DFB-Elf beim Confed Cup:Jogi wird zum Yogi

Germany v Cameroon - FIFA Confederations Cup Russia 2017 - Group B

Joachim Löw erklärt seinen Profis das Spiel - diese Rolle mag der Bundestrainer.

(Foto: REUTERS)
  • Joachim Löw macht beim Confed Cup vieles richtig - er hat sich wieder darauf besonnen, sein Team zu entwickeln.
  • Die neuen Nationalspieler schwärmen vom Bundestrainer.

Von Philipp Selldorf, Sotschi

Muss Joshua Kimmich seinen Ausweis vorzeigen, falls er im Kino einen Film mit expliziten Inhalten sehen möchte? Zu dieser Frage übermitteln die Nachrichtenagenturen keine verlässlichen Informationen, fest steht aber, dass Kimmich von Alters wegen berechtigt wäre, einen Kinofilm zu schauen, der Volljährigkeit bedingt; unter anderem darf er außerdem wählen sowie Branntwein und branntweinhaltige Getränke konsumieren - und als Kapitän die Fußball-Nationalmannschaft anführen. Letzteres hat er erstmals am Sonntag in Sotschi getan, als ihm Julian Draxler die Armbinde reichte, bevor er zur Auswechslung das Feld verließ.

Schon Draxler, 23, hat als Verantwortlicher für Seitenwahl und Wimpeltausch während des Confed Cups die Sehgewohnheiten des Publikums herausgefordert, dass nun aber das hohe Staatsamt in die Hände des 22 Jahre alten Kimmich überging (dessen unschuldiges Aussehen jeden Kinokartenverkäufer misstrauisch machen müsste), das lässt den Betrachter noch mal innehalten.

Derselbe Kimmich durfte beim FC Bayern in der vorigen Saison lediglich eine geduldete Nebenrolle spielen, und nun vollendete er als Kopf einer bunt gemixten Mannschaft den 3:1-Sieg gegen Kamerun und damit einen Erfolg, der als Coup gesehen werden darf: Es ist keine Sensation, dass Jogi Löws Auswahl der stellvertretenden Weltmeister das Halbfinale des Turniers erreicht hat, aber der Gruppensieg und vor allem der dafür aufgebrachte Behauptungswille sind Zutaten, die man nicht erwarten konnte. Eines aber musste Kimmich, 22, klarstellen: "Es ist eine Riesenehre, für Deutschland in meinem jungen Alter die Kapitänsbinde tragen zu dürfen", sagte er, "der Jule ist allerdings auch nicht viel älter."

Einem Spieler wie Kroos kann Löw nicht mehr viel beibringen - Marvin Plattenhardt schon

Am nächsten Tag blickten die Nationalspieler von ihren Hotelbalkonen auf ein türkisfarbenes Meer unter blauem Himmel und auf einen Strandrummel, der an die mediterrane Hochsaison erinnerte. Löw gewährte Freizeit bis zum Dinner um acht, schon am Vorabend hatten sich die Spieler darauf gefreut, wie sie reihum erzählten. In Sotschi bleiben zu dürfen, das sei "vom Gefühl her viel besser", hob Kimmich hervor, "einen Tag länger Zeit zu haben, nicht umziehen, nicht wieder fliegen zu müssen, das ist für den Kopf wichtig".

Die Alternative im Falle des zweiten Platzes wären drei Nächte in dem freudlosen Kettenhotel an der Chernyshevskogostraße in Kasan gewesen, das die Deutschen vor dem Chile-Spiel bewohnten, sowie die Begegnung mit Portugal am Mittwoch anstelle des Treffens mit Mexiko am Donnerstag.

