DFB-Elf bei der Fußball-WM:Bis zur Überheblichkeit ist es nicht weit

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"Egal, wie es kommt - nervös werden wir deshalb nicht": Joachim Löw bei einer Pressekonferenz des DFB

(Foto: REUTERS)

Losglück? Darauf ist die DFB-Elf für die Vorrunde der Fußball-WM kaum angewiesen. Die eigene Arroganz könnte der stärkste Gegner sein.

Kommentar von Philipp Selldorf

Zeitzeugen, die ihn jahrelang unter Stressbedingungen aus der Nähe erleben durften, sagen über den Bundestrainer, er sei zwar schon immer ein entspannter Mann gewesen. Trotzdem sei die innere Ruhe vormaliger Tage mit dem harmonischen Gleichgewicht heutiger Zeiten nicht zu vergleichen: "Das ist jetzt noch mal eine andere Dimension", heißt es. Wenn also Joachim Löw vor der Auslosung für die Weltmeisterschaft erklärt, "egal, wie es kommt - nervös werden wir deshalb nicht", dann handelt es sich nicht um gespielte Gelassenheit. Löw wird auf dem Weg nach Moskau keine pharmazeutischen Schlafmittel im Gepäck haben, er wird kein Hopfenblütenbad nehmen und keinen Tee aus der losen Baldrianwurzel trinken, damit er in seinem Hotelbett zur Ruhe findet. Allenfalls wird er vor dem Schlafengehen noch eine Gurkenmaske gegen Faltenbildung auflegen.

All die Jahre durften deutsche Bundestrainer auf einen Faktor vertrauen, der unter dem Begriff "Losglück" ein treuer Gehilfe der DFB-Teams war. Die Nachkriegsgeschichte bietet dafür so viele Beispiele, dass der Begriff Glück nicht passt: Glück ist ein unzuverlässiger Begleiter. Den Deutschen aber wurden in solcher Konstanz die unangenehmsten Gegner vorenthalten, dass die Welt glauben musste, der DFB habe darüber einen Vertrag abgeschlossen.

Von der Gelassenheit zur Überheblichkeit ist es nicht weit

Lediglich 1986 war das ein wenig anders, damals bekam man es mit Schottland, Dänemark und Uruguay zu tun. Dass Franz Beckenbauers Mannschaft nach der Vorrunde auf dem zweiten Platz landete, war dann aber auch wieder ein Glücksfall. So traf man im Achtelfinale auf Marokko, während sich der allseits bewunderte Gruppensieger Dänemark den starken Spaniern stellen musste und 1:5 verlor.

Vor der Auslosung zur WM 2010 hatte Löw noch maximale emotionale Anteilnahme offenbart: Er sei "einen Tick aufgeregt", erklärte er - dann bekam er Australien, Ghana und Serbien zugewiesen, und überall hieß es wieder: Losglück! Weshalb der Bundestrainer voller Genugtuung reagierte, als vier Jahre darauf die Würfel auf Portugal, Ghana und Jürgen Klinsmanns USA fielen. Diesmal könne von Losglück keine Rede sein, insistierte er. Ernsthafte Probleme gab es aber erst im Achtelfinale mit dem vermeintlichen Außenseiter Algerien.

Wenn nun in Moskau die deutsche Vorrundengruppe komponiert wird, muss sich beim DFB niemand die Mühe machen, die Daumen zu drücken. Aus dem Teilnehmerfeld lässt sich kein Schreckensszenario konstruieren, sogar dann nicht, wenn die irrigerweise dem zweiten Lostopf zugeteilten Spanier in die Quere kommen sollten. Die möglichen Härtefälle, die sonst noch drohen, verbreiten kein Entsetzen: weder Costa Rica und Japan noch Tunesien und Südkorea. Der Gegner, den die Deutschen in ihrer Eigenschaft als aktueller Champion und Weltranglistenerster fürchten möchten, ist ihre eigene Arroganz.

Wenn Mats Hummels sagt, er wünsche sich Kolumbien oder andere Länder, gegen die er noch nie gespielt habe, dann drückt er damit zwar gesunde Neugier aus. Aber auch unbewusst ein wenig Dünkel. Darauf wird Löw wohl noch häufig hinweisen müssen: Von der Gelassenheit zur Überheblichkeit ist es nicht weit.

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