DFB-Elf bei der Fußball-WM:Vereint gegen Gemeinheiten von außen

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Die DFB-Elf bildet einen Kreis, in der Mitte der Bundestrainer. (Foto: dpa)

Die WM strapaziert nicht nur die Körper, sondern auch die Gemüter: Die Nationalmannschaft wappnet sich gegen externe Angriffe - das ist nicht neu und muss für die Form nicht schlecht sein.

Von Philipp Selldorf, Santo André

Nach den Darstellungen der berufs- und gewohnheitsmäßigen Kommentatoren hat sich Per Mertesacker am Montag nach dem Spiel gegen Algerien in ein Monstrum verwandelt. In eine böse Kreatur und ein Frankenstein-Wesen namens "Wut-Per", und zwar deshalb, weil er in einem sogenannten Flash-Interview kurz nach dem Abpfiff widerborstig auf Fragen des ZDF-Reporters Boris Büchler reagierte.

Mertesacker hat Büchler nicht geschlagen, er hat auch nicht geflucht und niemanden beleidigt, sondern bloß gemotzt ("Was soll die Fragerei?") und ein wenig Luft abgelassen. Aber das Interview war trotzdem sofort ein Thema für den öffentlichen Diskurs. Eine Grundsatz- debatte über die Spezies der Profifußballer, über die DFB-Pressepolitik und über die Institution des "Flash-Interviews" entbrannte, und Oliver Pocher hat wie üblich eine billige Satire draus gemacht. Die Nachrichtenagenturen begleiteten die nichtige Begebenheit, als ob es sich um einen schwer wiegenden Zwischenfall gehandelt hätte. dpa zum Beispiel sendete einen Text unter der Überschrift: "Rasend vor Wut - Promi-Ausraster vor laufender Kamera".

Mertesacker ist kein Monster, er ist auch nicht der Raserei verfallen. Aber wütend war er, das stimmt. Bevor Büchler das Wort an ihn richten konnte, hatte der Nationalspieler schon gegen die im Hintergrund platzierte Stellwand mit den Sponsorenlogos getreten. Nicht etwa deshalb, weil ihm die Sponsoren missfallen, sondern weil in Mertesacker noch all die widerstreitenden Emotionen des mehr als zweistündigen Spiels tobten.

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Da ahnte der Reporter, dass es wohl besser wäre, den Gesprächspartner erst mal ein wenig zu beruhigen. Der Versuch, eine freundliche Atmosphäre herzustellen, in dem er seinem Gegenüber zum Sieg gratulierte, blieb jedoch ohne Erfolg. Mertesacker ließ sich nicht besänftigen.

Was nichts mit dem Journalisten Boris Büchler und dessen Fragen zu tun hatte. Vermutlich hätte er auch jeden anderen Interviewer angemotzt, selbst dann, wenn es Vanessa Huppenkothen gewesen wäre, die angeblich die schönste Reporterin der WM ist (sie arbeitet beim mexikanischen Fernsehen, spricht aber dank deutscher Herkunft die deutsche Sprache).

Als Fallbeispiel für sittliche, politische oder medientheoretische Erörterungen taugt diese Episode jedoch nicht. Büchler hat professionell seinen Job gemacht, und Mertesacker hat sich nicht moralisch disqualifiziert. Der 29 Jahre alte Niedersachse ist ein Mann mit ausgeprägtem Anstandsgefühl, der sich sozial engagiert, und der im Laufe der zehn Jahre bei der Nationalmannschaft einen einzigen namhaften Wutausbruch zustande brachte: Im Laufe der WM 2006 schüttelte er einmal vor der Pressetribüne die Faust, weil er das Gefühl hatte, die Mannschaft sei von den Medien ungerecht behandelt worden. Heutzutage wird Mertesacker von den Reportern geschätzt, weil er etwas zu sagen hat, weil er etwas zu erzählen weiß, und weil er auch die rhetorischen Mittel dazu besitzt.

Aber es ist nun auch so, dass sich Mertesacker und seine Mitspieler bereits in der vierten Turnierwoche befinden, das Warten auf das erste Spiel eingerechnet. Aus der Episode mit dem Verteidiger hat eine andere Nachrichtenagentur geschlussfolgert, "dass (im deutschen Team) die Nerven blank liegen", was zwar sicher eine Übertreibung ist.

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Ein Stück Wahrheit ist aber enthalten in dieser Standardformulierung. Das Turnier strapaziert nicht nur die Körper, sondern auch die Gemüter, und die Vertreter der öffentlichen Meinung sind für die Akteure willkommene Feindbilder. Die Empfindlichkeiten wachsen. Sami Khedira etwa hat in der Interviewzone im Stadion von Porto Alegre das Gespräch verweigert - zur Erklärung verwies er auf die Kritik, die der ARD-Experte Mehmet Scholl an ihm geübt hatte.

Auch Bastian Schweinsteiger scheint beleidigt zu sein. Warum? Man weiß es nicht. Er redet nicht mit den Reportern. Dass er nach dem Spiel gegen Algerien zwei kurze Fernseh-Interviews gab, war schon eine Besonderheit. Selbst Bundestrainer Joachim Löw, der gewöhnlich über den Dingen zu stehen pflegte, beklagte sich jetzt in der Zeit über die schlechten Noten für Mesut Özil, "diese Art der Kritik ist für mich unverständlich", sagte er und erklärte sein Unverständnis damit, dass Özil doch 2010 und 2012 zu den besten Spielern des Turniers gerechnet worden sei. Wahrscheinlich wird Löw bald selbst bewusst sein, dass das eine mit dem anderen nicht so viel zu tun hat. Jetzt aber, mitten im WM-Tunnel, sieht er es nicht. Jetzt vereint sich die Belegschaft im DFB-Quartier gegen die Gemeinheiten und Gefahren, die von außen kommen.

Den Ärger über die Wegbegleiter von Presse, Funk und Fernsehen dürfte es ungefähr so lange geben, wie es die internationalen Fußballturniere gibt. Weltmeisterschaften setzen Spieler und Verantwortliche Extremsituationen aus. Mertesackers minimaler Wutausbruch ist nur eines von 1001 Beispielen. Der Zorn und Zynismus des Teamchefs Franz Beckenbauer nahm 1986 Ausdrucksformen an, die in der hoch überdrehenden Medienöffentlichkeit der heutigen Zeit derartige Diskussionstätigkeit auslösen würde, dass die technischen Systeme zusammenbrechen würden. Rudi Völler reagierte 2002 den WM-Koller am südkoreanischen TV-Experten Bum Kun Cha ab ("zu viel Aspirin gefressen"). Am selben Tag entschuldigte sich Völler bei Cha, aber es ging ihm besser nach diesem kleinen Zwischenfall. Es hatte ihm gut getan, mal ein bisschen Ärger loszuwerden.

© SZ vom 03.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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