Deutschland - Argentinien:Adler kommt zu spät

Keine Ideen, nur eine Torchance und kaum Erkenntnisse für Joachim Löw: Die deutsche Elf zeigt gegen Argentinien zu wenig Durchschlagskraft und verliert verdient mit 0:1. Ein Bayern-Spieler verletzt sich schwer.

Bundestrainer Joachim Löw hatte alles getan. Ausgewechselt, umgestellt, hereingerufen, herumgefuchtelt, das ganze Repertoire des modernen Trainers hatte er gezeigt, doch genützt hat es nichts. Als er am Mittwochabend gegen 22.40 Uhr auf die Anzeigetafel der Münchner Arena blickte, stand dort: Deutschland - Argentinien 0:1. Es war das letzte Testspiel vor der WM gegen einen großen Gegner, und Löw hat es verloren. Der Bundestrainer wirkte nach der Partie bedrückt, was wohl zum einen daran lag, wie wenig seinem Team eingefallen war, und zum anderen daran, dass sich Argentinien viel reifer präsentiert hatte, taktisch und technisch überlegen.

"Es ist uns nicht gelungen, Druck aufzubauen, die Argentinier in Verlegenheit zu bringen und Chancen herauszuarbeiten", stellte Löw fest. Vielleicht beschäftigte ihn auch, dass nun voraussichtlich erneut Diskussionen darüber entbrennen könnten, inwieweit die gescheiterte vorzeitige Vertragsverlängerung mit dem Deutschen Fußball-Bund seine Position schwächt und das Team beeinflusst - ganz unabhängig davon, dass Argentinien ein Gegner ist, gegen den man durchaus einmal verlieren kann.

Welches Format dieser Gegner hatte, ließ sich an einer Personalie ablesen: Der bullige, der so eminent durchschlagskräftige und rundum beeindruckende Stürmer Carlos Teves saß zunächst nur auf der Bank, was daran lag, dass Trainer Diego Maradona lediglich zwei Plätze im Angriff vorgesehen hatte und diese mit Weltfußballer Lionel Messi vom FC Barcelona und dem stets und immer treffenden Gonzalo Higuain von Real Madrid besetzte.

Diesem Wundersturm setzten die Deutschen eine eher defensiv interpretierte 4-5-1-Formation entgegen. Stuttgarts Serdar Tasci verteidigte neben dem Bremer Per Mertesacker im Zentrum, im Mittelfeld debütierte Thomas Müller vom FC Bayern München, vorne durfte sich dessen Teamkollege Miroslav Klose versuchen, obwohl er zuletzt im Klub kaum Spielpraxis gesammelt hatte.

Joachim Löw hält gern an verdienten Spielern fest, ganz gleich, wie sie gerade in Form sind, deshalb begann Klose, und deshalb durfte auch Lukas Podolski im linken Mittelfeld wirken. Dass diese Formation einen Konstruktionsfehler aufwies, wurde immer deutlicher, je länger die Partie dauerte. "Es gibt noch die eine oder andere Baustelle", sagte Löw dazu.

Besonders augenfällig war die gestalterische Armut des Teams. Michael Ballack und Bastian Schweinsteiger übernahmen meist defensive Aufgaben, Mesut Özil fand keine Beziehung zum Spiel, Podolski hätte auf seiner linken Seite ein schönes Buch durcharbeiten können (vielleicht einen Krimi oder warum nicht aus gegebenem Anlass ein Lexikon Spanisch-Kölsch, Kölsch-Spanisch?), so wenig nahm er am Geschehen teil, und Klose fand sich vorn stets allein unter Argentiniern wieder.

Manche Fachleute erfreuen sich an solchen Spielen ohne Torraumszenen, weil sie so dicht sind und so intensiv, das Publikum in der Münchner Arena aber schien sich gepflegt zu langweilen. Ballack gab zu: "Wir wollten kompakt stehen und den Argentiniern nicht ins offene Messer laufen. Das hat uns gehemmt. Deshalb war es phasenweise ein langweiliges Spiel für die Zuschauer." Einmal gab es sogar Pfiffe, wenn auch aus anderem Grund: Diego Maradona hatte einen ins Aus fliegenden Ball mit seinem linken Zauberfuß nicht sauber gestoppt. Das kann er besser.

Auf der nächsten Seite: Löws Erkenntnisse und ein zweiter Debütant.

Im Video: Die deutsche Fußball-Nationalelf ist mit einer Niederlage in das Weltmeisterschaftsjahr gestartet.

