DFB-Aus bei der Fußball-EM:Schweinsteiger: "Ich kann es leider nicht erklären"

EURO 2016 - Semi final Germany vs France

Tieftraurig: Bastian Schweinsteiger

(Foto: dpa)

Tieftraurig reagiert Bastian Schweinsteiger auf sein Handspiel im Halbfinale gegen Frankreich. War es sein letztes Länderspiel?

Von Thomas Hummel, Marseille

Nicola Rizzoli wartete ein paar Momente. Das Spiel lief weiter, doch der Schiedsrichter schien sich mit irgendjemandem zu beraten. Vielleicht mit seinem Assistenten über Funk. Dann pfiff er. Zunächst wussten die wenigsten, worum es geht. Oder war vielleicht schon Halbzeit? Nur Bastian Schweinsteiger ahnte, was kommen würde.

Er hatte es schließlich gespürt. In den paar Momenten, die Rizzoli zur Konsultation benötigte, durfte er hoffen, der Schiedsrichter habe es nicht gesehen. Oder würde es nicht als absichtliches Handspiel werten. Doch spätestens als ihm der Schiedsrichter die gelbe Karte vor die Stirn hielt, war ihm das Ausmaß seines Missgeschicks klar. Es würde gleich Elfmeter geben.

Schweinsteiger lässt die Schultern hängen

Mehr als zwei Stunden später kam Bastian Schweinsteiger aus der Kabine. Er stellte sich neben Manuel Neuer und sah im Schatten den großen Torwarts überraschend klein aus. Dieser breite, kräftige Mann versuchte auch gar nicht, sich besonders groß zu machen. Sondern ließ einige Male den Kopf weit nach unten hängen. Wie konnte das nur passieren? Sein erster Kommentar war ein tiefer, sehr tiefer Seufzer.

Germany v France - Semi Final: UEFA Euro 2016

Die Szene in der Bastian Schweinsteiger seine Hände plötzlich nicht mehr unter Kontrolle hatte

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Die Deutschen hatten trotz ihrer vielen Personalprobleme im Halbfinale eine phänomenale erste Halbzeit gespielt. Hatten die Franzosen weit in den eigenen Strafraum zurückgedrängt, sie oft wie Nordiren aussehen lassen. Schweinsteiger führte das deutsche Spiel von hinten heraus an, stand in den richtigen Räumen, war immer anspielbar, wählte schlaue Pässe. Der hochdekorierte Paul Pogba etwa konnte an diesem Abend einiges über strategisch gekonntes Mittelfeldspiel lernen. Doch dann flog dieser Eckball in den deutschen Strafraum. Patrice Evra köpfelte und neben seinem Schädel tauchte eine Hand auf.

Es war die Hand von Bastian Schweinsteiger. Es gab Elfmeter, Antoine Griezmann verwandelte zum 1:0 für Frankreich. Letzte Aktion vor der Halbzeit, ein saublöder Zeitpunkt. Wie konnte das nur passieren? "Es ist nicht einfach, wenn du in der Raumdeckung spielst", fing Schweinsteiger an. Die Gegenspieler seien mit Schwung gekommen, da müsse man versuchen zu blockieren, sich dagegenzustemmen. Antoine Griezmann hatte diese Ecke anders geschlagen als sonst, mit Unterschnitt, das habe ein bisschen überrascht. "Ich habe versucht, alles zu geben, da noch irgendwie hinzukommen."

Bastian Schweinsteiger gehört spätestens seit dem WM-Finale von Rio in die Ahnengalerie des deutschen Fußballs. Damals stemmte er sich auch mit allem, was er hatte, gegen die Argentinier, verteidigte das 1:0 trotz blutender Wunde im Gesicht und mehreren Muskelkrämpfen. Es war der Höhepunkt einer Karriere, die wahrlich auch Tiefpunkte kannte. Zum Beispiel den vergebenen Elfmeter im Finale dahoam gegen den FC Chelsea. Dieses Halbfinale von Marseille wird ihm nun ebenfalls nicht in bester Erinnerung bleiben.

"Ich kann es leider nicht erklären, warum die Hand hochkommt. Vielleicht weil ein Gedanke sagt, du willst noch irgendwie abwehren. Vielleicht ging sie dann automatisch hoch", sagte er. Die Leere in seinem Blick war inzwischen vollkommen. "Das kann man schwer erklären, wie so was passiert." Er sah seine Gegenüber wieder an und schien sich ein Zeichen von Verständnis abholen zu wollen. "Ich weiß nicht, ob sie schon mal Fußball gespielt haben. Mit den Reaktionen und Reflexen passiert so was."

Löw ist Schweinsteiger nicht böse

Es wirkt bisweilen seltsam, wenn gestandene Mannsbilder tieftraurig sind über ein eigenes Missgeschick. Wenn so ein Muskelmann da steht, aber gar nicht den starken Max spielt, sondern fast um Entschuldigung bittet. Die innere Beschaffenheit korrespondiert dann nicht mehr mit der äußeren Gestalt. Es ist Schweinsteigers Größe, solche Schwächen zuzulassen. Und wer wollte ihm böse sein?

Der Bundestrainer schon gar nicht. Joachim Löw hat mit Schweinsteiger zwölf bewegte Jahre hinter sich, er warf sich im Stade Vélodrome mit Verve für seinen Kapitän in den Meinungskampf. "Der Spieler kann in der Zehntelsekunde nicht überlegen, die Hand runter zu machen. Er geht ins Kopfballduell und da ist die Hand irgendwie dabei. Das ist einfach unglücklich", erklärte Joachim Löw. Da könne man nun sagen, die Hand habe da nichts zu suchen. "Aber es gibt Bewegungen, zum Beispiel wenn man hochspringt, da ist die Hand nicht wirklich zu kontrollieren."

Manuel Neuer wies darauf hin, dass er Evras Kopfball auf jeden Fall gehalten hätte. Mats Hummels meinte, schon die Ecke sei nicht gerechtfertigt gewesen. Dafür stellte Thomas Müller trocken fest: "Denke, es war ein Handspiel."

Was wird aus Schweinsteiger?

War das nun das letzte Bild von Bastian Schweinsteiger im Trikot der deutschen Nationalmannschaft? Im 120. Länderspiel, das sicher eines der besseren war, vor allem nach all den Widrigkeiten zuvor? Er ist 31 Jahre alt, dass er es nach zwei Bänderrissen im Knie dennoch nach Frankreich geschafft hatte, war schon bemerkenswert. Schweinsteiger wirkt geschunden von tausend Kämpfen in seinem schweren Körper. Also, Herr Schweinsteiger, war es das letzte Länderspiel?

Wieder fiel der Kopf weit nach unten auf die Brust. Einem langen "Ahhhh" folgte ein langes "Hmmmm", danach ein "Ähhh". Im Eindruck der Enttäuschung nun auch noch so eine historische Frage. "Ich habe nicht darüber nachgedacht, weil ich wirklich versucht habe, meine ganze Energie, die ich hab', hier noch in das Turnier reinzulegen." Er hob den Kopf, der Blick war immer noch leer, abwesend. Er sprach davon, wie schwer es gewesen sei, nach den Verletzungen zurückzukommen, wie enttäuschend es nun sei, hier auszuscheiden.

Der Weg dieser Mannschaft aber, der würde mit Sicherheit weitergehen. "Ob auch bei mir persönlich, das warte ich erst mal ab." Schweinsteiger sprach nun leise. Es schwang sachte Melancholie mit. "Da muss ich jetzt erst mal noch überlegen."

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