Deutschland gegen Argentinien:Worauf es im WM-Finale ankommt

World Cup 2014 - Semi final - Brazil vs Germany

Folgt Manuel Neuer der Tradition deutscher WM-Finals, dann geht gegen Argentinien ein Gegentor auf seine Kappe.

(Foto: dpa)

Toni Kroos steht vor seiner schwersten Prüfung. Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira müssen Lionel Messi stoppen. Und Manuel Neuer sollte nicht der Tradition früherer deutscher Torwart-Größen folgen. Acht Dinge, die im WM-Finale entscheidend sein könnten.

Von Thomas Hummel, Rio de Janeiro

Hätte der Journalist aus Brasilien Joachim Löw gekannt, er hätte sich die Frage gespart. Ob der Bundestrainer an "Zahlenmagie" glaube, wollte er wissen. Weil die Deutschen doch nun 24 Jahre nach dem letzten WM-Titel wieder gewinnen könnten. Löw verzog das Gesicht. Rechnete vor, dass zwischen 1974 und 1990 weniger als 24 Jahre vergangen waren und stellte fest: "An solche Zahlenspiele glaube ich nicht, nein."

Da Thomas Müller bekanntermaßen auch nicht an den Einfluss des argentinischen Papstes Franziskus glaubt (wobei man einwenden könnte, dass die Deutschen ja auch über einen lebenden Papst verfügen), stellt sich die Frage: Auf was wird es dann am Sonntag im Estádio do Maracana wirklich ankommen? Welche Duelle entscheiden? Wo liegen die Stärken von Argentiniern und Deutschen und was kann der Gegner dagegen tun? Eine Annäherung aus den Erfahrungen dieserm WM und früherer Turniere.

  • Toni Kroos vor seiner schwersten Prüfung

Mit 24 Jahren gerät der Noch-Profi des FC Bayern München in Verdacht, erwachsen geworden zu sein. Seit dem Pokal-Finale gegen Borussia Dortmund, das er stark geprägt hatte, trauen ihm selbst Kritiker zu, in schwierigen Momenten aktiv und bestimmend zu wirken. Bislang spielt er eine außergewöhnliche Weltmeisterschaft, mit dem Höhepunkt im Halbfinale gegen Brasilien. Mit seinen geometrischen Pässen sezierte er den Gegner, bereitete zwei Tore vor, schoss zwei selbst. Führt Toni Kroos die Deutschen zum Titel? Gemach.

Gegen Argentinien trifft er auf den unangenehmsten Kontrahenten, den das Turnier im Mittelfeld zu bieten hat: Javier Mascherano. Der 30-Jährige sieht nicht nur so aus, als könnte er den Pfosten durchbeißen. Er spielt auch so. Er beherrschte vor allem in den K.-o.-Runden das defensive Zentrum vor der Abwehr mit robustem, teilweise hartem Spiel. Und dirigierte aus dieser Position heraus die Angriffe. Mascherano gilt als das Fundament der argentinischen Mannschaft.

Das Duell Kroos gegen Mascherano wird viel darüber aussagen, welche Mannschaft Weltmeister werden kann.

  • Manuel Neuer, aufgepasst!

1986 und 2002 hätte Deutschland eigentlich nicht ins Finale der Weltmeisterschaft vordringen dürfen. Die Mannschaften waren nicht mehr als gehobenes Mittelmaß, die Fußballwelt wunderte sich darüber, wie es die Germanen mal wieder geschafft hatten.

Ganz einfach: Sie hatten die allerbesten, allertollsten, allertitanischsten Torhüter dabei. Harald "Toni" Schumacher hielt in Mexikos Hitze (fast) jeden Ball, Oliver Kahn hielt in Japan und Südkorea dann wirklich JEDEN Ball. Doch beide haben auch gemein: Im Finale machten sie entscheidende Fehler.

Schumacher flog bei Argentiniens 1:0 unter einer Flanke hindurch, beim 3:2 durch Burruchaga verpasste er den Moment des Herausstürzens. Kahn ließ vor dem 1:0 der Brasilianer den Ball aus den Händen flutschen. Es waren fast bestürzende Momente, denn diese deutschen Torhüter wurden allgemein als unfehlbar eingeschätzt.

Manuel Neuer ist nicht nur der allerbeste Torwart der WM 2014, er ist auch der allerneueste. Hat er doch das Torwartspiel um die Variante Libero erweitert. Folgt der 28-Jährige der Tradition deutscher WM-Finals, dann geht am Sonntag ein Gegentor auf seine Kappe. Er könnte allerdings im Gegensatz zu Schumacher und Kahn das Glück haben, dass seine Vorderleute diesmal für ihren Torwart einspringen und trotzdem gewinnen.

  • Wie fängt man Lionel Messi ein?

Eigentlich dachte die Fußballwelt, die Argentinier bräuchten einen sensationellen Lionel Messi, um vorne die ganzen Missgeschicke der porösen Defensive auszugleichen. Jetzt kam es genau umgekehrt. Die Argentinier benötigten eine sensationelle Defensive (kein Gegentor in den K.-o.-Runden), um die Fehlbarkeit der Offensive zu kompensieren. Lionel Messi hat zwar schon vier Tore erzielt. Gegen Belgien und die Niederlande hatte er aber kaum eine Aktion.

Bundestrainer Joachim Löw sagte: Argentinien sei "nicht nur Messi", es gebe auch Higuaín, den Löw französisch ausspricht, also "Iguäh". Außerdem ist da noch der möglicherweise nach seiner Verletzung zurückkehrende di María sowie Agüero. Dennoch haben die Deutschen "einen Plan" gegen Messi, wie Ko-Trainer Hansi Flick erklärte. Deutsche hatten bislang immer einen Plan gegen Messi - außer die Deutschen kamen aus Leverkusen (1:7 im Champions-League-Achtelfinale 2012 gegen Barcelona, fünf Tore von Messi).

