DFB-Affäre:"Mein Bild vom Sommermärchen hat keinen Schaden genommen"

Die Kanzlei Freshfields veröffentlicht den Bericht zur DFB-Affäre um die WM 2006. Wir haben Prominente und Experten dazu befragt - von Monica Lierhaus bis zu den Sportfreunden Stiller.

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"Mutter mit Fähnchen"

Monica Lierhaus bei der Aufzeichnung der ZDF Talkshow Markus Lanz im Studio Stahltwiete Hamburg 14

Quelle: imago/Future Image

Die WM 2006 in Deutschland war für mich ein fantastisches Ereignis, das ich niemals vergessen werde, daran kann auch die nachträgliche Untersuchung zum "Kauf der WM" nichts ändern. Die abschließende Feier beim Brandenburger Tor, die ich mit Johannes B. Kerner moderierte, war eines der schönsten Erlebnisse meiner Karriere. Die Stimmung einzigartig, kaum einer hätte vorher erwartet, wie sehr dieses Event die Menschen vereint - uns vereint. Denn Ost und West hatten erstmals emotional alle Barrieren fallen gelassen und sich wirklich wie eine Einheit gefühlt. Es wurde ein neues, gemeinsames Nationalgefühl geboren - ein freundschaftliches "Wir-Gefühl". Wer hätte gedacht, dass unsere Mutter mit Deutschland-Fähnchen am Auto durch die Gegend fährt. Natürlich muss man die Umstände aufklären, die dazu geführt haben, dass wir die WM ausrichten durften, aber mein Bild vom Sommermärchen 2006 hat dadurch keinen Schaden genommen, denn die Art, wie sich das Team und die Menschen der Welt gezeigt haben, waren einfach märchenhaft.

Monica Lierhaus, 45, ist Sportjournalistin.

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"Pflicht zum Hinsehen"

Woelki wird Kardinal

Quelle: picture alliance / dpa

Wir haben es im Rückblick mit zwei Welten zu tun: Auf der einen Seite die Fifa und ihre Funktionäre, für die der Fußball vor allem ein Geschäft ist und die im Zweifel lieber ihrer Brieftasche trauen als dem fairen Spiel der elf Freunde. Dabei hatte ich immer die Hoffnung, dass wenigstens hier bei uns Schiebereien tabu sein sollten, selbst wenn es um viel Geld geht und die Fußballweltmeisterschaften eigentlich immer unter Korruptionsverdacht standen. Wir werden wohl eines Besseren belehrt. Ist jetzt auch unser "Sommermärchen" durch Lug und Trug besudelt?

Auf der anderen Seite bleibt aber das positive Erlebnis dieses Sommers mit seiner ausgelassenen Fröhlichkeit, mit seinen Gemeinschaftserlebnissen, mit seinem Fußballfest. Das nimmt uns keiner. Das verpflichtet uns allerdings zum genauen Hinsehen, zur Konzentration auf das, was an dem auch von mir so geliebten Fußball wichtig ist: nicht das Geschäft, nicht das große Geld, sondern das sportliche Ereignis, die Fairness und die Gemeinschaft.

Kardinal Rainer Maria Woelki, 59, ist der katholische Erzbischof von Köln und Fan des 1. FC Köln.

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"Korrupte Organisation"

Kipping, co-leader of the German left-wing Die Linke party, makes a speech at a session of the German lower house of parliament, the Bundestag, in Berlin

Quelle: REUTERS

Mein Blick auf die WM 2006 hat sich durch die Enthüllungen kaum verändert. Bei mir haben sie das Gefühl bestärkt, das man damals schon haben konnte und das heute als weitgehend erwiesen gilt: dass die Fifa eine korrupte Organisation ist und dass es bei der Vergabe von Großveranstaltungen nicht mit rechten Dingen zugeht, weil es um viel Geld und Kommerz geht. Natürlich habe ich die WM genossen. Ich habe mir viele Spiele bei Public-Viewing-Veranstaltungen angeschaut, in Berlin hatte die Zeitschrift 11 Freunde eine Arena eingerichtet. Da war es auch einfacher, sich der Wir-sind-wieder-wer-Stimmung zu entziehen, die nicht zu den Seiten zählte, die ich schön fand. Was wir jetzt zur Vergabe der WM 2006 erfahren, bestätigt mich darin, dass solche Entscheidungen, erst recht bei der Förderung solcher Ereignisse durch öffentliche Mittel, transparent zugehen müssen. Eine Möglichkeit wäre, eine Organisation wie Transparency International einzubinden. Sportverbände dürfen sich nicht länger Kontrollen entziehen.

