Deutscher Skisprung-Trainer in Südkorea:"Ohne mich müssten sie nackt springen"

19 12 2014 Engelberg SCHWEIZ FIS Weltcup Skispringen Seou Choi KOR PUBLICATIONxNOTxINxSUI

Hat Talent, aber das reicht beim Skispringen nicht: Seou Choi.

(Foto: imago/Geisser)

Der Deutsche Wolfgang Hartmann soll vier südkoreanische Skispringer fit für Olympia im eigenen Land machen. Ein irrwitziges Vorhaben.

Von Lisa Sonnabend

Seou Choi konnte kaum die Arme heben. Der Sprunganzug spannte an den Schultern, presste auf Brust und Rücken. Doch einen anderen Anzug hatte er nicht. Also sprang er in dem Korsett die Schanze hinunter. Weit kam er nicht. Er konnte sich ja kaum strecken.

Wolfgang Hartmann schüttelt den Kopf. Anekdoten wie diese hat er viele. Seit zwei Jahren trainiert Hartmann das südkoreanische Skisprungteam. Er soll die vier Sportler fit für Olympia 2018 in Pyeongchang machen. Doch Fortschritte machen sie kaum. Mittlerweile reißen TV-Kommentatoren Witze, wenn sich Seou Choi und seine Teamkollegen am Schanzentisch bereit machen. Das ärgert den 55-jährigen Hartmann. Denn dass seine Springer nicht weit fliegen, liegt nicht daran, dass sie kein Talent hätten.

111 Dinge, die sich ändern müssten

Hartmann ist einer, der sich nicht gerne sagen lässt, wo es langgeht. Einer, der die Dinge in die Hand nimmt. Deswegen verheimlicht er seine Wut über den südkoreanischen Skiverband nicht.

Der Trainer ließ dem Verband Fehleranalysen zukommen. In einem Schreiben führte er 111 Dinge auf, die sich seiner Meinung nach dringend ändern müssten. Eine Antwort erhielt er nicht. Die Anzüge passen zwar mittlerweile etwas besser. Doch während Skispringer normalerweise nach jedem Wettkampf einen neuen verwenden, haben Hartmanns Athleten pro Saison nur drei Anzüge zur Verfügung. "Beim Verband denken sie, dass derjenige, der 24 Stunden an 365 Tagen pro Jahr trainiert, Olympiasieger wird", sagt Hartmann. Dass im Skispringen jedoch der Erfolg entscheidend von der Aerodynamik und damit von der Qualität des Materials abhängt, das würden sie nicht einsehen. Oder zumindest kein Geld dafür ausgeben.

Vor zwei Jahren übernahm Hartmann, selbst einst mäßig erfolgreicher Skispringer, den Trainerposten. Andere Nationen stellen den Springern neben einem Trainer auch einen Techniker, einen Zeugwart, einen Psychologen und Physiotherapeuten zur Seite. Die Südkoreaner haben nur Hartmann eingestellt. Der bucht die Hotelzimmer, er trägt die Skier, er näht die Anzüge und achtet darauf, dass Meldefristen für Wettkämpfe eingehalten werden.

Und dann auch noch Heimweh

Wolfgang Hartmann Skispringen Trainer Südkorea

Macht trotz allem weiter: Südkorea-Trainer Wolfgang Hartmann

(Foto: oh)

"Normalweise planen Verbände in Olympia-Zyklen", kritisiert Hartmann, "in Korea machen sie das nur drei Monate im Voraus." Ein neuer Skisprungverantwortlicher wurde vor ein paar Monaten eingestellt. Mal wieder. Und der muss sich nun erst einarbeiten, muss sich erst entscheiden, wie er die Gelder verteilen soll.

Damit sie Selbstvertrauen sammeln und an ihrer Technik feilen können, würde Hartmann gerne mit seinen Springern im zweitklassigen Continentalcup starten. Doch das will der koreanische Skiverband nicht. Und so tingelt das Sprungteam an den Wochenenden zu Weltcups, diesmal nach Titisee-Neustadt. Wenn einer der Athleten die Qualifikation übersteht, ist das ein großer Erfolg. Den zweiten Durchgang erreichen sie fast nie.

Im Sommer üben die Sportler in ihrer Heimat. Doch in dem Ressort Alpensia, wo die einzige bedeutsame Schanze des Landes steht, weht meist viel zu viel Wind. Es ist dann zu gefährlich, hinunterzufliegen. Im Winterquartier in Garmisch sind die Bedingungen besser, dafür plagt die Koreaner dort fürchterliches Heimweh. Alle sind um die 30 Jahre alt, sie haben Familien. Seou Choi verpasste gerade ein Springen, um in der Heimat den ersten Geburtstag seiner Tochter zu feiern. Er hatte sie davor monatelang nicht gesehen.

Es ist nur ein Film

Als der Springer zurückkam, war sein Koffer prall gefüllt: mit Kimchi. Die scharfe, zumeist aus Kohl bestehende Gemüsezubereitung, ist ein koreanisches Nationalgericht, es wird zu jeder Mahlzeit gereicht. Die Springer sind süchtig danach. "Wenn ihre Vorräte zu Neige gegangen sind, bekommen sie ganz leere Augen", erzählt Hartmann. Weite Sätze wären dann wohl selbst mit der richtigen Ausrüstung nicht mehr möglich.

Schon oft hat Hartmann daran gedacht, hinzuschmeißen. "Es ist eigentlich ein sinnloses Vorhaben", sagt er. Doch er macht weiter, hofft, dass sich vielleicht doch noch etwas ändert. Dass Seou Choi einmal so weit springt wie die Springer aus Österreich, Deutschland oder Japan, vielleicht sogar bei den Olympischen Spielen im eigenen Land. Und es gibt noch einen Grund, warum Hartmann nicht einfach aufhören kann: "Ohne mich müssten sie ja nackt springen."

In Korea wurde vor ein paar Jahren der Film "Take Off" gedreht. Es geht um vier Skispringer, die plötzlich weite Sätze machen. Die Zuschauer strömten in die Kinos. Doch es ist nur ein Film.

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