DFB-Elf beim Confed Cup:Der nächste Jogi-Zyklus nimmt Gestalt an

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  • Beim Confed Cup schauen plötzlich über elf Millionen TV-Zuschauer zu - weil die DFB-Elf begeistert.
  • Joachim Löw hat es geschafft, dass er schon jetzt zahlreiche neue Spieler fürs Morgen zur Verfügung hat.
  • Der Drang seiner Elf, ihr Wille - diese Attribute beeindrucken den Bundestrainer.

Von Philipp Selldorf, Sotschi

Joachim Löw verzog die Miene, als ob er von saurer Milch mongolischer Yak-Kühe hatte trinken müssen. Widerwille und eine Spur von Erschrecken standen plötzlich im Gesicht des Bundestrainers. Mit dieser Zumutung hatte er nicht gerechnet, mitten in diesen schönen Abend hinein, der den 4:1-Sieg gegen Mexiko gebracht hatte. "Darüber sollten wir heute Abend eigentlich nicht sprechen", stellte er fest. Es lag Tadel in seinem Tonfall.

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Zwei Mal im Finale: Es sieht gut aus für den deutschen Fußball, doch der DFB muss eine hohe Frequenz anschlagen, um in der Weltspitze mithalten zu können.

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Bis zu dieser Stunde war niemand, auch nicht Das Goldene Blatt oder die Zeitschrift Muttis Lieblinge, auf die Idee gekommen, die jugendliche Fußball-Aushilfsnationalmannschaft nach ihrer Rückkehr vom Confed Cup für einen öffentlichen Triumphzug am Brandenburger Tor oder doch zumindest am Frankfurter Römerberg zu empfehlen. Löw fand es grotesk, dass er nach dem Halbfinal-Erfolg mit diesem Gedanken konfrontiert wurde: "Das ist jetzt nicht das Thema", entschied er, doch mit dieser Ansicht ist er womöglich nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Sein neues Deutschland geht ins Finale eines Fifa-Turniers - mit einer Mannschaft, die die Leute begeistert.

Bis vor ein paar Tagen war der Confed Cup, dieser Sommer-Wettbewerb des ohnehin überall verpönten Weltverbandes, in jedem Winkel des Weltmeisterlandes als Belästigung aufgefasst worden - allenfalls geeignet, um Fifa-Funktionäre zu beschimpfen und ein paar Witze zu machen. Höhnisch hatte beispielsweise Schalkes Manager Christian Heidel das Argument aufgegriffen, dass der Confed Cup als Testlauf für den WM-Veranstalter dienen werde. "Ach ja?", sagte er: "Und gibt es dann demnächst auch einen Testlauf fürs Oktoberfest?" Überflüssig war das unvermeidliche Adjektiv, das dem Turnier in den Diskursen angehängt wurde.

Dürfen sich von Flicks Zehn-Prozent-Ansage auch angesprochen fühlen: Timo Werner (links) und Leon Goretzka (rechts, zusammen mit Lars Stindl) und alle Kollegen aus den 1995er-/1996er-Jahrgängen, die hier beim Confederations Cup 2017 in Russland noch bis ins Finale vorstießen. (Foto: Yuri Cortez/AFP)

Aber dass sich das Ansehen der Sache gewandelt hat, ließ sich nach dem Erreichen des Finales in St. Petersburg außer an der Einschaltquote (mehr als elf Millionen Zuschauer) auch an den fernmündlichen Mitteilungen der Spieler ablesen, denen Löw die Reise nach Russland erspart hatte. Glückwünsche entrichteten unter anderen Thomas Müller, Sami Khedira und Jerome Boateng. Mesut Özil bekannte: "Ich bin wirklich glücklich für Euch, Jungs". In diesen Schreiben äußerte sich zweierlei: Eine gönnerhafte Geste der alten Herren - und eine öffentliche Meinung mit dem Charakter des Schilfrohrs, das sich nach dem Wind richtet.

Das Resultat des Halbfinales sei dem Spielverlauf nicht angemessen gewesen, beschwerte sich nach dem 1:4 nicht zu Unrecht Mexikos kolumbianischer Trainer Carlos Osorio. Aber Einwände gegen den deutschen Sieg wollte er keineswegs erheben. Die deutsche Elf verpasste ihrem Gegner Treffer von chirurgischer Präzision mit einem Timing, das die Mexikaner demoralisierte. Es sah aus wie geplant, und das war es angeblich auch. Nach der Erfahrung des Chile-Spiels, als die Deutschen zunächst eine Art Sturmlauf über sich hatten ergehen lassen, galt diesmal der Vorsatz, "schon in den ersten Minuten da zu sein", wie Leon Goretzka sagte.

