DFB:Der Durchstarter

04 09 2016 Fussball WM Qualifikationsspiel Norwegen Deutschland im Ulleval Stadion Oslo Joshu; kimmich

Setzt zum Schuss vor seinem ersten Länderspieltor an: Joshua Kimmich

(Foto: imago/MIS)

Joshua Kimmich schießt gegen Norwegen nicht nur sein erstes Länderspieltor, sondern zeigt: Er wird wohl auf Jahre hinaus seinen Platz in der Nationalelf bekommen.

Von Jonas Beckenkamp, Oslo

Von all den Läufen, die Joshua Kimmich an diesem Abend im Osloer Norden absolvierte, war der letzte der schwierigste: Es ging vorbei an groß gewachsenen Gegenspielern, Typen mit schwerem Geschütz und drängenden Fragen - es ging durch den Korridor, an dem die Reporter mit ihren Mikros und Kameras die Protagonisten erwarten. Die "Mixed Zone" ist als Begegnungsort zwischen Fußballern und Fußballbeobachtern gedacht. Aber Kimmich begegnete allen Avancen ("Joshua, ein paar Worte zum Spiel") mit einem Blick, der sagte: Lasst mich lieber in Ruhe, ihr habt ja alles auf dem Platz gesehen.

Sollten die deutschen Nationalspieler eines Tages vor dem jüngsten Gericht landen und in der Kategorie "Selbstbewusstsein" katalogisiert werden, Kimmich wäre sicher ganz vorne dabei. Dem jungen Bayern-Profi fehlt es an einem sicher nicht: dem Glauben, dass er schon ganz gut Fußball spielen kann. Das 3:0 der deutschen Nationalelf in Norwegen untermauerte Kimmichs Selbstwahrnehmung noch einmal eindringlich - denn der 21-Jährige hatte ja nicht nur sein erstes Länderspieltor erzielt, sondern auch in anderen Facetten des Spiels überzeugt.

Obwohl er als Rechtsverteidiger aufgestellt war, gab er nämlich einen Verwandlungskünstler ab: Mal hinten, dann ganz oft vorne und zwischendrin auch irgendwann in der Mitte. Kimmich hatte den von Joachim Löw eingeforderten Drang zum Tor von allen am meisten verinnerlicht. "Der Abschluss ist ein wichtiges Thema für die Zukunft", sagte der Bundestrainer, "denn uns fehlte in der Vergangenheit manchmal die Effizienz." Und die Abschlussmeister dieses Quali-Auftaktes hießen nun einmal Thomas Müller, der doppelt traf, und Joshua Kimmich.

Es sind Szenen, wie jene in der 45. Minute, die Löw sich von seiner Mannschaft wünscht: Ein Pass durch die Linien von Mesut Özil, eine blitzgescheite Direkt-Weitergabe von Müller und ein Strafraumspurt von Kimmich - die Norweger standen beim Tor des Münchners zum 2:0 daneben wie Landgänger eines Hurtigrutenschiffes. Später, vor den Fernsehkameras des ZDF, zeigte der gebürtige Schwabe eine echte Gefühlswallung: "Mein erster Treffer ist für mich besonders, ich schieße ja nicht so viele Tore." Dass die Norweger ihm anders als viele Teams bei der Euro eine Freihandelszone gewährten, war ihm aber schon auch aufgefallen: "Ich hatte viel Freiraum, konnte viel flanken."

Lob bekam der Durchstarter trotzdem von allen Seiten, etwa von Mats Hummels: "Joshua hat Talent und eine sehr richtige Einstellung. Um seine Entwicklung muss man sich keine Sorgen machen, er wird noch viel besser." Ähnlich hörte sich das bei DFB-Manager Oliver Bierhoff an: "Er ist ein sehr offener Typ. So wie er hier auftrat, ist er auch: locker, unbedarft, lernwillig." Aus dem "süßen, süßen Jungen" (Pep Guardiola) scheint dank seiner Auffassungsgabe gerade einer heranzuwachsen, dem die rechte Seite auf Jahre gehören könnte. Bei Löw sowieso - und bei den Bayern dann eben nach dem nahenden Karriereende von Philipp Lahm.

Beim DFB stört sich offenbar niemand daran, dass Kimmich in München derzeit eher im Zentrum eingeplant ist. "Er wird auch dort seine Minuten bekommen", fand Bierhoff, "und die Positionsumstellung von der Mitte nach außen muss kein Nachteil sein." De facto tun sich als Außenverteidiger ohnehin mehr Perspektiven auf, denn um hinter Kimmich weitere Alternativen zu finden, muss man schon tief in den Bundesliga-Kadern kramen. Chancen dürften in diesem Segment allenfalls noch der Leipziger Lukas Klostermann, 20, und der Hoffenheimer Jeremy Toljan, 22, haben. Sebastian Rudy oder Erik Durm hat Kimmich längst abgehängt.

Er profitiert von der neuen Jugend-Initiative des Bundestrainers. Löw hatte angekündigt, die kommenden beiden Jahre bei der Kaderplanung mehr in die Zukunft zu denken. "Mich freut es, wenn wir so viele junge Spieler auf dem Platz haben wie heute", bemerkte Kimmich noch im Fernsehen. Dann verschwand er in der Dusche des Ullevaal-Stadions und schlängelte sich schließlich vorbei am Abwehrverbund der Reporter in den Mannschaftsbus.

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