwächeren Kopfballspielern im DFB-Team - hier versucht er eine Flanke zu verarbeiten

(Foto: AFP)

Deutschland spielt gegen die USA unfreiwillig Tiki-Taka, weil Klinsmanns Amerikaner in der Mitte aufopferungsvoll verschieben. Die gefährlichen deutschen Angriffe kommen deswegen über Außen - wie auch beim entscheidenden Tor von Thomas Müller. Die WM-Analyse des Tages.

Von Martin Anetzberger

Müsste man das Spiel der deutschen Nationalelf gegen die USA mit nur einem Wort beschreiben, wäre es "Kontrolle". Innenverteidiger Mats Hummels sagte danach: "Wir hatten heute größtenteils die Kontrolle über das Spiel. Wir haben eine konzentrierte, wenn auch keine überragende Leistung abgeliefert." Was heißt das genau in einem Spiel, das am Ende knapp 1:0 für Deutschland ausging?

Die Daten von SZ.de-Partner Opta helfen, die Worte des Dortmunder Abwehrspielers einzuordnen. Die Kontrolle fand im Mittelfeld statt. Dort, wo der wiedererstarkte Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm und Toni Kroos das Spiel der deutschen Mannschaft nach vorne antreiben und nach hinten absichern sollten.

Alle drei Akteure spielten wahnsinnig viele Pässe. Kroos kam auf 112 (Passgenauigkeit 93,8 Prozent), Lahm auf 116 (94,8 Prozent) und Schweinsteiger auf 85 (87,1 Prozent). Letzterer wäre wohl auch auf mehr als 100 Pässe gekommen, hätte ihn Bundestrainer Joachim Löw nicht eine Viertelstunde vor Schluss vom Feld genommen. Die meisten Pässe beim Gegner spielte Michael Bradley: gerade einmal 49.

Derr Blick auf die hohen Werte bei der Passgenauigkeit erklärt, wie schwer es für das Team von Jürgen Klinsmann war, den Ball im Mittelfeld zu erobern. Wer den Ball nicht hat, kann keine Tore schießen. Diese Philosophie ist bereits bestens bekannt, zum Beispiel vom FC Bayern unter Louis van Gaal und dem FC Barcelona unter Pep Guardiola. Unter den Nationalmannschaften gilt die spanische als Erfinderin dieses Tiki-Taka-Fußballs, mit dem sie zweimal Europameister und einmal Weltmeister wurde. Vorteil ist die von Mats Hummels angesprochene Kontrolle über den Gegner. Die USA schossen im ganzen Spiel nur viermal Richtung Tor - jedes Mal so ungefährlich, dass Manuel Neuer zu keiner einzigen Parade gezwungen war.

Der Nachteil an dieser Spielweise war, dass den Deutschen ihrerseits die Ideen fehlten, um die Amerikaner dauerhaft unter Druck zu setzen. Das ist, was Hummels meinte, als er sagte: "Wir haben eine konzentrierte, wenn auch keine überragende Leistung abgeliefert." Tiki-Taka wird nämlich nur dann gefährlich, wenn der Gegner durch Tempowechsel und Vertikalpässe überrascht wird. Das gelang der Löw-Elf allerdings so gut wie nie. Die Heatmap der Mittelfeldakteure Schweinsteiger, Lahm und Kroos zeigt, wie die drei nahezu einen Pass-Halbkreis in der gegnerischen Hälfte bildeten, um das entscheidende Zuspiel vorzubereiten. Doch das kam nicht. Löw konstatierte: "Wir haben allerdings den letzten Pass leider vermissen lassen." Das Tiki-Taka war also Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit, es war keineswegs nur freiwillig.

Grund für diesen Mangel im deutschen Spiel war vor allem das Defensivverhalten der Amerikaner. Sie verschoben ihr Spiel stets in Richtung des Balles, machten es den Deutschen sehr schwer, sich durch die Mitte zu kombinieren. Ein solches Spiel erfordert immense Laufarbeit mit häufigen Richtungswechseln, aber die Amerikaner waren bereit sie zu leisten. Ihre zentralen Mittelfeldspieler Jones und Beckerman liefen etwa 11,5 Kilometer. Bradley kam sogar auf mehr als 13 Kilometer, der mit Abstand höchste Wert von allen Spielern. Auch Schweinsteiger, Lahm und Kroos liefen viel. Ihr Laufanteil mit Ball war dabei aber wesentlich größer als bei den Amerikanern.

Da also die Mitte als Angriffsoption weitgehend ausfiel, spielte die DFB-Elf über die Außenpositionen. Hier fiel vor allem Außenverteidiger Jérôme Boateng auf, der von der rechten Seite immer wieder nach innen flankte. Das Tor entstand durch eine Özil-Hereingabe nach einer kurzen Ecke. Per Mertesacker köpfelte aufs Tor. Den Abpraller des Keepers verwandelte schließlich Thomas Müller - es war eine der wenigen Chancen der DFB-Auswahl.

Die Spielweise der Deutschen in der Vorrunde hat ihnen übrigens einen Rekord beschert. Keine andere Mannschaft brachte so viele Pässe zum Mitspieler. 1792 - bei einer Quote von 85 Prozent. Dass Kontrolle allein am Ende für das große Ziel ("Wir wollen unbedingt Weltmeister werden") nicht ausreicht, weiß nicht nur Mesut Özil, das wissen auch Mats Hummels und alle anderen. Holland und Frankreich wirkten durch ihre überfallartigen Angriffe bisher wesentlich gefährlicher.

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