DFB-Elf:Der Quartalsirre ter Stegen war einmal

Germany v Italy - International Friendly; Marc-André ter Stegen

Marc-André ter Stegen hat beim FC Barcelona eine beachtliche Entwicklung genommen - das hilft dem Torhüter auch im DFB-Team.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Wenn die deutsche Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation am Abend auf San Marino trifft, wir sehr wahrscheinlich Marc-André ter Stegen das Tor bewachen.
  • Der Schlussmann hat eine beachtliche Entwicklung in seiner Zeit beim FC Barcelona hingelegt und ist die legitime Nummer zwei im DFB-Team.
  • Hier geht es zum Liveticker Deutschland gegen San Marino.

Von Javier Cáceres

Ende Mai, am Rande des DFB-Pokalfinales, konnte man schon ahnen, dass alles viel länger dauern würde als gedacht. Wenn man nur am richtigen Abend im richtigen Restaurant war, im Berliner Borchardt, das dafür berühmt ist, dass dort Polit- und sonstige Prominenz speist, oder trinkt, oder beides auf einmal macht. Zum Beispiel: Manuel Neuer.

Der Stammtorwart der Nationalelf und des FC Bayern kam auf Krücken hinein gehumpelt, ein Bein spektakulär geschient. Wenige Tage später folgte tatsächlich die Kunde, dass Neuer länger ausfallen dürfte als ursprünglich veranschlagt - wobei der Saisonauftakt angeblich nicht in Gefahr sein soll. Doch selbst wenn diese Marke gerissen werden sollte, beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) würde das für wenig Beunruhigung sorgen. Denn die virtuelle Nummer zwei der Nationalmannschaft, Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona, bürgt für eine nahezu adäquate Qualität.

An diesem Samstag wird er Neuer, 31, im Weltmeisterschafts-Qualifikationsspiel gegen San Marino ersetzen (20.45 Uhr im SZ-Liveticker), wie im November 2016, als Deutschland gegen den selben Gegner 8:0 siegte und ter Stegen seinen bisher einzigen DFB-Pflichtspieleinsatz bestritt. Er werde sich mit Torwarttrainer Andreas Köpke besprechen, sagte Bundestrainer Joachim Löw am Freitag. Aber: "Die Gedanken gehen zu Marc-André ter Stegen."

Seit drei Jahren ist ter Stegen nun schon in Barcelona, und er hat dort eine Entwicklung genommen, die beachtlich ist. Zumal der Klub lange Zeit für deutsche Torhüter verwunschen gewesen zu sein schien. Köpke wollte 1996 dorthin wechseln, musste aber schmerzlich erfahren, dass er bloß als Druckmittel benutzt worden war: Als sich Köpke aus seinem Vertrag beim VfB Stuttgart herausgefaustet hatte, kam die Kunde, dass Barça Vítor Baía aus Portugal verpflichtet hatte. Und zu den entscheidenden Wegmarken der Tragödie um Robert Enke zählt seine Zeit in Barcelona unter Louis van Gaal. Ter Stegen kam als 21-Jähriger zu Barça; dass er sich durchsetzte, erzählt viel über sein expansives Selbstwertgefühl. Ihm schlug bei seiner Ankunft aus Mönchengladbach auch Skepsis entgegen.

Zwar war sein Bürge der damalige Sportdirektor Andoni Zubizarreta, der Keeper jenes Barça-Teams, das in ter Stegens Geburtsjahr 1992 unter Johan Cruyff den ersten von nun fünf Königsklassenpokalen für Barça errang. Ter Stegen wurde ein grandioses Talent unterstellt. Gleichwohl holte der Klub Claudio Bravo aus San Sebastián. Der Chilene habe seine Qualität in Spaniens Liga unter Beweis gestellt, hieß es. Die Leistungsbeschau vor Ort aber ergab, dass beide gleich gut waren. Es folgte eine revolutionäre Arbeitsteilung: Bravo spielte in der Liga, ter Stegen in der Champions League und im Pokal. Am Ende waren beide damit so unzufrieden, dass sie im Sommer 2016 ultimativ Stammtorwart werden - oder gehen wollten. Manchester City lockte beide, Barça behielt ter Stegen, Bravo ging nach England. Im neun Jahre jüngeren ter Stegen sahen sie den Torwart von morgen.

Barça-Spielkameraden überdenken ihre Vorurteile

Die Anerkennung, die ter Stegen nun genießt, ist ungeteilt. Die Zeiten, da Barça-Spielkameraden in ter Stegen einen bizarren Abklatsch des einschüchternden Oliver Kahn sahen, sind vorbei. Ter Stegen spricht gut Spanisch, ist ein gern gesehener Gesprächspartner von Radio- und TV-Reportern. Er stellt sich, vor allem wenn er Leichtsinnsfehler begangen hat, vornehmlich mit dem Fuß. Früher tat er das, wie in der Nationalelf, mit der Frequenz eines Quartalsirren, zuletzt war das kaum noch der Fall. Im Gegenteil.

Der Mönchengladbacher glänzte vor allem in den erinnerungswürdigen Spielen der abgelaufenen Saison. Beim direkten Duell mit Bravo gegen Manchester City etwa, den er bald beim Confed Cup wiedersehen wird (Chile ist deutscher Gruppengegner). Oder beim Clásico, wo Barça 3:2 bei Real Madrid gewann, weil ter Stegen sein Team mit zwölf Paraden im Spiel hielt. Gegen Paris holte er im Rückspiel des Champions-League-Achtelfinales jenen Freistoß heraus, der zum wegweisenden 6:1 führte, denn beim Ausflug in des Gegners Hälfte foulte ihn Marco Verratti.

Da kamen seine fußballerischen Fähigkeiten zum Tragen, die ihn zur legitimen Nummer zwei im DFB-Tor machen - hinter dem unantastbaren Neuer. Weit eher als Kevin Trapp (PSG) oder Bernd Leno (Leverkusen) ist er ein spielender Torhüter. Denn wie Neuer ist er die Antithese der berühmten Definition des Niederländers Ruud Gullit: "Ein Torwart ist ein Torwart, weil er nicht Fußball spielen kann." Neuer und ter Stegen sind die Keeper, die sie sind, weil sie Fußball spielen können. Gleichwohl betonte ter Stegen unlängst: "Mein Beruf ist, Bälle zu halten. Die Hände sind sehr viel wichtiger als die Füße".

In der abgelaufenen Saison verfehlte er die nach Ricardo Zamora, dem ersten Torwart von Weltruf, benannte Trofeo für den besten Keeper der Saison nur knapp. Mit 0,92 Gegentoren pro Partie landete er hinter Jan Oblak von Atlético Madrid (0,72). Mittlerweile hat er seinen Vertrag bei Barça bis 2022 verlängert. Barça setzte darin eine Ablösesumme von 180 Millionen Euro fest. Es ist ein fantastischer Preis für jenen Mann, der schon jetzt einer der besten Torhüter der Welt ist. Mit 25 Jahren.

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