Deutsches Team:Zwei Tage Champagner

Deutsches Team: Schaut mir auf die Brust: Nach dem Franzosen Warren Barguil am Nationalfeiertag, gewann am Samstag auch der Australier Michael Matthews eine Etappe für sein Team. Das befeuert die Ambitionen weiter.

Schaut mir auf die Brust: Nach dem Franzosen Warren Barguil am Nationalfeiertag, gewann am Samstag auch der Australier Michael Matthews eine Etappe für sein Team. Das befeuert die Ambitionen weiter.

(Foto: Lionel Bonaventure/AFP)

Das in Deutschland lizenzierte Sunweb-Team gewinnt die Etappen 13 und 14 und stellt den besten Kletterer - doch das soll erst ein Anfang sein. Der Teamchef sucht in Deutschland den nächsten Gesamtsieger.

Von Johannes Knuth, Rodez/Puy-en-Velay

Als Erster widmete sich der Niederländer Roy Curvers den Feierlichkeiten, er duschte einen TV-Reporter mit einer Flasche Champagner. Das Interview war dann recht bald vorbei. Im Gegensatz zur Heiterkeit, die Curvers und seine Teamkollegen gepackt hatte. Sie hatten auf der welligen 14. Etappe am Samstag alle Ausreißer eingefangen, ihren Chef Michael Matthews vor dem letzten Anstieg an die Spitze des Feldes eskortiert. Der giftige Anstieg nach Rodez war wie gemacht für den Australier, der dann auch gewann. Am Tag zuvor hatte der Franzose Warren Barguil bereits eine Etappe für Sunweb gesichert, am Nationalfeiertag, es war fast schon zu kitschig. Zwei Siege in zwei Tagen also, "zwei Tage Champagner", bilanzierte Simon Geschke, neben Nikias Arndt der zweite deutsche Helfer bei Sunweb. Geschke befand: "Es könnte schlimmer sein."

Der deutsche Radsport-Markt gilt nach den Doping-Jahren wieder als Wachstumsbranche

Das kann man mittlerweile auch als Leitmotto für die deutschen Erträge verwenden, nach den ersten beiden Wochen dieser 104. Tour de France. Die erste Woche stand im Zeichen des Grand Départs in Düsseldorf, Marcel Kittel knüpfte dann einen Sprintsieg an den nächsten, der Slowake Peter Sagan verschaffte der deutschen Equipe Bora-hansgrohe den ersten Erfolg bei der Tour. Es gab Champagner, ehe Sagan am Tag darauf von der Tour verbannt wurde, weil er Mark Cavendish angeblich vom Rad gerempelt hatte. Jetzt durften sich Arndt und Geschke ein Glas des edlen Tropfens gönnen. Ihr Teamkollege Barguil hätte fast sogar die 15. Etappe am Sonntag nach Puy-en-Velay gewonnen, der Niederländer Bauke Mollema war dann aber als Solist erfolgreich. Barguil wird dafür wohl das Trikot des besten Kletterers bis Paris tragen. Streng genommen war das Wochenende also auch ein deutsches, Sunweb ist seit drei Jahren mit einer deutschen Lizenz ausgestattet. Auch wenn das in der Heimat noch nicht richtig angekommen ist.

Der deutsche Radsport-Markt gilt nach den Doping-Jahren wieder als Wachstumsbranche, die TV-Einschaltquoten zogen zuletzt an, Sponsoren investieren. Wie sehr das Hochdruckgebiet bei der aktuellen Tour anhält, ist ungewiss, aber Sunwebs Teamchef Iwan Spekenbrink sagt, dass seine Sponsoren sich immer mehr auf dem deutschen Markt engagieren. Der Hauptsponsor, ein Schweizer Pauschalreisen-Anbieter, hat mit Spekenbrink eine dreijährige Kooperation geschmiedet. Wobei das nicht darüber hinwegtäuscht, dass der deutsche Anstrich zuletzt verblasste. Der Bielefelder Co-Sponsor Alpecin zog zum Schweizer Katjusha-Team um, der Block der verdienten deutschen Profis wechselte ebenfalls die Arbeitgeber: Tony Martin (Katjusha), John Degenkolb (Trek) und Kittel, der 2015 von Spekenbrink nicht für die Tour nominiert wurde. Bleiben noch Geschke, Arndt, dazu die jungen Max Walscheid und Phil Bauhaus, Johannes Fröhlinger sowie Rundfahrt-Talent Lennard Kämna, 20. Die meisten Profis (zehn) stammen freilich aus den Niederlanden, dort hat Sunweb auch seine Zentrale. Ab und zu hat man den Eindruck, sie wären in Deutschland so heimisch wie ein Metzger im Fachgeschäft für vegetarische Produkte.

Wenn man Teamchef Spekenbrink dazu befragt, redet er von einer langen Reise, auf der man halt einen Schritt zurück gemacht habe, um bald nach vorne zu kommen. Er will künftig vor allem bei großen Rundfahrten reüssieren, das war mit dem bisherigen deutschen Personal halt nicht möglich. Fürs Erste fällt dieses Ressort internationalen Kräften zu, der Niederländer Tom Dumoulin gewann im Mai den Giro d'Italia, künftig will er sich auch der Tour widmen. Und irgendwann, sagt Spekenbrink, will er das deutsche Juwel finden, das wieder eine dreiwöchige Rundfahrt gewinnt.

"Es gibt kein Team, das so viel in den Radsport eines Landes investiert", sagt Chef Spekenbrink

Spekenbrink hat vor vier Jahren daher die "deutschen Talenttage" initiiert. Er zieht für drei Tage die vermeintlich besten deutschen Nachwuchskräfte zusammen, schickt sie von München in Richtung Arlbergpass in Sankt Anton. Dort vermessen sie den Nachwuchs, mit Trainern, Ernährungsberatern, Experten des deutschen Verbands. Die "Besten der Besten" (Spekenbrink) bildet man dann im hauseigenen Nachwuchsteam aus, irgendwann sollen sie von den Ressourcen zehren, die Dumoulin zum Giro-Erfolg führten. "Ich glaube, es gibt keine Mannschaft, die so viel in den Radsport eines Landes investiert", sagt Spekenbrink. Das werden sie bei den ambitionierten Oberbayern von Bora-hansgrohe vielleicht etwas anders sehen, dort bilden sie unter anderem Emanuel Buchmann für die großen Schleifen aus. Aber es kann ja nicht schaden, wenn mehrere Teams dieses schwer zu bestellende Feld beackern, aus Sicht des deutschen Radsports.

Ob er sein Juwel schon gefunden habe? Vielleicht, sagt Spekenbrink, "aber die Ausbildung dauert". Fünf Jahre, mindestens. Frankreich wartet seit 1985 auf einen Sieger bei der Tour, Belgien, "das verrückteste Radsportland überhaupt", seit 1976, sagt Spekenbrink. Aber dort zählen auch Siege bei den schweren Eintagesklassikern, weiß er, in Deutschland interessiert vor allem die Tour. "Das ist eigentlich gefährlich, dass man Radsportliebe an einem Rennen aufhängt", sagt er. Wenn es doch irgendwann klappt, "dann muss man das Land natürlich zumachen und feiern".

Fürs Erste wären sie bei Sunweb aber auch mit ein paar weiteren Champagnertagen zufrieden.

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