Deutschland gegen Frankreich:Das (fast) perfekte DFB-Jahr

  • Die deutsche Nationalelf rettet mit einem späten 2:2 in der Nachspielzeit gegen Frankreich die tolle Bilanz des Jahres.
  • 2017 hat das Team von Bundestrainer Löw kein einziges Spiel verloren.
  • Trotzdem gibt es noch ein paar Probleme vor der WM.

Von Sebastian Fischer, Köln

Joachim Löw musste am Dienstagabend noch 211 Mal schlafen, bis in Moskau im kommenden Jahr der Tag des Eröffnungsspiels anbricht und die Weltmeisterschaft beginnt. Es war also eine durchaus gewagte Prognose, die der Bundestrainer abgab, als er in Köln über all diese Nächte sprach, für die es weder vollständige meteorologische noch verlässliche politische Vorhersagen gibt. Nein, er werde keine schlaflose Nacht haben, sagte Löw also. Und er fragte: "Warum soll ich mir Sorgen machen?"

Geht man davon aus, dass Löw, 57, nur asynchron verschiebende Verteidigungsreihen, verheerende Fehlpässe im Aufbauspiel oder torarme Torjäger den Schlaf rauben, dann hatte er allerdings recht. Und natürlich sprach er nur über Fußball. In einem Zustand völliger Entspannung, als könnte ihm nicht mal ein kratzender Rollkragenpullover die Nerven rauben, ließ er das 2:2 (0:1) gegen Frankreich Revue passieren, das ein "hochinteressantes Spiel" gewesen sei, "auf einem sehr guten Niveau", ja gar: "ein Spiel, wie man es sich wünscht als Trainer". Und mit dem Jahr, dem ersten beim DFB ohne Niederlage seit 1997, in dem sich die A-Elf souverän für die WM qualifizierte und eine Mannschaft voller Nachwuchskräfte den Confed-Cup gewann, sei er "hochzufrieden".

Wo steht die DFB-Elf wirklich?

Es fragte den Bundestrainer dann lieber niemand mehr nach seinen Träumen in seinem ruhigen Schlaf. Aber zumindest das hatte dieses 2:2, hatten die letzten Eindrücke vor Beginn des WM-Jahres zumindest angedeutet: Ein paar schlechte könnten neben vielen schönen vielleicht "scho au" dabei sein.

Löw hatte gegen Frankreich, den nach einhelliger Expertenmeinung größten WM-Favoriten, entgegen der Erwartung nicht allzu viel experimentiert. So bot er nicht etwa Rückkehrer Mario Götze von Beginn an auf, sondern wie schon beim 0:0 in England vier Tage zuvor Ilkay Gündogan. Er habe sich "paradoxerweise ein bisschen spritziger gefühlt" als in London, sagte der Mittelfeldspieler.

Doch so richtig spritzig wirkte das deutsche Spiel gegen die Franzosen zunächst nicht. Vielmehr war es dem starken, unerklärlicherweise in Paris nur die Bank hütenden Torwart Kevin Trapp zu verdanken, dass die Franzosen nicht schon früh führten. Die Außenverteidiger Emre Can, eigentlich ja ein defensiver Mittefeldspieler und rechts hinten dann doch so etwas wie ein Experiment, und Marvin Plattenhardt wirkten eher unbeholfen. Und als Anthony Martial dann in der 34. Minute Niklas Süle mit einer schnellen Bewegung ein paar Dutzend Knoten in die Beine dribbelte, als Alexandre Lacazette den anschließenden Querpass ins leere Tor schob und die französischen Fans endgültig lauter waren als der Rest der Zuschauer im Stadion, das seit Kölner Zweitligazeiten nicht mehr so leer und leise war - da wollte so recht auch niemand überrascht tun.

Deutschland hat 2017 nicht verloren und streckenweise, beim Confed-Cup, dem als WM-Generalprobe gedachten Turnier in Russland, überragenden Fußball gezeigt. Aber da waren auch dieses 1:1 in Dänemark im Juni, als Joshua Kimmich mit dem späten Ausgleich die Niederlage verhinderte. Oder jenes 2:1 in Tschechien durch ein spätes Tor von Mats Hummels. Und da sind ein paar kleine Fragen: Ist links Jonas Hector zu ersetzen, rechts im Zweifel Joshua Kimmich? Und: Wer schießt noch mal die Tore, falls Timo Werner nicht trifft?

Stindl rettet das Unentschieden in der Nachspielzeit

Es ging viel um die großen Nationen des Weltfußballs am späten Abend in Köln, um die Italiener, deren Fernbleiben in Russland Löw in einem kurzen Innehalten in der Pressekonferenz bedauerte. "Da fehlt ein bisschen was", sagte er. Es ging um Spanier und Brasilianer, die letzten Testspielgegner vor dem Turnier im kommenden Jahr. Von "fünf, sechs" besten Mannschaften der Welt sprach Toni Kroos. Die Nationalspieler lobten ihre Leistung und das Niveau des Spiels allesamt. Deutschland und Frankreich gehören zu den fünf, sechs Besten, das wurde am Dienstag sehr deutlich. Doch wo in der Reihenfolge taucht Deutschland auf? Wirklich an der Spitze, wie es die Weltrangliste vorschlägt?

In der zweiten Halbzeit wurde die DFB-Elf deutlich besser, die Pässe von Mesut Özil kamen nun noch gefährlicher an - seine Pässchen und Pässlein sogar auch, was es stets zum Vergnügen macht, ihm zuzuschauen. Die Dribblings von Julian Draxler rauschten von allen Seiten heran, Timo Werner traf nach Özils Vorlage zum Ausgleich, Toni Kroos hätte mit einem Freistoß beinahe die Führung erzielt. Und dass nach Lacazettes zweitem Treffer die eingewechselten Götze und Lars Stindl in der Nachspielzeit den Ausgleich herstellten - Götze mit einer schönen Ablage, Stindl mit einem präzisen Schuss - das sprach für Götze und Stindl wie für die Moral des Teams.

"Was wir brauchen, ist psychische Robustheit"

Doch zum selben Spiel gehörten auch rund ein halbes Dutzend Szenen, in denen die französischen Stürmer Martial, Lacazette und Mbappé auf die deutsche Verteidigung zurollten wie ein TGV auf den Bahnhof in Köln-Müngersdorf: Die Wände wackelten.

Es war deshalb doch beruhigend für alle jene, die sich im kommenden Jahr die WM-Titelverteidigung wünschen, dass Löw auch von etwas Verbesserungspotenzial sprach. Von der Arbeit an Feinheiten, Kompaktheit und Organisation. Und: "Was wir brauchen ist mentale Stärke, psychische Robustheit." Dann verabschiedete sich der Bundestrainer in die Ferien. Nachdem er seinen Zuhörern den Wunsch mit auf den Weg gegeben hatte, unter keinen Umständen nervös zu werden.

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