Wie 2010 im Viertelfinale dürften Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger versuchen, die Tempoläufe des Argentiniers erst gar nicht starten zu lassen. Will Deutschland Weltmeister werden, müssen die beiden Messi stoppen.

Notfalls ein deutscher Standard

  • Deutsche Standardstärke

Standards sind die neue Domäne der Deutschen. Aus den Eckbällen und Freistößen von Toni Kroos entstanden fünf Tore - WM-Höchstwert. Zweimal köpfte Mats Hummels direkt ein, einmal verlängerte Benedikt Höwedes auf Miroslav Klose, zweimal schoss Thomas Müller ein. Die deutsche Nationalmannschaft schickt bei Standardsituationen die kopfballstärkste Gruppe in den Strafraum und verhinderte hinten zuletzt jede Chance für den Gegner.

Will Argentinien Weltmeister werden, muss es die deutsche Standardstärke mindestens abschwächen. Mit Ezequiel Garay, Martin Demichelis und Mascherano verfügen die Südamerikaner über drei kopfballstarke Abwehrspieler. Unterstützung von Torwart Sergio Romero könnte trotzdem nicht schaden.

  • Vorsicht, Konter!

Deutschland gegen Argentinien, das ist auch ein Spiel der Haltungen. Hier die vom FC Bayern dominierten Europäer, die gerne den Ball haben, gerne zusammen verteidigen und zusammen angreifen. Die ein Spiel aus Mittelfeld heraus gewinnen wollen. Dort die Südamerikaner, die in den allermeisten Momenten dieser WM mit vielen Spielern verteidigten, um dann über Messi, di María und Higuaín (oder Iguäh) schnellstmöglich zu kontern. Und die das Mittelfeld zumeist völlig vernachlässigen.

Es ist nicht ganz das Duell der Systeme, das gibt es nur zwischen Guardiolas Ballbesitz-Bayern und Mourinhos Konter-Chelsea. Dennoch treffen im Finale der WM zwei Ansätze aufeinander.

Deutschland muss dabei aufpassen, dass seine Ballstafetten nicht wie gegen Algerien im Nirgendwo verlaufen und nach Ballverlust hinten die Schnellangriffe laufen. Argentinien muss aufpassen, dass sie von den Deutschen nicht erdrückt werden.

  • Zettel fürs Elfmeterschießen

Joachim Löw zückte sogleich einen Zettel und zeigte ihn genüsslich den argentinischen Journalisten. Von denen hatte ihn einer auf das Elfmeterschießen 2006 angesprochen, bei dem Jens Lehmann vor jedem Versuch des Gegners einen Zettel aus dem Stutzen geholt hatte. Und Deutschland ins Halbfinale brachte.

Sollte es tatsächlich zum Äußersten kommen, spricht vieles für Deutschland. Teams des Deutschen Fußball-Bundes haben in einem großen Turnier noch nie ein Elfmeterschießen verloren. Argentinien kam diesmal immerhin mit einem Elfmeterschießen gegen Holland ins Finale - 1990 gewannen sie sogar zwei Shoot-outs - im Viertel- und Halbfinale.

Allerdings verfügt Deutschland, bei allem Respekt vor Sergio Romero, über den weitaus besseren Torhüter. "Wir haben natürlich eine Kartei, eine Analyse von den möglichen Schützen und was sie für eine Ecke bevorzugen", sagte Löw.

Wollen die Argentinier gewinnen, sollten sie es vorher klar machen.

  • Hat Argentinien sein Turnierglück bereits aufgebraucht?

Der Pfosten ist zwölf Zentimeter breit. Das sind die zwölf Zentimeter, die bisweilen ein Fußballspiel entscheiden. Das wissen gerade die Argentinier nur zu gut, die in der letzten Minute der Verlängerung im Achtelfinale gegen die Schweiz den Ball an den eigenen Pfosten fliegen sahen. Es war die Billardszene des Turniers, als der Schweizer Blerim Dzemaili ans Aluminium köpfte, der Ball von dort an sein Knie sprang und dann ins Toraus statt ins Netz. Damit vermied Argentinien schon im Achtelfinale nur um eine Winzigkeit ein Elfmeterschießen. Der Wettbewerb der Strafstöße wird ja ohnehin mit Glück und Roulette in Verbindung gebracht, wobei das nur die halbe Wahrheit ist.

Dennoch bleibt die Frage: Haben die Argentinier ihr Turnierglück bereits aufgebraucht? Auch die Deutschen benötigten ein bisschen davon gegen Algerien. Ansonsten nahm Manuel Neuer das Schicksal in seine beiden Hände.

  • Gewinnt der, der das erste Tor schießt?

Im modernen Fußball verändert ein Tor meist die Statik des Spiels. Vor allem die Argentinier würde das betreffen, weil sie von ihrer generellen Konter-Taktik abweichen müssten im Falle einer deutschen Führung. Ob sie das können, würde sich zeigen. Andererseits könnten dann die Deutschen auf Konter umschalten, was sie 2010 bereits zu einem 4:0 geleitet hatte.

Anders ist die Situation, schießen die Argentinier das erste Tor. Nur Nigeria konnte bislang gegen sie einen Rückstand bei dieser WM aufholen, doch in der Partie ging es für Argentinien praktisch um nichts mehr. Vorne haben die schnellen Stürmer dann noch mehr Platz. Es könnte sein, dass in so einem Fall nur noch ein deutscher Standard hilft.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: