Deutschland vor der EM:Hört auf, euch nur an Spanien zu orientieren!

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Einst erklärte Bundestrainer Joachim Löw die Spanier zum heiligen Vorbild für die Nationalelf. Nun lenkt er den Blick wieder auf England, Frankreich und Italien - weil sie im Schatten von "La Furia Roja" deutlich besser geworden sind. Im Gegensatz zu den Portugiesen.

Claudio Catuogno

Auch Estland kann jetzt also Europameister werden, und nichts gegen Estland: Dort spielen Männer, die Enar Jääger und Alo Bärengrub heißen, und ihr Trainer, Tarmo Rüütli, hat seiner Elf das verpasst, was die Branche eine Handschrift nennt. Dass das für den Titel reicht, scheint aber noch nicht mal Joachim Löw zu glauben, und der traut 2012 einer Menge Teams den EM-Triumph zu.

Rattert neuerdings Favoriten herunter, um den Blick nicht nur auf die Spanier zu richten: Joachim Löw. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Niederlande, England, Portugal, Frankreich, Italien, in immer neuen Kombinationen rattert der Bundestrainer seine Favoriten herunter, was allerdings weniger eine Fachanalyse ist als der Kern seiner neuesten Botschaft ans Fußballland: Hört auf, euch nur an Spanien zu orientieren!

Historiker könnten nun einwenden, dass es doch die Leitung der Nationalelf war, die Spanien zuletzt zum heiligen Vorbild erklärt hatte. Den EM-Finalgegner von 2008, den WM-Halbfinalgegner von 2010, jene stilbildende Ballfresser-Schule also, von der sich selbst Löws glänzend aufgelegte Südafrika-Reisegruppe in die Statistenrolle gedrängt sah.

Doch so zwangsläufig der Plan war, den Abstand zum Branchenprimus zu verkleinern, so geboten ist es jetzt tatsächlich, den Blick wieder in die Breite zu lenken. Von der nun zu Ende gegangenen Qualifikationsrunde wird Löws Eindruck, dass im Schatten der Spanier auch andere sogenannte "Große" ihre Hausaufgaben gemacht haben, jedenfalls gestützt.

Selbst Frankreich reichte diesmal ein glücklicher Elfmeter zum Gruppensieg, was ja ein Fortschritt ist im Vergleich zu Thierry Henrys Handspieltor im WM-Playoff vor zwei Jahren gegen die Iren. Die Franzosen haben neue Talente integriert und alte Brandherde gelöscht, seit der pragmatische Laurent Blanc dem selbstverliebten Raymond Domenech als Nationaltrainer folgte.

Seit die Italiener verstanden haben, dass sie sich nicht für alle Ewigkeit Marcello Lippi ausliefern können, der bloß noch Spieler ernst nimmt, die halb so alt sind wie er, stehen auch die Azzurri nicht mehr als abgehalfterte Nostalgie-Truppe da. Selbst England, wo man beim Stichwort "Qualifikation" zuletzt an einen traurigen Trainer mit Regenschirm denken musste (der es später auch beim VfL Wolfsburg vermasselt hat), hat sich vom McClaren-Trauma erholt. Dass sich sogar der Stürmer Wayne Rooney teaminternem Konkurrenzkampf ausgesetzt sieht, spricht für sich.

Die Portugiesen? Nun ja. Müssen froh sein, wenn sie in den Playoffs nicht auf die tapferen Esten treffen. Portugal hat Joachim Löw eher aus Höflichkeit mit erwähnt.

© SZ vom 13.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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