Deutscher Testspiel-Gegner:Wie ein deutscher Trainer Ungarns Fußball umkrempeln will

Deutscher Testspiel-Gegner: Zwei Deutsche coachen Ungarn bei der EM: Trainer Bernd Storck (links) und Assistent Andreas Möller.

Zwei Deutsche coachen Ungarn bei der EM: Trainer Bernd Storck (links) und Assistent Andreas Möller.

(Foto: ewpa/AFP)

Nach 44 Jahren ist Ungarn wieder bei einer EM dabei. Unter Bernd Storck soll sich das Team von alten Helden emanzipieren. Jetzt steht ein letztes Testspiel gegen Deutschland bevor.

Von Sebastian Fischer, Leogang

Bernd Storck und Viktor Orban haben denselben Lieblingsspieler. Sie sprachen über ihn, als sie sich neulich in Felcsut trafen, Orbans Heimatstadt. Laszlo Kleinheisler, da waren der ungarische Nationaltrainer und der Premierminister einer Meinung: Der kann was. Kleinheisler, Mittelfeldspieler von Werder Bremen, hat Ungarn zur EM geschossen. Und er wurde in der staatlich bezuschussten Puskas-Akademie in Felcsut ausgebildet, Orbans Lieblingsprojekt. "Herr Orban hat ihn genauso gesehen wie ich", sagt Storck.

Eigentlich will der Trainer an diesem trüben Nachmittag in Leogang/Österreich, wo sich die Ungarn in dieser Woche auf das Turnier in Frankreich und das letzte Testspiel vor der EM gegen Deutschland vorbereitet haben, gar nicht reden über den rechtskonservativen Premier, der in seinem Land keine Flüchtlinge aufnehmen will. Nur so viel: "Manchmal ist er straight. Er tut alles für sein Land. Und er ist ein großer Fußballfan." Na dann.

Ungarn, das ist noch immer das Land der Helden der Fünfziger

Bernd Storck, 53, aus Herne war in den Achtzigerjahren acht Jahre lang ein unauffälliger, robuster Abwehrspieler in Bochum und Dortmund, 171 Mal spielte er in der Bundesliga. Dann war er der unauffällige Assistent von Trainer Jürgen Röber, später arbeitete er in Kasachstan und Griechenland. Jetzt plaudert er mit umstrittenen Politikern über Fußball, denn jetzt ist er Trainer und Sportdirektor eines, so sagt er das, "schlafenden Fußballriesen". Ungarn, das ist ja noch immer das Land der Helden der Fünfziger, Puskas, Hidegkuti, Kocsis. Man könnte sagen: Storck ist da in etwas ziemlich Großes hineingeraten.

Begonnen hat alles im Frühjahr 2015 mit einer Idee von Pal Dardai. Der Trainer von Hertha BSC war damals noch Coach der Ungarn, und als sein Verband einen neuen Sportdirektor suchte, rief er bei seinem alten Berliner Freund Storck an. Als Dardai im Sommer 2015 seinen Job in Ungarn für die Arbeit in Berlin aufgab, war Storck plötzlich auch Trainer des Nationalteams, das auf die erste EM-Qualifikation nach 44 Jahren zusteuerte: "Ich war enorm unter Druck", sagt Storck.

Schon als Sportdirektor hatte er sich keine Freunde gemacht, als er deutlich ansprach, dass das schwache Niveau der Liga, die der von Thomas Doll trainierte Klub Ferencvaros Budapest dominiert, mit unprofessionellem Training, fehlender Leistungsdiagnostik und veralteten Ideen zu erklären sei. Storck führte ein Belohnungssystem für Teams ein, die auf junge Spieler setzen. Kaum war er Nationaltrainer, entließ er außerdem seinen Trainerstab. Der frühere DFB-Nationalspieler Andy Möller und der Berliner Holger Gehrke sind nun seine Assistenten; Journalisten nannten den Trainer "Diktator".

"Die Ungarn sind ein bisschen skeptisch", sagt Storck. Er sei da anders: "Ich gehe volles Risiko." Er hat zwar keine Zeit, die Sprache zu lernen, den Humor kann er nicht erklären. Aber irgendwie hat er die Ungarn doch verstanden - und sie ihn. Das Team hielt den dritten Platz in der Gruppe, und nach zwei Siegen in der Relegation gegen Norwegen war der Deutsche mit den zurückgekämmten silbergrauen Haaren plötzlich der gefeierte Kapitánya, der Kapitän. Nach dem 2:1 im Rückspiel ließen die Spieler ihren Coach hochleben. Er spürte damals vor allem: Erleichterung. "Ich weiß nicht, ob ich noch hier sitzen würde, wenn ich keinen Erfolg gehabt hätte."