Der Plan war, die Mexikaner mit Dominanz zu überraschen und zu beeindrucken, und der Plan ging vor allem deshalb so effektvoll auf, weil Goretzka zwei seiner typischen Läufe in die Tiefe bzw. Spitze mit zwei perfekten Abschlüssen kombinierte (6./8.). Timo Werners Lob ("in den ersten zehn Minuten hat Leon alles zerbombt, was ihm vor dem Tor vor die Füße fiel") führte allerdings in die Irre: Die jungen Musterschüler waren weniger mit altgermanischer Wucht und Gewalt, als mit Klarheit und kühlem Zielbewusstsein vorgegangen. Dieses beinahe intellektuelle Niveau konnten sie naturgemäß nicht 90 Minuten halten, aber sie schafften es, immer wieder daran anzuschließen. "Grandiose Leistung", schwärmte Löw stolz.

Auch beim 4:1 gegen Mexiko wird Sotschi zum Chiffre für den nächsten Aufbruch beim DFB

Osorio mag sich im Laufe der Partie die Frage gestellt haben, ob sein Kollege womöglich ein Bündnis mit dem Satan eingegangen ist, das Löw außer ewiger Jugend und immer vollem, schwarzem Haar auch dauerndes Matchglück garantiert. Die Mexikaner machten Druck, sie kämpften, attackierten, schossen 24 Mal aufs Tor, doppelt so oft wie der Gegner, doch die Deutschen gaben die konkreteste aller Antworten: Sie ließen Tore sprechen, sogar Mexikos Ehrentreffer erwiderten sie prompt.

"Was für uns wichtig und imponierend war", hob Löw hervor, "dass wir gemacht haben, was wir besprochen hatten". Diesen Trainer-Satz hört man öfter, wenn Trainer über einen Sieg ihres Teams sprechen, in Sotschi aber äußerte sich kein selbstzufriedener Fußball-Oberlehrer, sondern ein Vertrauenslehrer, der längst begonnen hat, seine gelehrige Schulklasse zu lieben. "Wir haben vor dem Turnier gesagt, dass nicht die Ergebnisse, sondern die Erkenntnisse im Vordergrund stehen sollen", brachte Teammanager Oliver Bierhoff noch mal den Auftrag in Erinnerung, nun hat man beides in Koexistenz.

Auch im Halbfinale hatte der Bundestrainer ja nicht aufgehört, an seinen Versuchsanordnungen zu arbeiten. Diesmal experimentierte er mit dem Rechtsverteidiger Benjamin Henrichs, und das hat zwar mitsamt der Konsequenzen (Joshua Kimmichs Umzug ins Abwehrzentrum) nicht immer stabil ausgesehen, brachte aber dennoch messbaren Zugewinn. Ohne Henrichs´ brillanten Pass hätte Goretzka nicht brillant das 1:0 geschossen.

Löw will, das hat er autoritär klargestellt, nächstes Jahr mehr als bloß zwei, drei Spieler seiner selbstgemachten Confed-Cup-Familie in die WM-Elf integrieren. Es ist nicht so, dass er die alten Getreuen loswerden möchte, den Sami, den Mesut, den Benni und die Marios, aber der Gedanke, zur WM alles wieder zurückzubauen, was bei der Mini-Mini-WM entstanden ist, widerstrebt ihm. Dieser letzte Abend in Sotschi gewährte, wenn die Zeichen nicht täuschen, einen schon ziemlich panoramahaften Ausblick auf das Nationalteam der Zukunft.

Der nächste Jogi-Zyklus nimmt Gestalt an: Bei der WM 2010 und im Jahr zuvor beim Gewinn der U21-EM hat sich die Generation mit Neuer, Hummels, Höwedes, Khedira und Özil dauerhaft im DFB-Team eingerichtet, und jetzt deuten Spieler wie Goretzka, Werner, Süle, Henrichs und - bloß nicht zu vergessen! - ter Stegen die Lösung für die Erbfolge an.

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Im Laufe der vergangenen vier Wochen hat Löw eine Art Entwurf angefertigt, den er vielleicht noch nicht 2018 verwirklichen wird, aber spätestens 2020 bei der Europameisterschaft. Dann endet vorerst sein Arbeitsvertrag, dass ihm die Zeit bis dahin langweilig oder er der Sache überdrüssig werden könnte, ist nach den jüngsten Erfahrungen nicht anzunehmen.

Der Ferienort Sotschi am Schwarzen Meer wird womöglich zur Chiffre für den nächsten Aufbruch des deutschen Fußballs. Die Mannschaft verlasse das lieb gewonnene Domizil "mit einem weinenden Auge", meinte Timo Werner, aber es gab keine melancholischen Anwandlungen.

Die Begegnung mit Chile in St. Petersburg, darum geht es jetzt: "Wenn wir nach Madagaskar oder ans andere Ende der Welt fahren würden, dann würden wir uns auch freuen, weil: so ein Finale spielt jeder gern", verriet Werner, was sein Trainer längst wusste. Keinen Überschwang habe er in der Kabine erlebt, bloß den für seine frühreifen Fußballer typischen Ehrgeiz, berichtete Löw: "Dieser Drang, gegen Chile zu gewinnen, der ist groß."

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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