Deutsche U 21 nach dem EM-Aus:Demütigung erster Güte

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Enttäuscht in Olmütz: Matthias Ginter (links) und Dominique Heintz. (Foto: dpa)

0:5 im EM-Halbfinale gegen Portugal: Noch nie ist eine deutsche U-21-Mannschaft so untergegangen. Die Spieler suchen die Schuldigen unter sich, auch der DFB-Präsident ist entsetzt.

Von Matthias Schmid, Olmütz

Die Lunchbox, die er in seiner linken Hand hielt, war das einzig Erfreuliche, was Matthias Ginter an diesem Abend aus Olmütz mitnahm. Immer wieder schielte er auf den weißen Karton. Doch bevor er ihn im Bus öffnen durfte, musste er noch Fragen beantworten, die er eigentlich nicht beantworten wollte. Er tat es dann nach dem deprimierenden 0:5 gegen Portugal bei der U-21-Europameisterschaft doch erstaunlich offen, man hatte sogar kurzzeitig das Gefühl, dass der Innenverteidiger nach der höchsten Niederlage in der U 21 Tacheles reden wollte. Doch irgendetwas hinderte ihn daran.

Seine Andeutungen allerdings waren schon aufschlussreich genug und öffneten einen neuen Blick auf die Mannschaft, von der man dachte, dass sie eine echte Mannschaft sei. Die kein Problem damit hat, sich gegenseitig zu motivieren und mit höchster Sorgfalt für eine Partie zu präparieren. Ginter sagte also: "Nicht alle, aber schon einige müssen sich hinterfragen, ob sie sich bei der Vorbereitung auf das Halbfinale professionell verhalten haben."

Rumms, das hatte gesessen. Was er genau damit meinte, ob einige Spieler womöglich sogar abends an dem für junge Menschen kulturell reizvollen Prager Nachtprogramm mehr Gefallen gefunden hatten als sich in die Bettdecke im Mannschaftshotel zu kuscheln, wollte er nicht präzisieren. Ginter konnte sich aber nicht erklären, warum die Portugiesen von der ersten Minute an frischer wirkten, aktiver, "obwohl wir einen Tag länger Pause hatten als sie. Das macht für mich keinen Sinn".

Emre Can nach dem Halbfinal-Aus
:"Vielleicht dachte ich, ich bin der Größte"

Er habe im Halbfinale "nicht alles gegeben": Emre Can übt nach dem 0:5 der deutschen U21 gegen Portugal heftige Selbstkritik. Mit dem Lob für seine vorherigen Leistungen habe er nicht umgehen können.

Auch Kapitän Kevin Volland fand deutliche Worte. "Wir haben kollektiv versagt, das war eine Arbeitsverweigerung von jedem Einzelnen", bekannte der Hoffenheimer Profi nach dem verstörenden Auftritt gegen erschreckend dominierende Südeuropäer. Er widersprach jedoch der Einschätzung Ginters, fehlende Professionalität oder gar einen Hang zur Sorglosigkeit hatte Volland in den Tagen vor dem Spiel nicht erkennen können. "Das kann ich definitiv ausschließen", sagte der 22-Jährige. Er wollte deshalb auch noch mal mit Ginter reden. "Aber es ist schon traurig", fügte der Kapitän an, "mit 0:5 auszuscheiden, obwohl wir so eine geile Truppe haben."

Es waren kräftige Risse zu erkennen in der vormals so heilen Welt der U 21. Auch Volland klang ehrlich betroffen. Er hatte nach Spielende als Letzter den Rasen verlassen, lebhaft diskutierend mit Joshua Kimmich. Die beiden waren die wenigen Ausnahmen in der deutschen Mannschaft, die zumindest in der ersten Hälfte versucht haben, mit Wucht, Leidenschaft und Willen in die Zweikämpfe mit den in Kopf und Beinen schnelleren Portugiesen zu gehen, während die übrigen dem "jogo bonito", dem schönen Spiel, devot gegenübertraten. "Wir haben uns alle so auf das Spiel gefreut, weil es doch nichts Cooleres gibt als ein EM-Halbfinale gegen Portugal", sagte Volland. Und dann das.

Die Freude war schnell der Ernüchterung gewichen, schon nach einer halben Stunde war das Spiel eigentlich entschieden, auch wenn die Deutschen kurz vor der Pause ihre beste Phase und durch Kimmich und Amin Younes ihre einzigen Gelegenheiten hatten, ins Spiel zurückzukehren. Doch vor und gleich nach der Pause beseitigte Portugal um den arg abgezockten William Carvalho mit zwei schönen Spielzügen die letzten Zweifel, dass das Spiel womöglich noch eine wilde Wendung erfahren könnte, im Gegenteil: Mit dem fünften Treffer wurde die Demütigung gar noch schlimmer. "Am Ende bin ich heilfroh, dass wir nur fünf Stück bekommen haben", gestand Cheftrainer Horst Hrubesch, wohlgemerkt nach einem EM-Halbfinale.

Dass der 64-jährige mit seiner defensiven und ungewohnten 4-1-4-1-Aufstellung die Partie vielleicht vercoacht haben könnte, wollte hinterher niemand tiefergehend thematisieren. "Aber wenn wir als Mannschaft versagen, muss sich jeder einzelne hinterfragen", fand Torhüter Marc-André ter Stegen. Das sei "nicht einfach zu verarbeiten", sagte der Torhüter vom Champions-League-Gewinner FC Barcelona.

Möglicherweise hilft ja gerade die entspannte Art von Hrubesch. Zu seinen großen Vorzügen gehört es ja, dass er die Dinge des Lebens eher pragmatisch sieht, fast nüchtern. Er verliert nicht die Bodenhaftung, wenn er den Titel wie 2009 mit der goldenen Generation um Neuer, Özil und Khedira gewinnt. Und er dramatisiert Niederlagen oder Tiefpunkte wie das 0:5 nicht noch zusätzlich.

Mit dieser Attitüde wirkte er deshalb nach seiner ersten Pflichtspielniederlage als U-21-Trainer ziemlich gefasst. "Wir müssen das hinnehmen, wie es ist", sagte er. Er klang dabei wie ein Notar bei der Testamentseröffnung, Hrubesch wollte das Erbe des deutschen Fußballs nicht schlecht reden. "Wenn man die Jungs sieht, dann kann das Positive nur überwiegen", fügte er hinzu. Und das, obwohl seine Mannschaft bei der EM nur eines von vier Spielen gewinnen konnte.

Sein Chef sah das ein wenig anders, vielleicht muss sich Wolfgang Niersbach einfach noch an Niederlagen gewöhnen, denn seit er als Präsident dem größten Fußball-Verband der Welt vorsteht, hat er in den vergangenen drei Jahren fast ausschließlich Erfolge moderieren dürfen. Deshalb war er diesmal erzürnt und sprach davon, dass er die Darbietung ziemlich "deprimierend" fand: "Eine bittere Lehrstunde für unsere Mannschaft. Da gibt es keine Erklärung für."

Nicht jedes große Turnier kann so enden wie die Nacht von Rio im vergangenen Jahr, als die deutsche A-Mannschaft ihren vierten WM-Titel gewann. Matthias Ginter stand damals im Estádio Maracanã mit dem Pokal auf dem Rasen. Auch die Reise ins mittelmährische Olmütz wird er nicht so schnell vergessen. "Das bleibt hängen", sagte er, bevor er sich endlich in Ruhe seiner Lunchbox widmen konnte.

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Von Ulrich Hartmann, Olmütz

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