Deutsche Sportpolitik:Mehr Macht für die Zentrale

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"Wir brauchen Durchgriffsmöglichkeiten": Dirk Schimmelpfennig will mehr Einfluss für den DOSB. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

Bei der Reform des Leistungssports ist die neue Verteilung der Fördergelder entscheidend. Der DOSB reklamiert für sich, bei Personalthemen stärker mitzureden.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Wer sich in diesen Tagen mit Dirk Schimmelpfennig unterhält, der hört sehr oft das Wort "Potenziale". Medaillenpotenziale, Erfolgspotenziale, um solche Sachen geht es ihm. Schimmelpfennig hat sich in der nationalen Sportszene einen guten Ruf erarbeitet. Viele Jahre lang war er maßgeblich daran beteiligt, den Tischtennis-Bund zu einem erfolgreichen Verband aufzubauen. Seit etwas mehr als einem halben Jahr arbeitet er beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) als Vorstandsmitglied für den Leistungssport. Und damit ist er eine der zentralen Figuren für jene große Reform des Leistungssports, die gerade vorbereitet wird - und die noch viel Ärger erzeugen dürfte.

Der Bundesinnenminister fordert bei Spielen künftig 30 Prozent mehr Medaillen

Kaum etwas soll im deutschen Sport so bleiben, wie es ist. Dieses Credo geben die Spitzen von DOSB und Innenministerium (BMI) seit geraumer Zeit vor. Das Abschneiden bei den Olympischen Spielen in London 2012 (11 Gold/19 Silber/14 Bronze) und Sotschi 2014 (8/6/5) ist ihnen nicht gut genug. Mindestens 30 Prozent mehr Medaillen sollen es sein, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Das ist eine beachtliche Vorgabe. In vielen Sportarten gibt es eine steigende Zahl von Nationen, die um die Podestplätze mitkämpfen können; zudem wirft manche Doping-Enthüllung aus jüngerer Vergangenheit zumindest in einigen Disziplinen die Frage auf, ob ein Sport, der sich als sauber geriert, in solch einem Umfeld überhaupt Medaillen gewinnen möchte und sollte. Aber diese Aspekte ignoriert der organisierte Sport, Widerworte gegen de Maizières Vorgaben gibt es kaum. DOSB-Chef Alfons Hörmann versteht sich als leidenschaftlicher Leistungssportler, Schimmelpfennig nicht weniger. Sie wollen die große Reform.

Die Frage ist nur: wie? "Unser Kernproblem ist, dass wir in der Steuerung zu wenig strukturiert sind. Die Förderung funktioniert nicht abgestimmt und koordiniert", sagt Schimmelpfennig. Sieben Arbeitsgruppen tagen, gelenkt von den Spitzen von DOSB und BMI. Sie wollen die nationale olympische Sportwelt einmal auseinandernehmen und dann wieder neu und besser verzahnt zusammensetzen. Nach den Spielen in Rio de Janeiro 2016 soll ein Konzept stehen. An manchen Stellen knirscht es noch gehörig zwischen den Beteiligen, aber einige Leitlinien zeichnen sich ab. Es sollte etwa niemanden überraschen, wenn die Zahl der Olympiastützpunkte (aktuell 19 mit teilweise mehreren Außenstellen) sinkt. Ebenso wenig, wenn es künftig mehr Zentralisierung gibt und die Eliteschulen noch stärker in den Fokus rücken, auch wenn Experten das kritisch sehen.

Aber nicht zuletzt geht es um die Rolle der Spitzenverbände - zumindest einige von ihnen sind nicht erfreut über das Gesamtbild, das gerade gemalt wird. Der eine Aspekt ist die Aufteilung der Finanzen. Mehr als 160 Millionen Euro zahlt das BMI jährlich für den Sport; und mehr gibt es auch nicht, sagte de Maizière schon deutlich, auch wenn der Sport immer noch darauf hofft. Etwas mehr als 50 Millionen Euro davon fließen jährlich als Grund- und Projektförderung direkt an die olympischen Verbände. Die Grundförderung macht den größeren Anteil aus, sie berechnet sich nach einem festen Schlüssel aus der Anzahl von Wettbewerben, Startern und Medaillen bei den beiden letzten Olympischen Spielen. Bei den Projektmitteln gibt es fünf Gruppen: Wer hohe Medaillenchancen hat, fällt in Kategorie A und bekommt seine Wünsche finanziert, wer nicht einmal Finalchancen hat, fällt in Kategorie E und bekommt kein Geld, dazwischen gibt es entsprechende Abstufungen. Aber dieses System aus Grund- und Projektförderung, so DOSB-Mann Schimmelpfennig, soll es bald nicht mehr geben.

Der Trend ist klar: noch mehr Geld für die Verbände, die in ihren Zielvereinbarungen große Medaillenchancen anmelden können, noch weniger für diejenigen, die sich keinen Ertrag ausrechnen dürfen. Gesellschaftliche Verwurzelung und andere Aspekte, die den Wert einer Sportart ausmachen, spielen keine zentrale Rolle. Die Frage ist nur: Wie radikal lässt sich dieser Weg gehen? Mancher Verband fürchtet jedenfalls schon um seine Zukunft. Künftig sollen laut Schimmelpfennig nicht nur die Potenziale für die nächsten vier Jahre, sondern für die nächsten acht Jahre zählen. Er hält es auch "für denkbar, dass man differenziert zwischen den einzelnen Disziplinen". Übersetzt in ein fiktives Beispiel bedeutet das: In der Leichtathletik können die Diskuswerfer Unterstützung bekommen, die 100-Meter-Sprinter hingegen nicht mehr.

Doch daneben möchte der DOSB auch stärkeren Einfluss auf konkrete Personalien bei den Verbänden nehmen. Das beginnt für Schimmelpfennig schon bei den Sportdirektoren. "In dieser Funktion brauchen wir eine ganz hohe Professionalität. Die ist noch nicht überall gegeben", sagt er. Verbände, die nach ihren Wünschen gefördert werden möchten, brauchen auch "eine entsprechende personelle Ausstattung, und wir brauchen da auch Durchgriffsmöglichkeiten". Schon in der jüngeren Vergangenheit hätten die Beispiele Curling und Eisschnelllauf gezeigt, dass der DOSB in Absprache mit dem Innenministerium Einfluss genommen habe. Bei beiden Verbänden gibt es seit Anfang 2015 neue Sportdirektoren. Künftig könnten noch weitere derartige Beispiele folgen.

Manche Verbände würden gerne direkt mit dem BMI verhandeln, ohne den DOSB dazwischen

Schimmelpfennig bezieht diesen Anspruch auf mehr Durchgriffsmöglichkeiten aber auch auf die Besetzung einzelner konkreter Trainerstellen. Bisher lief das grob gesagt so ab: Ein Spitzenverband beantragt eine Trainerstelle, sie wird genehmigt, der Spitzenverband sucht sich seinen Kandidaten aus. Das reicht Schimmelpfennig nicht mehr. "Es ist schon die Vorstellung, dass wir in Zukunft die Besetzung einzelner Trainerstellen in Zusammenarbeit mit dem BMI stärker steuern können, als wir das in der Vergangenheit getan haben", sagt er.

Für die Spitzenverbände wären das gravierende Eingriffe. Noch gibt es keinen offenen Widerstand, sondern werden die Debatte und die Planungen lediglich skeptisch verfolgt. Aber manche Verbandsvertreter stellen im Gegenzug die Frage, warum es für die Verhandlungen über Geld, Ziele und Personal überhaupt den DOSB bedarf - und ob sich das nicht direkt mit dem Innenministerium klären lässt.

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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