Olympia:Deutsche Abfahrer staunen über sich selbst

Pyeongchang 2018 - Ski Alpin

Für Thomas Dreßen (r.) und das deutsche Team kam Olympia noch zu früh. Ihnen blieb nur die Rolle der Gratulanten.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)
  • Eine Medaille haben die deutschen Abfahrer bei Olympia verpasst, doch sie fühlen sich bestärkt in ihrer Strategie.
  • Sie lernen viel von Norwegen, die mit einem vergleichbar großen Team, viele Erfolge feiern.
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Von Johannes Knuth, Jeongseon

Und dann wurde es doch noch laut im Zielraum von Jeongseon. Die meist südkoreanischen Besucher, die am Freitag eine Stunde lang höflich den Super-G der Männer verfolgt hatten, lärmten respektabel, allerdings war es kein Skirennfahrer, der sie in Wallung versetzte: Landsmann Yun Sung-bin war auf der 20 Kilometer entfernten Skeletonbahn Olympiasieger geworden, die Bilder flimmerten über die Videowand neben der Alpinpiste. Danach war die Stimmung wieder ungefähr so gemütlich wie auf einer abgelegenen Alpenhütte beim Frühjahrsskifahren. "Etwas traurig" fand Aksel Lund Svindal das, qua Dienstzeit und Verdiensten ein Klassensprecher seines Sports. Wobei der Norweger um Verständnis für die Gastgeber warb, die nun mal Eissportarten präferieren. "In Norwegen", glaubt Svindal, "würden wir vermutlich die Shorttrack-Hallen nicht füllen."

Andreas Sander war wiederum "sehr enttäuscht", als er im Ziel auf viele leere Sitze blickte. "Das sollte zum Nachdenken anregen", fand der 28 Jahre alte Deutsche, er hatte gerade seine ersten Winterspiele beendet. Bei Olympia, sagte er, "habe ich mir ein bisschen was anderes vorgestellt".

Es war am Ende ein etwas kompliziertes Stimmungsbild, an dem die Schnellfahrer des Deutschen Skiverbands (DSV) nach ihrem dritten und letzten Auftritt malten. Eine Einerseits-Andererseits-Bilanz. Einerseits fehlte ihnen die Medaille, mit der sie geliebäugelt hatten; am Freitag gewann der Österreicher Matthias Mayer, Abfahrts-Olympiasieger von 2014, vor Kjetil Jansrud und Beat Feuz. Andererseits hatten die Deutschen ihre Mitgliedschaft in der Weltelite durchaus bestätigt, vor allem mit Dreßens fünftem Platz in der Abfahrt. Einerseits waren sie mit Platz acht (Sander), zwölf (Dreßen) und 27 (Josef Ferstl) auch im Super-G "nicht ganz happy" (Cheftrainer Mathias Berthold). Andererseits bewertete Sander seine Fahrt am Freitag "deutlich besser" als die Abfahrt. "Super-G ist eine Drecksau", sagte Dreßen, "da musst du einfach brutal riskieren. Wer nichts riskiert, kann nicht gewinnen." Und riskiert hatten sie diesmal, in durchaus zufriedenstellender Drecksau-Qualität.

"Eigentlich fehlt nicht viel"

Ein Großereignis ist immer auch eine Zäsur, manches, was davor als gewiss galt, ist hinterher überholt. Aber im deutschen Lager waren sie für so eine Zäsur, die eine Medaille vielleicht bedeutet hätte, noch nicht ganz bereit. "Diese Olympischen Spiele sind wohl ein Jahr zu früh gekommen für diese Mannschaft", befand Berthold. Seine Abfahrer sind eigentlich schon Weltspitze, aber oft noch "in ihrem eigenen Niveau", wie ihr Disziplintrainer Christian Schwaiger sagt. Sander zum Beispiel hielt am Freitag lange mit der Spitze mit, ein Fahrfehler an einem Sprung warf ihn zurück. "Eigentlich fehlt nicht viel", sagte Sander, er sprach jetzt über die Weltspitze, es sei vor allem Kopfsache. "Wenn es einmal aufgeht, dann weiß ich wie es geht", sagte Sander, "dann bleibt man wahrscheinlich lockerer beim nächsten Rennen."

Andererseits: Ein wenig waren sie im DSV selbst erstaunt, wie weit sie seit der Nullnummer vor vier Jahren in Sotschi gekommen sind, man merkte das in Pyeongchang an den kleinen Dingen. An der Sache mit den Norwegern zum Beispiel.

Wenig Platz für Sieger und viel Raum für Enttäuschungen

Norwegens Abfahrer schienen vor vier Jahren uneinholbar zu sein, obwohl sie ein ähnlich kleines Team unterhalten wie die Deutschen. Aber aus diesem kleinen Biotop rekrutierten sie immer wieder große Namen, angefangen bei Kjetil André Aamodt und Lasse Kjus, die damals Svindal vorlebten, dass ein Ski-Team vor allem eine Familie sein sollte. Rennen und Trainingsläufe dauern pro Tag ein paar Minuten, Skiprofis verbringen ansonsten bis zu 250 Tage im Jahr zusammen, abseits der Piste. Da hilft es, wenn man miteinander auskommt. Sander und die Deutschen trainieren oft mit den Norwegern, "da wird wirklich um jeden geschaut", hat Sander beobachtet, auch "drei, vier Junge, die immer dabei sind" und von den Besten angelernt werden. Wie Svindal, der Olympiasieger, es unter seinen Vorgängern gelernt hatte. "Das hat uns schon auch vor Augen geführt, dass uns das stark machen könnte", sagte Sander. Die Branchenführer als Vorbild, klar, warum denn nicht?

Als Christian Schwaiger vor vier Jahren zu den deutschen Abfahrern stieß, hatte er ein paar Bedingungen. Erstens: Es gelte seine Lehre vom Kurvenfahren. Zweitens: "Eine total flache Hierarchie", sagt Schwaiger. Heute erkennt man viele Parallelen zu den Norwegern. "Die Jungs helfen sich gegenseitig brutal", sagt Schwaiger, wenn sie etwa Videos von ihren Fahrten studieren oder eine Rennlinie besprechen. In manchen Teams wird übereinander geredet, im deutschen viel miteinander, man hört das schon, wenn man kurz das Teamquartier besucht. Sie haben noch nicht diese lange Tradition des Austauschs und Erfolgs wie die Norweger, aber sie haben derzeit zum Beispiel einen Fahrer wie Manuel Schmid, 25, der sich in seinem ersten Winter im Weltcup beinahe für Olympia qualifiziert hätte, 16. wurde er im Dezember in Gröden. Als Schmid zum Team stieß, sei ihm sei das sofort aufgefallen, sagt er: "Dass man sich gegenseitig pushen kann und sich miteinander freut."

Der Abfahrtssport hat wenig Platz für Sieger und viel Raum für Enttäuschungen, ein gutes Team, sagt Schwaiger, ist auch ein Fangnetz. Als zu Beginn der Saison die Skirennfahrer David Poisson und Max Burkhart verunglückten, "da hab ich mir die Jungs geschnappt und wir haben sofort drüber gesprochen". Nicht allen half es sofort, aber es gab Halt.

Natürlich, sagte Thomas Dreßen in Pyeongchang, wolle man so gut werden wie die Norweger. "Man muss sich Ziele setzen, wo man sich am Anfang denkt: Boah, das wird hart" - so wie vor vier Jahren, als sie sich eine Medaille für die Spiele 2018 vornahmen. Aber wer sich zu niedrige Ziele setzt, läuft irgendwann Gefahr, dass er sie erreicht.

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