Katja Kipping, 38, ist Bundestagsabgeordnete und Co-Vorsitzende der Linkspartei.

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"Immun gegen Skandale"

Italienische Botschaft, Best of European Business Preisverleihung

Quelle: Florian Peljak

Italien ist 2006 in Deutschland Weltmeister geworden - mit einer Mannschaft, die selbst von einem gigantischen Skandal erschüttert war. Damals war das Management von Juventus Turin im Verdacht, Meisterschaften gefälscht zu haben. Im Finale standen sieben Juve-Spieler auf dem Platz. 2006 war also vor allem das Skandaljahr unseres Fußballs, während Europa den neuen, beschwingten Nazionalismo light der Deutschen erlebte. Die WM hat Deutschland einen positiven Imagewandel beschert und die aktuellen Enthüllungen darüber, wie der DFB nachgeholfen haben könnte, um das Turnier ins Land zu holen, werden daran nichts ändern. Die Leute können das auseinanderhalten, und wir Italiener sind sowieso immun gegen Skandale, weil wir selbst viele hatten. Viel mehr als die Affäre um die Fifa hat mich der Steuerbetrug von Uli Hoeneß überrascht, den ich als Fußballer und Bayern-Chef schätzte. Aber es gefällt mir, dass er ins Gefängnis gegangen ist und alles zurückgezahlt hat.

Angelo Bolaffi, 69, Philosoph und Politikwissenschaftler, war Leiter des Italienischen Kulturinstituts in Berlin.

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"Dunkle Figuren"

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Quelle: SZ

Ich habe die WM erlebt wie wahrscheinlich fast jeder: als schönen Sommerzeitvertreib, ohne Wenn und Aber. Die Leichtigkeit des Spiels, auch der Doppelpass, den die Fußballer mit Gesellschaft und Kultur gespielt haben - das war ein Gesamtereignis. Und das bleibt für mich erhalten. Aber wenn es in diesem Märchen auch die dunklen Figuren gibt - wie ja übrigens in allen Märchen -, dann muss man die zur Rechenschaft ziehen. Mir ist wichtig, dass der Sport auf gewissen Prinzipien beruht, Fairness, Ehrlichkeit. Das heißt für mich aber auch: Wenn bei der WM-Bewerbung gegen Gesetze verstoßen wurde, dann dürfen die handelnden Personen damit nicht durchkommen. Und damit meine ich ausdrücklich auch Lichtgestalten. Das wäre ja sonst ein Anreiz für andere, es auch wieder zu versuchen. Als Jurist habe ich da klare Prinzipien: Der Zweck heiligt niemals die Mittel! Wenn in dieser Affäre jetzt keine saubere Aufarbeitung passieren sollte - dann wäre das Sommermärchen beschädigt. Nur dann würde die Sache für mich schal.

Dieter Rössner, 70, aus Tübingen ist Professor für Strafrecht und Kriminologie und Doping-Experte.