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"Wir haben zu wenig riskiert"

Die Argentinier waren überlegen, sie standen sicher, und anders als die Deutschen gelang es ihnen bisweilen, mit einer einzigen Aktion den gegnerischen Verbund zu durchbrechen. In der 14. Minute wurde Angel di Maria von Messi freigespielt, Schiedsrichter Martin Atkinson erkannte fälschlich auf Abseits. In der 38. Minute war di Maria wieder frei, seinen Schuss lenkte René Adler, die neue Nummer eins im deutschen Tor, mit einem Reflex an die Latte.

Und in der 45 .Minute machte sich Higuain auf den Weg, Adler hatte sein Tor verlassen, um den Ball abzufangen, doch er kam deutlich zu spät, so dass Higuain die Kugel an ihm vorbeilegte und locker ins Netz schob. Die verdiente Führung. "Es war in dem Fall der berühmte Schritt zu spät", sagte Adler selbstkritisch, "das nutzt ein Weltklasse-Stürmer aus."

Löw reagierte, er brachte Mario Gomez nach der Pause für Klose, woraufhin sich nichts im deutschen Spiel änderte. Auf argentinischer Seite musste Martin Demichelis verletzt vom Feld, weil ihn Ballack im Gesicht getroffen hatte - beim Profi des FC Bayern besteht dringender Verdacht auf Jochbeinbruch, eine Nachricht, die die Münchner zu Beginn der entscheidenden Saisonphase sehr ungern hören.

Noch während der zweiten Halbzeit wurde Demichelis ins Krankenhaus gebracht. Die Argentinier kontrollierten dennoch unbeeindruckt das Geschehen. Löw musste reagieren, und er reagierte: Nach knapp 70 Minuten wechselte er den Leverkusener Toni Kroos ein, der damit sein Länderspieldebüt feierte, und er brachte den Stuttgarter Cacau, der in der vergangenen Woche in drei Spielen sieben Tore erzielt hatte.

Doch auch diese Wechsel brachten keine wesentliche Veränderung, sieht man einmal davon ab, dass die Deutschen tatsächlich zu einer Torchance kamen, ihrer ersten und einzigen: Cacau gab einen Schuss aus der Distanz ab, Torwart Sergio Romero parierte, es war die 77. Minute. Michael Ballack kleidete die Angriffsschwäche der Mannschaft in die Worte: "Wir haben nicht viel zugelassen, aber auch zu wenig nach vorn riskiert. Heute haperte es am Vorwärtsgang."

Bis zum Schlusspfiff blieben die abgeklärten Argentinier überlegen, und auf Joachim Löw wartet in den kommenden Monaten sehr viel Arbeit der ganz grundsätzlichen Art. "Es gibt durchaus Erkenntnisse aus diesem Spiel", formulierte der Bundestrainer und versuchte dann, wieder ein wenig Optimismus an diesem aus seiner Sicht misslungenen Abend zu verbreiten, indem er sagte: "Wir werden eine gute WM spielen."

Deutschland: Deutschland: Adler (Bayer Leverkusen/25 Jahre/ 9 Länderspiele) - Boateng (Hamburger SV/21/3), Mertesacker (Werder Bremen/25/60), Tasci (VfB Stuttgart/22/10), Lahm (Bayern München/26/64) - Schweinsteiger (Bayern München/25/ 73), 76. Khedira (VfB Stuttgart/22/2), Ballack (Chelsea/33/98) - Müller (Bayern München/20/1), 67. Kroos (Leverkusen/20/1), Özil (Werder Bremen/21/8), 67. Cacau/VfB Stuttgart/28/4), Podolski (1. FC Köln/24/70) - Klose (Bayern München/31/94), 46. Gomez (Bayern München/24/32). - Trainer: Löw.

Argentinien: Romero (AZ Alkmaar/23/5) - Otamendi (Velez Sarsfield/22/6), Demichelis (Bayern München/29/25), 57. Burdisso (AS Rom/28/28), Samuel (Inter Mailand/31/54), Heinze (Olympique Marseille/31/63), 47. Rodriguez (Estudiantes de la Plata/28/11) - Mascherano (FC Liverpool/25/56) - Verón (Estudiantes de la Plata/34/71), 90.+2 Bolatti (AC Florenz/25/4), Gutiérrez (Newcastle United/26/15), di Maria (Benfica Lissabon/22/7) - Messi (FC Barcelona/22/45), Higuain (Real Madrid/22/4), 62. Tévez (Manchester City/26/53). - Trainer: Maradona.

Tor: 0:1 Higuain (45.). - Schiedsrichter: Atkinson (England) - Gelbe Karten: Cacau, Lahm, Schweinsteiger - Messi, Samuel, Demichelis. - Zuschauer (in München): 65152.

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