Doch neben Erfolg hat er auch einen einflussreichen Unterstützer. Sandor Csanyi, Präsident des ungarischen Fußballverbands, Banker und laut Forbes Ungarns erster Milliardär, ist von Storcks Ideen überzeugt: "Bernd, geh' deinen Weg", habe er ihm gesagt, als Kritik und Zweifel laut wurden. Storck sagt zu Csanyi "mein Präsident". Csanyi ist zudem ein guter Freund Orbans. Und der Premier sieht im Fußball, seiner großen Leidenschaft, ein Mittel, den in Ungarn seit Jahren wuchernden Nationalismus weiter zu stärken.

Das goldene Erbe: "eine große Last"

Seit 2011 ermöglicht ein neues Gesetz Steuerermäßigungen fürs Sponsoring "beliebter Mannschaftssportarten". Einige hundert Millionen Euro sind in den Sport geflossen, 33 Stadien wurden ausgebaut. Profiteur ist vor allem der lange darbende Fußball, der nach Generationen überdauernder Enttäuschung an alte Zeiten anknüpfen soll. Der Mythos der "goldenen Elf", die 1954 gegen Deutschland verlor, soll neuen Geschichten weichen.

Wenn man Storck allerdings danach fragt, dann spricht er über das Erbe von Puskas und Hidegkuti nicht etwa als Ehre. Dann winkt er ab, schaut mürrisch und sagt: "Das ist eine große Last."

Storck spricht lieber über seine aktuelle Mannschaft. Über Gabor Kiraly zum Beispiel, den früheren Torwart von Hertha und 1860 München, der mit 40 Jahren in seiner grauen Schlabberhose Stammkeeper sein soll. Über den Mittelfeldlenker Zoltan Gera, mit 37 noch immer Ungarns Bester. Oder über Talente wie Kleinheisler, 22, einen von vier Spielern im EM-Kader, die in Deutschland ihr Geld verdienen. Er war von Storck zum allseitigen Erstaunen fürs Relegationsspiel gegen Norwegen erstmals berufen worden - und er traf prompt beim wegweisenden 1:0-Hinspielsieg.

Storck will eine neue Denkweise im ungarischen Fußball etablieren

Storck erzählt gerne, wie er die an sich zweifelnde Mannschaft vor der Relegation mit Sprinttests motivierte: Er hatte sich die Werte des DFB-Teams besorgt, sie waren nicht schlechter. Weiteres Beispiel für den Wandel sind die Innenverteidiger Adam Lang und Richard Guzmics. Der eine spielt in seinem Verein kaum, der andere war nach einem Fehler gegen den Erzrivalen Rumänien in Ungarn über Jahre geächtet. Storck vertraut ihnen. Er änderte auch die Spielweise, sie ist mutiger. "Wir agieren, anstatt zu reagieren", sagt er.

In Frankreich ist das international unerfahrene Team trotz allem Außenseiter in der Gruppe mit Island, Portugal und Österreich. Storck weiß auch, dass die Qualifikation vor allem glückte, weil nun 24 Mannschaften bei der EM dabei sind. Das Achtelfinale ist nicht mehr als ein Traum.

Doch die Ziele des Mannes, der zum ersten Mal in seiner Trainerkarriere so richtig im Mittelpunkt steht, gehen ohnehin über die EM hinaus. Premier Orban wird weiter Geld in den Fußball pumpen, bei der paneuropäischen EM 2020 ist Budapest Spielort, ein neues Nationalstadion wird gebaut. Und Storcks Vertrag ist bereits bis 2018 verlängert worden. Sein Wunsch: Eine neue Denkweise im ungarischen Fußball zu etablieren: "Nicht so negativ."

Die Ungarn haben ihrer Fußballmannschaft seit der letzten WM-Teilnahme vor 30 Jahren wenig zugetraut. "Seht zu, dass ihr nicht verliert", das hätten die Leute früher gesagt. Jetzt sprechen sie ihn auf der Straße an. Und auch wenn Bernd Storck noch kein Ungarisch spricht, hat er doch verstanden, was sie sagen: "Wir können was erreichen."

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