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"Ein anderer Zeitgeist"

Fußballprofi Metzelder informiert über seine Stiftung

Quelle: picture alliance / dpa

Ich habe die WM 2006 als Sportler erlebt, und deshalb hat sich mein persönlicher Blick auf das Turnier auch nicht wesentlich verändert. Die sportliche Integrität des Wettbewerbs wurde durch den Skandal nicht berührt, unsere sportliche Leistung ist nicht manipuliert worden. Mir wird diese Zeit immer in schöner Erinnerung bleiben. Wenn ich die Meinungen in meinem Bekanntenkreis zum Maßstab nehme, dann glaube ich, dass dies auch für die große Mehrheit des Publikums gilt. Dennoch gibt es da auch diese grundsätzliche Vertrauenskrise. Das liegt an den ständig steigenden Summen, die den Fußball fluten, und an dem geschlossenen Kreislauf, in dem die wichtigen Posten vergeben werden. Eine schnelle und vor allem ehrliche Aufklärung des DFB-Skandals hätte der Glaubwürdigkeit des Fußballs genutzt. Als die WM 2006 vergeben wurde, herrschte ein anderer Zeitgeist. Hätte man die Umstände erklärt, unter denen man die WM bekommen hat, und sich aufrichtig entschuldigt, dann wäre das Thema vielleicht schon durch. Ich weiß ja nicht, wer was initiiert hat - aber Franz Beckenbauer hätte die Kraft und die Reputation gehabt, etwas zu erklären und Verantwortung zu übernehmen. Ihm hätten die Leute verziehen.

Christoph Metzelder, 35, nahm als Nationalspieler an der WM 2006 teil.

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"Na ja, die Deutschen"

Daniel Cohn-Bendit

Quelle: dpa

Darf ich ehrlich sein? Mir ist klar, dass große Sportereignisse eigentlich nie sauber vergeben werden. Ich fühle mich da an die Tour de France erinnert: Auch wenn ich weiß, dass da gedopt wird, guck' ich das gern. Ich fand zum Beispiel das Duell von Lance Armstrong gegen Jan Ullrich fantastisch. Die WM in Deutschland? Das Ergebnis war nicht so toll, weil die Franzosen das Finale verloren haben. Aber sonst? Es war eine schöne WM. Punkt! Die Menschen und Fans waren zufrieden, die Stimmung war gut. Problematisch ist, dass so getan wird, als wäre alles mit rechten Dingen zugegangen. Beckenbauer sollte sagen: "Kinder, fandet ihr die WM schön? Ja? Okay: Klar haben wir da nachgeholfen, sonst hätten wir sie nicht gekriegt. Und wenn wir sie nicht gekriegt hätten, hätten sich alle aufgeregt, auch die Süddeutsche." Interessant fand ich auch die Reaktion im Ausland. Da war herauszuhören: "Na ja, die Deutschen sind wie wir alle. Endlich wissen wir, dass die hochnäsige Haltung der Deutschen - wir sind das saubere Land, und die anderen sind korrupt - nicht stimmt." Das hat viele zum Schmunzeln gebracht. Aber richtig aufgeregt hat sich niemand. Alle sagten: so what? Die Franzosen überlegen sich doch auch, wie sie die nächsten Olympischen Spiele nach Paris holen.

Daniel Cohn-Bendit, 70, war bis 2014 Co-Fraktionschef der Grünen im Europaparlament.

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"Alle sollen bluten"

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Quelle: Gerald von Foris/Universal Music

Die Geschichte ist heiß, selbstredend, allerdings werden im besten Falle Details ans Licht kommen, deren Beurteilung wichtigere Leute als ich übernehmen sollen. Der Sommer 2006 bleibt natürlich trotzdem wahnsinnig ereignisreich und unvergesslich, mit Erlebnissen, die im Inneren brennen. Was sollte an dem Sommer jetzt im Nachhinein schlimm sein? Immerhin habe ich damals Pelé getroffen! Falls die Vergabe Schiebung war, sollen alle, wirklich alle, bluten, die daran beteiligt waren. Außerdem soll die Vergabe für 2018 und 2022 auch rückgängig gemacht werden, nebenbei - was für eine Farce.

Florian Weber ist Schlagzeuger der Sportfreunde Stiller, die mit dem WM-Hit "54 ,74, 90, 2006" das Sommermärchen mitgeprägt haben.

Fotos: Imago, dpa (3), Reuters, Peljak, Universal, oh

Aufgezeichnet von Javier Cáceres, Claudio Catuogno, Philipp Selldorf und Birgit Schönau

© Sz.de/schm
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