Deutscher Achtelfinal-Gegner:Ein Punk unterm Vesuv

Hamsik

Der Hahnenkamm der EM: Marek Hamsik.

(Foto:  Ghement/dpa)

Marek Hamsik ist dem SSC Neapel seit Jahren treu und gilt als einer der letzten Romantiker des Fußballs.

Von Birgit Schönau, Rom

Man nennt ihn auch den höchsten Hahnenkamm der Welt. Sicher, der des Belgiers Radja Nainggolan ist auffälliger, weil blond. Marek Hamsiks Frisur aber ist noch extremer. Raspelkurze Haare, darüber erhebt sich lang und fettig der Hahnenkamm wie der Vesuv über dem Golf von Neapel. Sieht zum Fürchten aus, und wenn den Deutschen im Achtelfinale gegen die Slowakei am Sonntag überhaupt ein Gegenspieler gefährlich werden kann, dann dieser hier. Auf dem Platz ist der Irokese Hamsik ein Feuer spuckender Stecher, aggressiv, durchsetzungsstark und jederzeit für ein Tor gut.

Für die Slowakei verkörpert Hamsik das, was Gareth Bale für Wales ist, und Cristiano Ronaldo für Portugal: Überflieger, Fixpunkt, Antreiber. Russland erledigte er mit einem Treffer und einer Vorlage, jetzt ist die Slowakei bei ihrer ersten EM-Endrunde überhaupt in der K.o.-Runde angekommen. Zum großen Teil ist das Hamsiks Erfolg, er selbst aber behauptet: "Wir sind einfach nur glücklich, Teil dieses Turniers zu sein." Was nicht heißt, dass er nicht noch gerne ein Weilchen dabeibleiben würde, unter Großen.

Der Mann an sich ist ein Punk, und wie jeder Punk ein aus der Zeit gefallener Romantiker. Klubs aus halb Europa umwerben ihn seit Jahren, angeblich ist Juventus Turin jetzt wieder hart am Ball. Dort ist Pavel Nedved Vizepräsident, der Über-Tscheche, der den Über-Slowaken Hamsik bei jeder Gelegenheit zu seinem einzigen legitimen Nachfolger erklärt. Hamsik aber will nicht so richtig nach Turin, zu den Preußen Italiens. Er möchte dem SSC Neapel, seinem exzentrischen Klubpräsidenten Aurelio De Laurentiis und dem vulkanischen Hausberg treu bleiben, "weil ich da halt zu Hause bin". Seit Jahren beteuert er, dass er für Neapel gern das werden würde, was Paolo Maldini für den AC Mailand war, und Francesco Totti für den AS Rom. Ein Spieler, der bleibt, der nie weiterzieht, ein Monument der Treue, wie es das im modernen Klubfußball kaum noch gibt. Und das, obwohl er selbst und seine Frau in ihrer Wahlheimat schon häufiger auf offener Straße überfallen wurden, Neapel ist halt kein Badeort wie Vichy, wo die Slowakei ihr EM-Lager bezogen hat. Sondern eine Stadt, in der so ziemlich alles möglich und unmöglich ist.

Einmal wartete Hamsik an einer Ampel, als sich zwei maskierte Männer auf einer Vespa näherten, das Fenster der Fahrerseite einschlugen. Der Spieler schaute in eine Pistolenmündung und sah sich genötigt, seine teure Uhr abzugeben. Seiner Frau Martina erging es noch schlechter, ihr wurde bei anderer Gelegenheit gleich das Auto abgenommen. Als die Diebe merkten, wem sie das Fahrzeug gestohlen hatten, ließen sie es stehen. Hamsik beklauen! Das geht zu weit. Weswegen er auch ungerührt seinen Fuhrpark stetig erweitert. Wie viele Autos Hamsik besitzt, weiß keiner genau, nur soviel: Die Palette reicht vom Ferrari bis zum Fiat-Cinquecento-Oldtimer. Wenn er irgendwann aufhört mit dem Fußball, kann er immer noch einen Droschkenverleih für neapolitanische Hochzeiten betreiben. Vielleicht unter seinem Spitznamen "Marekiaro".

Dabei handelt es sich um eine recht poetische Verballhornung von Hamsiks Vornamen mit dem noch sehr viel poetischeren Küstenabschnitt Marechiaro. Dort, an einem der schönsten Orte Europas, mit Blick auf die Inseln Procida, Ischia und Capri, lebt Hamsik mit seiner Familie. Wegen seiner Kurzsichtigkeit trägt er abseits des Platzes eine dicke Brille. Alles Furchteinflößende fällt dann von ihm ab, und aus Marek, dem Krieger, wird Marekiaro, ein sehr überlegter, ja sanftmütiger 28-Jähriger mit einer originellen Frisur.

Als Hamsik 2007 in Neapel ankam, war er gerade 20 und hatte schon drei Jahre beim norditalienischen Klub Brescia hinter sich. Eine typische Fußballerjugend: Früh das Elternhaus verlassen, ab ins Fußballinternat, dort entdeckt und herumgereicht in der europäischen Fußballprovinz. Der ganze Hamsik war noch ein wenig blass und schüchtern, ein Talent mit einem unauffälligen Fassonschnitt für den ruhmreichen aber angeschlagenen SSC, der nach der Pleite soeben von der dritten in die erste Liga hochgekrabbelt war.

Was dann kam, ist eine Erfolgsgeschichte, für Napoli und für Hamsik. Der verzagte Junge aus einem Land, das die meisten Italiener bis heute entweder hartnäckig mit Slowenien verwechseln oder immer noch als Anhängsel von Tschechien gespeichert haben, eroberte die verrückteste Stadt des Kontinents, eine Metropole zwischen Himmel und Hölle, Vulkan und Meer. Er war dabei, als der SSC nach über 20 Jahren wieder in der Champions League startete.

In der vergangenen Saison gewann Napoli zwar die Hinrunde, wurde am Ende aber trotz der 36 Saisontore des Argentiniers Gonzalo Higuaín hinter Juventus Turin nur Zweiter. Längst ist Hamsik Kapitän, er hat es mit 403 Einsätzen auf Platz drei der treuesten Napoli-Spieler gebracht und ist mit 98 Treffern Nummer fünf der ewigen Torjägerliste, die übrigens von einem gewissen Diego Armando Maradona angeführt wird.

In Neapel reifte Marek Hamsik zu einem der interessantesten Spieler Europas. Und gleichgültig, ob er nach dem Sommer vielleicht doch den Klub wechselt - seine Trikotnummer wird bleiben. Es ist die Nummer 17. Die Unglückszahl in Italien, doch Hamsik hat das nie gekümmert. Der Mann pflegt das Schicksal herauszufordern. Die 17 trägt er auch in der Nationalelf, und natürlich auch am Sonntag gegen Deutschland.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: