Deutscher Fußball-Bund:Sechshundert Suchbegriffe

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Der 22. Oktober 2015 war der Tag, an dem DFB-Präsident Wolfgang Niersbach jene Pressekonferenz gab, die seinen Rücktritt beflügelte. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Bei den Ermittlungen finden sich immer mehr Hinweise auf dubiose Geschäfte rund um die WM-Vergabe.

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo und Klaus Ott, München

Ein Fußballspiel dauert neunzig Minuten, meist wird nachgespielt. Manchmal gibt es auch Verlängerung und Elfmeterschießen. Alles in allem aber ist ein Fußballspiel, zeitlich betrachtet, eine überschaubare Angelegenheit.

Das gilt nicht für die wirtschaftlichen Abgründe dieser Sportart. Seit Mitte Oktober gehen Anwälte der Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer im Auftrag des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) vielen Fragen zur Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 nach. Ursprünglich war der Prüfbericht für Anfang 2016 erwartet worden. Derzeit ist von Ende Februar oder Anfang März die Rede. Der Stoff für diesen Krimi ist sehr umfangreich geworden. Umfangreicher als gedacht.

Freshfields hat die Zahl der Ermittler aufgestockt. Mittlerweile kümmern sich mehr als dreißig Anwälte um den Fall. Die Geschichte mit den 6,7 Millionen Euro, die alles auslöste, sollen sie ziemlich beisammen haben. Das Geld soll der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus an irgendjemand bei der Fifa-Finanzkommission gezahlt haben, damit die Deutschen einen Zuschuss für die WM in Höhe von 170 Millionen Euro bekamen. Bei der Rückzahlung der Dreyfus-Millionen war ein falscher Verwendungszweck angegeben worden. Weil das Geld beim Fiskus als Betriebsausgabe geltend gemacht worden war, ermitteln Frankfurter Staatsanwälte wegen Verdachts der schweren Steuerhinterziehung.

Aber da ist noch mehr. Die Freshfields-Anwälte hantieren in den DFB-Dateien bei der Suche nach verdächtigen Vorgängen inzwischen mit über 600 Suchbegriffen und stoßen auf merkwürdige Dinge.

Etwa auf eine E-Mail, die ein Mitarbeiter der DFB-Pressestelle am 27. August 2012 an drei Mitarbeiter des Verbands schickte: "Betreff ISL". Gemeint war der frühere Fifa-Vermarktungspartner ISL, der viele Fußball-Funktionäre schmierte. Im Anhang der DFB-E-Mail waren Bestechungszahlungen von 1999 bis 2001 aufgelistet, die aus den Seiten 164 bis 167 einer Anklage gegen die ISL stammten. Besonders spannend: Am 5. Juli 2000, also einen Tag vor der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland, hatte jemand, der sich hinter dem Kürzel "E 16" verbarg, 250 000 Dollar bekommen. Ist das ein Schlüssel zum angeblich gekauften Sommermärchen?

Könnte die Schmiergeldfabrik ISL etwas mit der WM 2006 zu tun gehabt haben?

Die Freshfields-Anwälte fragten den früheren Vize-Generalsekretär des DFB, Stefan Hans, was es mit der E-Mail auf sich habe. Hans sagte, er könne sich nicht erinnern, dann fiel ihm ein: "Da ging's darum, ob wir involviert waren." Wir, der DFB? Involviert in was? Könnte die vom einstigen Adidas-Chef Horst Dassler gegründete Schmiergeldfabrik ISL etwas mit der WM 2006 zu tun gehabt haben? Hans fuhr fort, er habe das ISL-Dokument zwar mal gesehen, aber die Geschichte nicht verfolgt. Den Verteiler der E-Mail könne er sich teilweise nicht erklären. Mit einer zweiten E-Mail, die drei Tage später, am 30. August 2012, auch an den damaligen DFB-Chef Wolfgang Niersbach ging, wusste Hans gar nichts anzufangen. Auch nicht mit den Stichworten Liechtenstein und Adidas.

Freshfields befragte auch Niersbach, kurz vor seinem Rücktritt als DFB-Präsident. Die Freshfields-Anwälte legten Niersbach einen ungeschwärzten Auszug aus der ISL-Schmiergeldakte vor und erklärten ihm, das Papier stamme aus einem Ordner, den sie von einer DFB-Dame aus dem Vorzimmer des Präsidentenbüros bekommen hätten. Niersbach antwortete, er müsse total passen. Die Kollegin habe in dem Ordner wohl verschiedene Vorgänge zur WM 2006 gesammelt. An anderer Stelle seiner Vernehmung sagte Niersbach, er sei im Organisationskomitee der WM 2006 nur "Medienfuzzi" gewesen, und die anderen hätten ihn bei Finanzthemen nicht dabei haben wollen. Er habe noch nie mit Zahlen umgehen können.

Plötzlich tauchen beim DFB auch noch Akten auf, die nicht gefunden werden sollten

Ob sich hinter E 16 vielleicht das ehemalige Fifa-Exekutivmitglied Charles Dempsey (verstorben 2008) verberge, wollten sie von Niersbach wissen. Der Name des Neuseeländers wird gern genannt, weil er im Juli 2000, kurz vor der finalen Abstimmung über die WM 2006, den Saal verlassen halte. Nach seiner Enthaltung siegte Deutschland 12:11 gegen Südafrika. Niersbach erklärte, er habe mit der Sache nichts zu tun gehabt. Als ihm Freshfields die Namen von zwei Firmen vorhielt, die beim ISL-Schmiergeldfall E 16 eine Rolle spielten, sagte Niersbach, ihm sei dazu absolut nichts bekannt. Das sei ihm kein Begriff. Er habe auch keine Anhaltspunkte, dass Adidas Einfluss genommen habe. Freshfields wollte noch mehr wissen. Ob Niersbach mitbekommen habe, dass bei einem Kongress der europäischen Fußball-Organisation Uefa am 30. Juni 2000 in Luxemburg (also wenige Tage vor der Fifa-Abstimmung über die WM 2006) Gelder oder Umschläge übergeben worden seien? Nein, nichts mitbekommen.

Je tiefer Freshfields gräbt, desto mehr Spuren gibt es. Hier E-Mails, dort Protokolle, die auf dubiose Geschäfte hindeuten. Und plötzlich tauchen beim DFB auch noch Akten auf, die jemand wohin geschafft hat, wo sie nicht gefunden werden sollten. Freshfields muss bald einen Prüfbericht abliefern, das Fazit lässt sich erahnen (wenn nicht noch Außergewöhnliches passiert). Die Geschichte mit den 6,7 Millionen Euro wird bis auf den Verbleib des Geldes nahezu lückenlos erzählt werden können. Bei der Kernfrage, ob die WM 2006 gekauft wurde, gibt es Indizien, aber sie fügen sich bislang nicht zu einer festen, beweiskräftigen Kette. Alles Weitere hängt von der Staatsanwaltschaft Frankfurt sowie den Ermittlern in der Schweiz und den USA ab, die mit diesem Fall befasst sind.

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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