DFB-Elf gegen Ghana bei der Fußball-WM:Deutschland muss leiden

DFB-Elf gegen Ghana bei der Fußball-WM: Chancenlos gehen die ghanaischen Möbelpacker: Thomas Müller.

Chancenlos gehen die ghanaischen Möbelpacker: Thomas Müller.

(Foto: AP)

Müller blutet, Özil wankt, doch der Bundestrainer lobt: Die Fußball-WM ist für das deutsche Team erst zwei Spiele alt. Trotzdem verlassen die Nationalspieler nach dem 2:2 gegen Ghana gezeichnet den Platz. Die Erlebnisse in der Hitze von Fortaleza könnten im Turnier noch wichtig werden.

Von Thomas Hummel, Fortaleza

Als dieses wilde Spiel zu Ende war, schwitzten die Deutschen immer noch. Die Zuschauer regten keine Hand zum Applaus oder zum Pfeifen, sie starrten still auf das Spielfeld, es war ihnen merklich unwohl. Thomas Müller lag dort unten am Fünfmeterraum, rührte sich nicht mehr und blutete. Die ärztliche Abteilung mit dem für seine 71 Jahre erstaunlich schnellen Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt sprintete auf das Feld und erteilte Erste-Hilfe-Maßnahmen. Es war das zugespitzte Ende einer körperlichen Materialschlacht.

Kurz darauf erhob sich Thomas Müller wieder, hielt sich einen Verband gegen die Wunde über dem rechten Auge. Die Zuschauer mit den weißen Trikots klatschten erleichtert und riefen den Namen ihres verunglückten Helden. Auch Müllers Widerpart, der Ghanaer John Boye, zeigte sich halbwegs erholt von dem bösen Zusammenstoß ihrer Köpfe in letzter Spielsekunde. Müller ließ sich von Müller-Wohlfahrt vom Platz führen. Doch obwohl er der einzige war mit einer blutenden Wunde, sah er kaum schlechter aus als der Rest der deutschen Mannschaft.

Diese Fußball-Weltmeisterschaft ist für die Deutschen erst zwei Spiele alt. Doch sie hat schon gezeigt, zu was sie fähig ist. Zuerst sah sie ein Spiel vor, wie es federleichter nicht hätte sein können. Ein Gegner, der sich selbst zerstört und ein Müller, der es müllern lässt. Also dachte sich die WM, so leicht sollen es die Deutschen nicht haben. Und stellte ihnen eine Aufgabe, die sie so schnell nicht vergessen werden.

Das 2:2 gegen ein kraftvolles, zähes, starkes Ghana geriet für die Deutschen zu einem Spiel der Leiden. Es erinnerte bereits während der ersten Halbzeit stark an die Spiele Spanien gegen die Niederlanden und Italien gegen Costa Rica, als sich der Favorit zunächst in Sicherheit wog, weil er stets den Ball kontrollierte. Sich dabei aber selbst mehr ermüdete als den Gegner, der urplötzlich das Tempo erhöhte wie ein Flugzeug auf der Startbahn.

Mario Götze hatte noch per Nase-Knie-Kombination das 1:0 (51.) erzielt, was die Ghanaer dazu bewog, den Motor anzuschmeißen. Flanke in den Strafraum, in der Mitte sprang Shkodran Mustafi nicht hoch, was Andrew Ayew nur zwei Minuten später zum Ausgleich nutzte. Dann spielte Philipp Lahm einen schlampigen Pass, Sami Khedira war längst zu platt, um den Fehler auszubessern. Ball zu Stürmer Asamoah Gyan, der wenige Probleme hatte, Per Mertesacker abzuhängen und Manuel Neuer im Tor zu überwinden (63.).

"Ghana hatte vorne drei verdammt schnelle Leute, da gilt es Ballverluste zu vermeiden", erklärte Mats Hummels. Denn nach Ballverlusten im Mittelfeld geht im modernen Fußball sofort in die andere Richtung die Post ab. Dass auch Ghana über eine derart funktionierende Post verfügt, erfuhr die deutsche Abwehr nun.

Jetzt schwappten die Konter so gewaltig auf das deutsche Tor wie der nahe Amazonas nach der Regenzeit in Richtung Atlantik. Obwohl die Sonne bereits verschwunden war, herrschten im Estádio Plácido Aderaldo Castelo mehr als 30 Grad Celsius, Mertesacker erkannter richtigerweise: "Ich geh davon aus, dass jeder Zuschauer geschwitzt hat. Wir auf dem Feld umso mehr." Die deutschen Fußballer machten in den Minuten nach dem Rückstand keineswegs den Eindruck, als könnten sie den Lauf der Dinge noch irgendwie aufhalten. Bis Bundestrainer Joachim Löw zwei neue Spieler brachte.

Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose, zusammen 234 Länderspiele alt, kamen auf das Feld. Und zogen ihre Mannschaft am Schopfe aus dem reißenden Amazonas heraus. Schweinsteiger übernahm mit geschwellter Brust sogleich das Spiel im Zentrum, Miroslav Klose stubste nach nur zwei Minuten eine Ecke von Toni Kroos, die Benedikt Höwedes verlängerte, zum 2:2 ins Netz.

Müller wurde noch in der Kabine genäht

Was danach kam, verwirrte nicht nur den Bundestrainer. "In der zweiten Halbzeit war ein irrsinniges Tempo im Spiel, das war ein offener Schlagabtausch mit vielen Chancen auf beiden Seiten. Das war Spannung und Dramatik pur." Beide Mannschaft wollten offenkundig das dritte Tor erzielen und verzichteten weitgehend auf seriöse Abwehrarbeit. Müller, Lahm und Klose vergaben für Deutschland, doch zweimal lief Ghana auch in Überzahl Richtung Tor von Manuel Neuer. Das verwirrte den Torwart so, dass er in der Nachspielzeit beinahe den Ball beim Abwurf verlor, und sich mit einem wilden Befreiungsschlag einreihte in das chaotische Treiben.

Die Bilanz am Ende: Erster Punktverlust, noch ist nichts entschieden in Gruppe G. Bei Jérôme Boateng hat nach einem Schlag gegen die Hüfte "die ganze linke Seite zugemacht", wie er es ausdrückte, sich also der Muskel verhärtet. Müller wurde noch in der Kabine genäht. Die Mannschaft war im Zweikampf gegen die Möbelpacker aus Ghana heftig unterlegen, viel zu oft verlor sie Bälle im Mittelfeld. Zudem wankten bei der Hitze von Fortaleza einige Spieler bedenklich über den Rasen.

Sami Khedira erreichte sein Niveau vom Portugal-Spiel bei weitem nicht. Philipp Lahm spielte nicht nur vor dem 1:2 erstaunliche Fehlpässe. Um Mesut Özil musste sich man am Ende Sorgen machen, ob er die Kabine noch auf eigenen Beinen erreiche. Er erklärte, was jeder im Stadion sah: "Das war einen Tick wärmer. Da hat man am Ende nicht mehr die Spritzigkeit gehabt wie zu Beginn des Spiels." Sie alle standen eine Stunde nach dem Spiel mit geröteten Wangen in den Kellergängen der Arena. Ihnen war die Anstrengung immer noch anzusehen. Immerhin kühlten nun die eifrigen Klimaanlagen ihre Köpfe.

So überwog beim Bundestrainer die Freude, dieses traditionell vermaledeite zweite Gruppenspiel nicht verloren zu haben. "Eigentlich bin ich ganz zufrieden", urteilte er, "denn wir haben nach dem 1:2 und bei diesen Temperaturen eine tolle Moral gezeigt."

Auch Per Mertesacker wollte sich sein 100. Länderspiel nicht schlecht reden lassen, sondern interpretierte es als die genau richtige "Prüfung für den weiteren Weg". Das Spiel werde die Mannschaft weiterbringen, mit den Bedingungen in Brasilien umzugehen. "In Punkto: Wie kann ich bis zum Ende durchhalten. Wir mussten mal richtig leiden, sehen, was es heißt, bis zum Ende zu kämpfen, Chancen zu erarbeiten, weil wir es mussten." Er wisse nun, dass die Mannschaft dazu in der Lage sei.

Mertesacker führte weiter aus: "Jeder hat heute alles gegeben. Jeder war kaputt, aber das gehört dazu. Das konnten wir nirgendwo testen, diese Spiele mit der Intensität. Da musst du durch, das musst du wegstecken und daraus lernen." An guter Vorbereitung mangle es seiner Ansicht nach jedenfalls nicht. "Viel mehr trinken und essen kann ich nicht." Also muss sich das Gemüt noch an die Verhältnisse gewöhnen. Sollte Per Mertesacker demnächst in Rio de Janeiro diesen Pokal nach oben recken, er wird vielleicht sagen, dass dieser Kampf gegen Ghana das Schlüsselerlebnis gewesen sei.

Zuerst folgt aber das Spiel gegen die USA. In Recife, um 13 Uhr. Genau der Ort und die Uhrzeit, wo Italien sein Hallowach gegen Costa Rica erlebte. Die Sonne wird geradeaus auf den Platz scheinen, das Meer ist so weit weg, dass es der Wind manchmal nicht schafft bis dorthin. "Wir wissen, dass die USA körperlich sehr gut drauf ist. Die werden alles abliefern gegen uns", sagte Mesut Özil voraus. Diese WM hält bisweilen unvorhersehbare Prüfungen bereit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: