Deutsches Aus bei der Handball-WM:Harter Schlag für ein junges Team

18 Gegentore in einer Halbzeit: Die deutschen Handballer scheitern im WM-Viertelfinale an Gastgeber Katar. Die Spieler suchen die Fehler bei sich selbst - hadern jedoch auch leise mit den Schiedsrichtern.

Von Joachim Mölter, Doha

Die Erfolgsserie der deutschen Handballer bei der WM in Doha ist am Mittwochabend jäh gestoppt worden: Im Viertelfinale unterlag die bis dahin unbesiegte Auswahl von Bundestrainer Dagur Sigurdsson Turnier-Gastgeber Katar 24:26 (14:18). "Wir haben heute leider nicht unser bestes Spiel gemacht", sagte der viermal erfolgreiche Rechtsaußen Patrick Groetzki, der es in den letzten Minuten in der Hand hatte, den Lauf der Dinge noch zu ändern - aber erst von außen und dann bei einem Gegenstoß an Katars Torhüter Saric scheiterte.

"Ich hätte früher die Abwehr umstellen müssen", räumte Bundestrainer Sigurdsson ein

Das war symptomatisch für die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) an diesem Abend: "Wir haben zu viele Chancen liegen lassen", fand Kapitän Uwe Gensheimer, der mit fünf Treffern bester Torschütze der deutschen Auswahl war, aber auch zwei Siebenmeter vergab. "Jeder hat heute seine Möglichkeiten gehabt", sagte Kreisläufer Patrick Wiencek (drei Tore), der in der zweiten Halbzeit zweimal einen Abpraller fing und den Ball zweimal nicht im fast verwaisten Tor der Katarer unterbrachte.

"Es war sicher mehr drin", bilanzierte Bundestrainer Dagur Sigurdsson: "Die Enttäuschung ist groß." Torhüter Carsten Lichtlein, der nicht an seine Weltklasse-Leistung aus dem Achtelfinale gegen Ägypten (23:16) anknüpfen konnte, sprach von einem "harten Schlag für diese junge Mannschaft", mahnte aber, dass ihr noch zwei wichtige Partien bevorstehen - in der Platzierungsrunde um die Ränge fünf bis acht, in der drei Plätze für die olympischen Qualifikationsturniere im Frühjahr 2016 vergeben werden. Nächster Gegner sind dabei am Freitag die Kroaten. Halbfinalgegner der Katarer, die von 14 000 überwiegend in den traditionell weißen Gewändern - den Dischdaschas - gekleideten Zuschauern gefeiert wurden, ist Polen. Katar ist die erste asiatische Mannschaft, die es ins WM-Semifinal geschafft hat.

Aber so ist das bei internationalen Handball-Turnieren: Da kommt der Gastgeber meistens weit, auch wenn er vorher nur als Exot galt, das ist gut für die Zuschauerresonanz. 2005 zum Beispiel erreichte Tunesien als Ausrichter ebenfalls das WM-Halb- finale. In den K.-o.-Runden internationaler Turniere sind Begegnungen mit dem Gastgeber jedenfalls heikle Sachen; wenn da eine Partie auf der Kippe steht, fällt sie gern auf die Seite der Heim-Mannschaft, nicht nur in Katar. Die deutschen Handballer haben bei ihrer Heim-WM 2007 auch von strittigen Schiedsrichter-Entscheidungen profitiert auf dem Weg zum Titel.

Die aktuelle deutsche Mannschaft wusste also, was sie gegen Katar zu tun hatte: sich möglichst schnell ein Polster von drei, vier, fünf Toren zulegen, um die Schiedsrichter gar nicht erst ins Spiel kommen zu lassen. Das klappte bloß überhaupt nicht. Nach einer Viertelstunde lag sie 6:10 zurück, Trainer Sigurdsson nahm die erste Auszeit: Er holte Lichtlein aus dem Tor und schickte Silvio Heinevetter hinein; außerdem änderte er seine Defensivstrategie. "Ich hätte früher auf eine 6-0-Abwehr umstellen müssen", sagte er hernach selbstkritisch. In der Anfangsphase hatte seine offensiv ausgerichtete Abwehr Katars 120 Kilogramm schweren und 2,06 Meter großen Kreisläufer Borja Vidal nämlich nicht in den Griff bekommen; der gebürtige Spanier, der in der Vorrunde eine Verletzung auskurierte und erst zur K.o.-Runde ins Team zurückgekehrt war, erzielte vier Tore. Der Pausen-Rückstand (14:18) lag aber nicht nur an der Defensive. "Wir haben im Angriff die Bälle zu leicht weggegeben, nicht geduldig genug gespielt", resümierte Groetzki.

Katar steht bei seiner Heim-WM bekanntlich in die Kritik wegen seiner Internationalmannschaft mit 16 Spielern aus sieben Ländern. Dabei muss man dem Trainer Valero Rivera freilich zugestehen, dass er daraus eine Einheit geformt hat; vor allem hat er eine schwer zu überwindende 6-0-Abwehr installiert, sein Markenzeichen. Als Rivera vor zwei Jahren die Auswahl seiner Heimat Spanien zum WM-Titel führte, war die von ihm aufgebaute Abwehrmauer der Garant für den Erfolg gewesen: Im Finale waren die Dänen daran verzweifelt (35:19), im Viertelfinale die Deutschen (28:24) . Die trafen also zum zweiten Mal nacheinander im WM-Viertelfinale auf die Auswahl des Gastgebers, zum zweiten Mal wurde diese von Valero Rivera betreut, zum zweiten Mal fanden die Deutschen kein Mittel.

Nach dem Wechsel kamen sie zwar besser ins Spiel und sogar auf ein Tor heran (19:20/39. Minute), "aber wir haben die Kurve nicht mehr gekriegt", sagte Spiel- macher Martin Strobel. Auch, weil sie in dieser Phase von den mazedonischen Schiedsrichtern ein wenig ausgebremst wurden. Die pfiffen jedenfalls etliche Stürmerfouls gegen das DHB-Team, ließen auf der anderen Seite aber die Angriffe der Katarer lange laufen, ehe sie Zeitspiel anzeigten. "Jeder, der etwas von Handball versteht, hat gesehen, was abgelaufen ist", klagte DHB-Präsident Bernhard Bauer. Torhüter Silvio Heinevetter verklausulierte seinen Unmut so: "Man muss sich auf die Zunge beißen und aufpassen, was man sagt, solange man in diesem Land ist."

Aber im Grunde hatten es sich die DHB-Akteure selbst zuzuschreiben, dass sie ihre erste Halbfinal-Teilnahme seit dem WM-Gewinn 2007 verpassten. "Wir gucken erstmal auf uns", versprach Trainer Sigurdsson und fügte hinzu: "Wir haben zu viele Fehler gemacht, ich auch."

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