Der Bundestrainer hat also einiges riskiert mit seinen strategischen Umbauten gegen Kamerun, die auf Vorteile für Halbfinale und Finale zielten, aber das Hier und Jetzt gefährdeten. Die Stützen Hector, Goretzka und Stindl raus, die Neulinge Plattenhardt und Demirbay sowie Werner rein, das hätte, wie die mühselige erste Halbzeit offenbarte, auch schief gehen können. Stattdessen empfing Löw nach Spielende Glückwünsche für unglaubliche Zahlen: Im 150. Spiel als oberster DFB-Coach feierte er den 100. Sieg. Was ihm das bedeutet, das hatte er schon vorher kundgetan: "Besser als 100 Niederlagen."

Aber gut, da es jetzt halt passiert war, wollte er nicht unhöflich sein und machte etwas mit bei den Elogen, indem er einräumte, 100 Siege seien "natürlich auch schön". Wieder kam der Verdacht auf, dass sich die Eitelkeiten dieses Mannes tatsächlich vor allem auf seine wirklich beneidenswerte Haarpracht und seinen gepflegten Auftritt richten, dass aber die harten Währungen der Branche - Titel, Erfolgsstatistiken, Prestigegeltung - untergeordneten Stellenwert einnehmen. Womöglich in zunehmendem Maße.

Löw ist im Grunde unantastbar

Seine Unabhängigkeit schöpft Löw einerseits aus dem Status der Unantastbarkeit und andererseits aus dem Bewusstsein, dass ohnehin geschehen wird, was geschehen muss. Aus dem DFB-Lager am Schwarzmeerstrand wird berichtet, dass der Bundestrainer zwar mit seinen Spielern die Vorliebe für den Verbleib in Sotschi teilte, dass er sich aber auch mit der gegenteiligen Variante arrangierte: "Ach, was macht es für einen Unterschied, ob wir dieses oder jenes Halbfinale spielen", soll er so oder ähnlich ausgesagt haben. Klingt verdächtig nach fernöstlichem Seelenfrieden. Wird Jogi jetzt wirklich zum Yogi?

In Wahrheit war es doch eher der Trainer-Instinkt, der ihn das Wagnis eingehen ließ - zugunsten eines erfolgreichen Turnierfinales und zudem gegen ein Kamerun, das ein begrenztes Risiko darstellte. In diesen Handlungen erweist sich außer angewandtem Wissen auch das Vergnügen am gestalterischen Vermögen, das Löw bei diesem Turnier wiederentdeckt hat.

Er darf jetzt wieder ein Lehramt ausüben mit Spielern, die auf ihn hören, die hoch motiviert sind und mit rührendem Eifer vor ihn treten. "Sehr, sehr dankbar" sei er, dass er noch ein paar Einsatzminuten bekommen hatte, erklärte Amin Younes, obwohl er sich "die ganze Nacht" über seine verpasste Torchance ärgern werde. Der Berliner Plattenhardt erstarrte in Ehrfurcht, als er von Reportern um seine Meinung zum Bundestrainer gebeten wurde. Er finde Löw "sympathisch", brachte er verlegen hervor.

"Was soll der Jogi einem Toni Kroos noch beibringen?", sagt ein enger Mitarbeiter des Bundestrainers in Sotschi. Bei der EM in Frankreich im vorigen Jahr lenkten sich die amtierenden Weltmeister mehr oder weniger selbst, der Betrieb funktionierte aus Gewohnheit und aus Gründen der Professionalität, aber er ließ die Inspiration vermissen. Löw bildete da als Trainer keine Ausnahme. Nun sagte er in Sotschi, er sei "wirklich stolz auf die Jungs, wie sie das gemeistert haben". Jungs: So nennt er Kroos und Khedira und all die anderen schon lange nicht mehr.

Vor ein paar Wochen noch hatte Löw den Confed Cup als unvermeidlichen Preis des Glücks gesehen, das er 2014 in Rio de Janeiro erlebt hatte: Wären wir nicht Weltmeister, müssten wir nicht zum Confed Cup - da sind wir doch lieber Weltmeister und fahren zum Confed Cup, so lautete seine Devise. Jetzt empfindet er das Turnier als "Geschenk", es gibt ihm die Chance, wieder die Fährte aufzunehmen, die bei der EM in Frankreich ein wenig verloren ging.

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