Deutsche Wurzeln im US-Team:Soldatensöhne ohne Sentimentalitäten

Jurgen Klinsmann

Jürgen Klinsmann und sein Team

(Foto: AP)

Jones, Johnson, Brooks, Chandler, Green: Die Fußball-Nationalmannschaft der USA ist so deutsch wie nie zuvor. Die Partie ihres einen Heimatlands gegen das andere empfindet allerdings nur ihr Trainer als "ganz besonderen Moment".

Von Thomas Hummel, Recife

Kyle Beckerman war bislang unverdächtig, in diesen Nationalitäten-Brei zu geraten. Haare wie ein Jamaikaner, Sprache wie ein echter Eastcoast-Guy, Spielweise forsch bis rustikal. Bei diesem seltsamen Treffen am Donnerstagmittag in Recife hätte Beckerman einer von denen sein können, denen es allein um Fußball geht. Doch auch der 32-Jährige musste sich vorab der vermaledeiten Frage stellen: Wo liegen ihre Wurzeln, Herr Beckerman? "I've got some German and some French." Also auch Beckerman! Deutsche Vorfahren!

Das Spiel am Donnerstagmittag in Recife ist für die gegnerischen Teams zweierlei. Erstens ist es die dritte und entscheidende Partie in Gruppe G der Fußball-Weltmeisterschaft. Beide Mannschaften wären mit einem weiteren Punkt im Achtelfinale. Zweitens ist das Spiel - zwangsläufig - auch eine Art Familientreffen.

Jürgen Klinsmann trifft auf Joachim Löw. Der einstige Chef auf seinen einstigen Co-Trainer. Zwei Freunde spielen gegeneinander. Das ist die große, die publikumsträchtige Variante des Familiennachmittags in Recife. Dabei ist das Fest viel größer.

Die Fußball-Nationalmannschaft der USA ist so deutsch wie nie zuvor. Der Trainer und sein Umfeld haben ihre Kenntnisse über den deutschen Fußball genutzt und sich umgesehen, wo in der Bundesliga es Profis mit Verbindungen in die USA gibt. Sie sind fündig geworden.

Als Jermaine Jones aus Frankfurt am Main nach drei Test-Länderspielen für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) merkte, dass er bei Joachim Löw kaum eine Zukunft hat, nahm er gerne Klinsmanns Angebot an, künftig für das Land seines Vaters zu spielen. Weitere Deutsch-Amerikaner haben die Gelegenheit genutzt, Nationalspieler zu werden und eine WM zu erleben: Der ebenfalls in Frankfurt geborene Timothy Chandler, John Anthony Brooks aus Berlin, der in Miesbach aufgewachsene Julian Green und Fabian Johnson aus München.

Sie alle sind Söhne von in Deutschland stationierten US-Soldaten und einer deutschen Mutter. Sie spielen in Recife für das eine Heimatland gegen das andere. Mit Sentimentalitäten allerdings ist nicht zu rechnen. "Keiner der deutsch-amerikanischen Spieler denkt hier zu viel über seine Wurzeln nach", erklärte ihr Trainer.

Johnson verglich das Länderspiel mit einem profanen Klubtreffen: "Ich treffe auf diese Spieler ja auch in der Bundesliga, das ist nichts besonderes für mich." Beckerman meinte: Das sei eben die USA, die Menschen hier kämen aus allen möglichen Ecken der Welt. Allein Klinsmann selbst gab zu, dass dies kein alltägliches Spiel für ihn sei: "Natürlich ist das ein ganz besonderer Moment. Es wird vermutlich nicht mehr häufig vorkommen in meinem Leben, dass ich während einer WM als Trainer gegen Deutschland spiele."

Familie Klinsmann ist gespalten

Da der 49-Jährige die Kniffe der modernen Sportpsychologie bestens kennt, soll daraus aber keine negative Energie erwachsen. Ob er das Spiel nutzen wolle, um den Deutschen zu zeigen, dass er doch ein guter Trainer sei? Schließlich heiße es in seiner Heimat bisweilen, er sei ein großer Motivator, habe aber von Taktik wenig Ahnung. Und beim FC Bayern ging ja auch vieles schief. Klinsmann lachte und reagierte authentisch locker auf die Frage: "Ich hoffe, ich weiß ein bisschen was über Taktik", erklärte er, persönlich müsse er niemandem etwas beweisen. "Bayern München war ein turbulentes Jahr, aber das ist ein Teil des Jobs."

Das Positive selbst aus Rückschlägen herauszuziehen ist zum Mantra im Leben des Jürgen Klinsmann geworden. Diesem Mantra folgt er auch, wenn er sagt: "Ich lebe seit 1998 in den USA und habe vieles verinnerlicht, was US-Mentalität ausmacht." Gerade die Auftritte der Deutsch-Amerikaner bei dieser WM haben veranschaulicht, dass er vieles davon an seine Spieler weitergegeben hat.

Der 21-jährige Brooks erlebte bei Hertha BSC eine wechselhafte Saison erlebt, wankte zwischen Bundesliga und Regionalliga hin und her und musste einige Blessuren überstehen. In Brasilien kommt er auf den Platz gegen Ghana und köpft kurz vor Schluss den Siegtreffer. Jermaine Jones, bei Schalke in Ungnade gefallen, dominiert zusammen mit Michael Bradley das Zentrum, wirkt stabil, konzentriert und ballsicher wie seit Jahren nicht. Auch er hat bereits getroffen. Die erstaunlichste Vorstellung bot aber bislang Fabian Johnson.

In Hoffenheim hatte er einen ordentlichen Rechtsverteidiger gespielt, technisch gut, wenige Fehler. Jetzt darf Klinsmann ungestraft behaupten, dass der 26-Jährige bislang zu den besten Außenverteidigern des Turniers gehöre. Die Portugiesen hat Johnson mit seinen Sprints entlang der Seitenlinie völlig überfordert und war Ausgangspunkt für viele gute Aktionen.

Brooks, Jones und Johnson sind Sinnbilder für eine Mannschaft, die zusammen besser spielt als die Summe ihrer Einzel-Qualitäten eigentlich ergeben dürfte. Und die daran glaubt, bei dieser WM noch viele Gegner besiegen zu können. Auch Deutschland. "It's possible, it's doable", beschloss Klinsmann, seine Elf sei in der Lage, die großen Deutschen zu schlagen. Sie hätten ihre Hausaufgaben gemacht, nun wollten sie die Überraschung schaffen.

Was ein möglicher Sieg der USA auslösen würde, darüber denkt Klinsmann naturgemäß nicht nach. Teile seiner ehemaligen Heimat würden wohl nicht erfreut reagieren, würde er mit der typischen Klinsmann-Euphorie nach dem Schlusspfiff auf den Schultern der Spieler über den Platz schweben. Während Deutschland womöglich das frühe Aus betrauert. Auch privat ist die Geschichte nicht ganz einfach: "Meine Familie wird gespalten sein", berichtete er, die Leute in Deutschland und den USA werden nicht zu derselben Mannschaft halten.

Sein Spieler Beckerman hegt keinen Zweifel an der Nationalität seines Trainers: "Ich glaube, er ist inzwischen Amerikaner." Wobei er sich da nicht so sicher sein sollte. Nach dem Spiel, sagte Klinsmann, wenn er Deutschland geschlagen habe, dann besuche er Joachim Löw "und wir können wieder einen Espresso trinken". Espresso? Beim Kaffee hört die Liebe zur neuen Heimat offensichtlich auf.

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