DFB-Aufgebot:Joachim Löw in diplomatischer Mission

Joachim Löw

Diplomatisch unterwegs: Joachim Löw.

(Foto: dpa)

Joachim Löws Länderspielaufgebot ist ein Statement von Merkel'scher Dimension: Der Bundestrainer hält sich die Dinge offen. Und er will mit all jenen seinen Frieden machen, die er vielleicht noch brauchen könnte - auch mit Stefan Kießling und Jürgen Klopp.

Von Christof Kneer

Stefan Kießling. Stefan Kießling. Stefan Kießling. Deutsche Nationalmannschaft. Deutsche Nationalmannschaft. Deutsche Nationalmannschaft. Man muss dieses schöne Begriffspaar jetzt noch einmal genießen, es wird einem zumindest in den nächsten Monaten fehlen. Kein Spieltag verging zuletzt ja ohne die Frage, ob jene zwei Parteien, die erkennbar nicht zusammengehören, nicht doch noch zusammenfinden.

Jedes Tor, das der Stürmer Kießling schoss, vergrößerte die Frage auf gefühltes ARD-Brennpunkt-Format, ebenso jede Verletzung, die den Stürmer Miroslav Klose befiel oder den Stürmer Mario Gomez. Das Lustige an der Debatte war stets, dass ausgerechnet jene beiden Parteien die Debatte für überschätzt hielten, um die es ging: Stefan Kießling. Und die deutsche Nationalmannschaft.

Der eine - Kießling - hatte mehrmals zu verstehen gegeben, dass sein Lebensglück nicht von einer Berufung abhänge, eher im Gegenteil. Und die andere - die Nationalmannschaft - hatte sich stets elegant aus der Affäre gewunden und sinngemäß gesagt, man habe keinesfalls zu wenige Offensivspieler im Kader. Eher im Gegenteil.

Es war also keine Überraschung, dass Stefan Kießling trotz der Verletzungen von Klose und Gomez in jenem Aufgebot fehlte, das Bundestrainer Löw am Freitag öffentlich machte. In jenem Aufgebot, das nun die WM-Qualifikationskampagne gegen Irland (11.10.) und in Schweden (15.10.) zu Ende bringen soll, findet sich an keiner Stelle eine sensationelle, nicht mal eine semi-sensationelle Nachricht, aber das hatte auch niemand erwartet - nicht einmal Stefan Kießling oder die zuletzt massiv ins Team spekulierten Dortmunder Roman Weidenfeller (Tor) oder Kevin Großkreutz (überall; zurzeit hinten rechts). Auch die Berufung des Gladbachers Max Kruse als einsame Spitze vor hundert hochkarätigen Mittelfeldspielern folgt den Erwartungen.

Er habe "immer gesagt, dass wir die Qualifikation mit dem Kern des Kaders auch beenden", zitierte Löw am Freitag sicherheitshalber noch mal sich selbst. In jenem unscheinbaren Satz steckt die zentrale Botschaft, die dieses Aufgebot nach innen und außen sendet: Offiziell betrachtet Löw diesen Kader als Ende von etwas, nicht als Anfang. Ein einziger Punkt fehlt noch zur WM-Qualifikation, und dieses Aufgebot soll demonstrativ das letzte Aufgebot einer langen Qualifikationsstrecke sein. Was es demonstrativ nicht sein soll: das erste vorläufige Aufgebot der WM in Brasilien.

Löw ist ein Nominierungs-Routinier, er weiß, welche Fehler einem in dieser Phase nicht unterlaufen dürfen. Was der Bundestrainer jetzt tun muss, ist, sich auf kreative Weise ruhig zu verhalten. Er muss ein bisschen merkeln, er darf nichts vorab beschließen oder ausschließen, was ihm später leid tun könnte. Es sind demnach ebenso ernst gemeinte wie politische Sätze, mit denen er seinen Kader umrahmt. Er betont das "Vertrauen" gegenüber jenen, "die die Qualifikation gespielt haben", er weiß ja, dass er jetzt keinen verwunden darf.

Hätte er Kießling geholt, wäre in Florenz vielleicht der empfindsame Mario Gomez ins Grübeln geraten; hätte er Großkreutz als Rechtsverteidiger einbestellt, hätte das bedeuten können, dass er Philipp Lahm nach Bayern-Vorbild auf der Sechs einzusetzen plant, was womöglich Sami Khedira, Bastian Schweinsteiger oder den verletzt abwesenden Ilkay Gündogan irritiert hätte.

Löw hat noch Zeit

Joachim Löw ist in diplomatischer Mission unterwegs. Er versucht gerade alles, was Spannung befürchten lässt, in Entspannung umzuwandeln. So hat er sich diese Woche auf Goodwill-Tour in den Westen begeben, er hat mit den Leverkusener Verantwortlichen Rudi Völler und Sami Hyypiä über Kießling gesprochen, auch mit Kießling hat er über Kießling gesprochen, und mit Dortmunds Trainer Jürgen Klopp hat er sich über jene Vorwürfe ausgetauscht, die zuletzt im Raum standen: dass er ein Problem mit Spielern aus Dortmund habe.

Die Ergebnisse von Löws diplomatischer Spritztour in Kurzform: Er hat Kießling eröffnet, "dass ich in erster Linie auf Gomez und Klose als Stürmer setze und dahinter noch den einen oder anderen Spieler habe, den ich in diesem Jahr noch testen will" (Hoffenheims Kevin Volland/ Anm.d.Red.). Darüber hinaus, so Löw, habe er sich mit Kießling "verständigt, dass er, wenn er gebraucht wird, bei mir und bei der Nationalmannschaft zur Verfügung steht". Immerhin ist es Löw damit gelungen, Kießlings DFB-Karriere zu beenden und ihn gleichzeitig auf Abruf bereit zu halten - für den Fall, dass Gomez oder Klose im Frühjahr verletzt oder spektakulär außer Form sind.

Und was Klopp und den BVB anbelangt: Nach einem fast zweistündigen, "wahnsinnig positiven Gespräch" sei man "in vielen Punkten einig" gewesen. Dass er Dortmunder benachteilige, sei "völlig absurd", so Löw, "ich als Bundestrainer denke, dass ich da völlig neutral bin".

Er als Bundestrainer weiß, dass die nächsten Monate noch genügend rechtschaffenes Konfliktpotenzial enthalten, da muss er es nicht jetzt schon schüren. Löw wird ja auch entscheiden müssen, wie er mit dem fulminanten Fußball umgeht, den die Bayern unter Guardiola spielen. Je mehr Löw sich am Pep-Style orientiert, je mehr er seinen Fußball aufpeppt, desto mehr läuft er Gefahr, die gerade eingefangenen Dortmunder wieder zu verlieren.

Aber noch hat Löw Zeit, und so ist er erst einmal entschlossen, keine Option zu verschenken. Er wird die aktuellen Trends (Lahm auf der Sechs, Müller im Sturm, Großkreutz hinten rechts) prüfen, er wird abwarten, ob sie den Winter überstehen und sich die Freiheit nehmen zu reagieren. Das gilt ja angeblich sogar für das Begriffspaar "Kießling/Nationalmannschaft".

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