DFB-Elf beim Confed Cup:Märchenschloss statt Mut zum Hinschauen

Germany Training And Press Conference

Unwirkliche Szenerie: Das DFB-Team beim Training im Kurort Sotschi

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Beim Confed Cup werden den DFB-Spielern Fragen zur Politik in Russland gestellt.
  • Während es der Job von Funktionären ist, eine Haltung zu finden, sind Joshua Kimmich, Julian Brandt & Co. vor allem Fußballer. Sehr junge Fußballer.

Von Martin Schneider, Sotschi

In den ersten Tagen der Betriebsreise der deutschen Nationalmannschaft in Sotschi ging es zweimal um einen Hut. Als er bei der Pressekonferenz am zweiten Tag in Sotschi gefragt wurde, was er denn schon mitbekommen habe von der russischen Kultur, da sagte Joshua Kimmich, man sei von einer Gesangsgruppe begrüßt worden und "jeder Spieler hat so einen Hut bekommen."

Der Hut war, um exakt zu sein, eine schwarze Fellmütze mit dem alten Wappen der Sowjetunion, Hammer und Sichel im roten Stern, darum ein goldener Lorbeerkranz. Eine dieser Mützen, wie man sie auch als Souvenir am Checkpoint Charlie in Berlin kaufen kann.

Die Quintessenz dieser Hut-Mützen-Geschichte: Die Spieler des DFB haben eigentlich keine Chance, irgendwas von richtiger russischer Kultur zu erfahren. Die Mannschaft wohnt in Sotschi in einem Fünf-Sterne-Hotel an der Küste des schwarzen Meeres. Weil morgens Training ist und die Sicherheitsvorkehrungen hoch sind, bleibt als Kontakt mit Russland eigentlich nur der Blick vom Balkon.

Berti Vogts sah in Argentinien 1978 keinen Gefangenen

Wenn ein Spieler aus dem Fenster schaut, sieht er einen Freizeitpark mit Riesenrad, Achterbahnen und Freizeitpark-Schloss, eine Formel-1-Rennstrecke und ein weiß-glänzendes Fußball-Stadion. All das liegt übereinander und hintereinander, als hätte jemand seine Lieblings-Spielsachen in eine Kiste gelegt. Nur halt mit einer richtigen Rennstrecke statt einer Carrera-Bahn. Nun gibt es natürlich viele künstliche Orte auf der Welt, die Taxifahrer in Sotschi nennen ihre Heimat auch konsequenterweise "Little Las Vegas".

Weil der Confed Cup aber in Russland stattfindet, hat sich eine gewisse gesellschaftspolitische Erwartungshaltung eingeschlichen. Und weil man in drei Pressekonferenzen vor einem Spiel gegen Australien nicht stundenlang die Vor- und Nachteile einer Dreierkette gegenüber einer Viererkette diskutieren kann, werden nicht nur an Funktionäre, sondern auch an Spieler entsprechende Fragen gestellt. Nicht nur Joshua Kimmich, auch Sandro Wagner sagte zum Beispiel beim Spiel in Nürnberg gegen San Marino auf die Frage, was er vom Land erwarte, jeder Spieler habe ein Infoblatt zu Russland bekommen. Das müsse er sich aber noch durchlesen.

Die Frage, was man von aktiven Fußballern gesellschaftspolitisch erwarten darf, ist natürlich nicht neu. Und die Vergangenheit zeigte: eher wenig. Berti Vogts sah beim WM-Turnier der Militär-Junta 1978 in Argentinien keinen einzigen politischen Gefangenen, Franz Beckenbauer keinen Sklaven in Katar. Einem der aktuellen Nationalspieler dürfte so etwas nicht passieren - und das darf man schon mal als Fortschritt werten. Man darf aber auch davon ausgehen, dass der DFB seine Spieler entsprechend brieft und ihnen den Rat mitgibt, im Zweifel vorsichtig mit Statements zu sein. Und Zweifel gibt es eigentlich fast immer.

Jedes Stück Stoff wird in Russland politisch

Der DFB will wegen des Todes von Helmut Kohl gegen Australien mit Trauerflor spielen, ein Antrag ist eingereicht. Ein bei der Fifa üblicher Vorgang. Aber auch einer, der Erinnerungen weckt. An gleicher Stelle, vor drei Jahren bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi, hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) ukrainischen Sportlern das Tragen eines Trauerflors verboten. Damals wollten die Athleten der Toten bei Straßenschlachten in Kiew gedenken - durften sie aber nicht. Hatte das damit was zu tun, dass sie Ukrainer sind? Dafür sprach: Kurze Zeit später brach ein Krieg in der Ost-Ukraine aus. Dagegen sprach: Auch norwegischen und kanadischen Sportlern, die an den Verlust von Freunden und Angehörigen erinnern wollten, untersagte das IOC bereits vor den Ukrainern mit Verweis auf die Charta die offizielle Trauer am Arm.

Jedes Stück Stoff wird in Russland politisch und auch ehemalige Berufspolitiker wie DFB-Präsident Reinhard Grindel tun sich schwer damit, einen Kompass in diesem Geflecht zu finden. Doch Joshua Kimmich, Julian Brandt und Antonio Rüdiger sind im Gegensatz zu Grindel neben ihrer Rolle als deutsche Repräsentanten zuallererst Fußballer. Sehr junge Fußballer. Die ihren Stammplatz für eine Weltmeisterschaft im kommenden Jahr nicht sicher haben, die in einen Terminplan zwischen Hotel, Trainingsplatz, Stadion und Flughafen gepackt werden. Und die sich zwischendurch einen Hut aufsetzen, der eigentlich eine Mütze ist.

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