Deutsche Nationalmannschaft:Was in der Causa Özil falsch gelaufen ist

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Pressekonferenz der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Watutinki: Team-Manager Bierhoff vor einem Poster mit Mesut Özil (Foto: picture alliance/dpa)
  • Oliver Bierhoff erklärt, Joachim Löw und er hätten womöglich einen Fehler begangen, dass sie Mesut Özil vor der WM nicht heimgeschickt hätten.
  • Dem DFB-Manager wird jetzt vorgeworfen, dass er Özil nachträglich zum Sündenbock für das WM-Scheitern erkläre.
  • Man kann Bierhoffs Äußerung aber auch als Eingeständnis grundlegender Fehler verstehen.

Von Philipp Selldorf

Von Mesut Özil und anderen Hauptdarstellern des Nationalteams war nicht explizit die Rede, als Joachim Löw am Dienstagvormittag in Frankfurt dem Präsidialausschuss des DFB berichtete, warum es seiner Meinung nach schiefgegangen ist beim Turnier in Russland, und was künftig besser werden muss. Löw versicherte, das Gesicht der Nationalmannschaft werde sich wandeln, aber er hat, so sagt ein Teilnehmer der zwei Stunden langen Sitzung, "keinen einzigen Spielernamen genannt". Mit einer Ausnahme: Der Bundestrainer bekannte sich ausdrücklich zu dem Mittelstürmer, mit dem er schon so lange arbeitet. Oliver Bierhoff, sagte Löw, "ist mein wichtigster Mann". Zuletzt hatte es in Berichten geheißen, Manager und Trainer seien durch das Misslingen in Russland entzweit worden.

Einer der wichtigsten Männer in Löws Mannschaft ist bisher allerdings auch immer Mesut Özil gewesen. Es ist sicher keine Übertreibung zu sagen, dass Özil all die Jahre ein Lieblingsschüler des Bundestrainers war, der 29 Jahre alte Spitzentechniker, Präzisionspass-Spezialist und Torvorlagen-Experte aus Gelsenkirchen-Bulmke ist gewissermaßen die Verkörperung von Löws fußballerischen Idealvorstellungen. Löw-Fußball ist Özil-Fußball und umgekehrt, acht Jahre war dieses Prinzip die Grundlage für eine wunderbare Zusammenarbeit. Ob das so bleibt, das weiß man nicht, womöglich wissen es nicht mal die beiden Hauptbeteiligten.

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:"Was für eine miese Nummer, Herr Bierhoff!"

Nach den Äußerungen des DFB-Managers hagelt es im Netz Kritik. Sogar Özil-Gegner empfinden Bierhoffs Verhalten als unsportliches Nachtreten.

Es gab beim Auseinandergehen in Frankfurt am vorletzten Donnerstag keine verbindlichen Verabredungen zum nächsten Wiedersehen. Der eine, Özil, strebte nach der verkorksten WM zügig in den Urlaub mit der Freundin, der andere fuhr in die Heimatstadt Freiburg, um über den Fortbestand seines Bundestrainerdaseins nachzudenken. Gerüchte und Mutmaßungen besagten, dass Özil gewillt sein könnte, seine Karriere in der DFB-Elf zu beenden. Nicht wegen sportlicher Differenzen mit seinem Förderer, sondern weil ihn die Debatte verbittert habe, die nach seinem Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Erdogan zur deutsch-türkischen Nationaldebatte gewachsen war.

Intern sei die Erdogan-Sache "ein Riesen-Thema" gewesen, sagte Sami Khedira

Nun hat Oliver Bierhoff erklärt, Löw und er hätten womöglich einen Fehler begangen, dass sie Özil vor der WM nicht heimgeschickt hätten. Der Welt sagte Bierhoff: "Wir haben Spieler bei der deutschen Nationalmannschaft bislang noch nie zu etwas gezwungen, sondern immer versucht, sie für eine Sache zu überzeugen. Das ist uns bei Mesut nicht gelungen. Und insofern hätte man überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet." Die Äußerung bezieht sich auf Özils Verhalten im Fall Erdogan und seine Weigerung, durch persönlichen Einsatz zur Beruhigung der Lage beizutragen.

Özil nahm zwar an dem Gütetermin beim Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier teil, den der DFB und sein ebenfalls involvierter Mitspieler Ilkay Gündogan initiiert hatten; als danach aber die öffentlichen Diskussionen nicht aufhörten, zog er sich - mit Billigung des Bundestrainers und des Managers Bierhoff - ins Schweigen zurück. Medienterminen brauchte er sich nicht mehr zu stellen. Dieses Vorrecht und Özils Beharren darauf dürften innerhalb der Mannschaft nicht gut angekommen sein, generell sei die Erdogan-Sache "ein Riesen-Thema" gewesen, wie Sami Khedira sagte.

Oliver Bierhoff fasste das jetzt so zusammen: "Ich glaube, die Tatsache, dass Mesut und Ilkay die Fotos gemacht haben, hat die Mannschaft nicht so sehr beschäftigt. Aber die Debatte war nachhaltig. Im Rückblick würde ich versuchen, dieses Thema noch klarer zu regeln."

Bierhoff hatte geglaubt, die Begegnung mit Steinmeier am Tag des Pokalfinales, drei Tage vor dem Aufbruch ins Trainingslager in Südtirol, werde in der Erdogan-Sache endgültig für Ruhe sorgen. Diese Ansicht hatte er auch den Betroffenen vermittelt. Tatsächlich brachte der Besuch der beiden Fußballer beim Staatsoberhaupt im Schloss Bellevue schöne Bilder und beruhigende Statements hervor. Aber er beendete nicht die öffentliche Kontroverse. Nach ein paar trügerisch ruhigen Tagen in Eppan trat die Nationalelf im österreichischen Klagenfurt zum Testspiel an, Özil und Gündogan wurden von deutschen Fans ausgepfiffen. Das Thema war zurück.

Oliver Bierhoff wird jetzt vorgeworfen, dass er Mesut Özil nun nachträglich zum Sündenbock für das WM-Scheitern erkläre, indem er bedauere, den Rausschmiss versäumt zu haben. Man wirft ihm, wie dpa zusammenfasst, boshaftes Nachtreten und ein Befeuern der vergifteten Debatte vor. Mats Hummels verbreitete aus dem Urlaub per Twitter die Ansicht, dass Bierhoff besser den Mund gehalten hätte. Diese Meinung ist legitim.

Doch darf man Bierhoffs Äußerung auch als Eingeständnis grundlegender Fehler verstehen: Dass die sportliche Leitung des Nationalteams den Konflikt um das brisante Foto erstens unterschätzt und zweitens unzureichend gehandhabt habe. Während das symbolhafte Erdogan-Bild in Deutschland einen gesellschaftspolitischen Diskurs auslöste (der naturgemäß nicht aufzulösen ist), ging es beim Nationalteam darum, ein internes Problem zu bewältigen. Gündogan und Özil hatten gegen einen Kodex des Mannschaftssports verstoßen, sie hatten durch eigenmächtiges Handeln Unruhe geschaffen und damit allen geschadet. Es war ihre Aufgabe, wieder für Ruhe zu sorgen. Da Özil sich dazu kaum bereitfand, weitaus weniger als Gündogan, hätten die Verantwortlichen eingreifen müssen. Längst ging es im Trainingslager bei diesem Thema um die großen Dinge: Disziplin, Gleichbehandlung, Gerechtigkeit. Doch Löw nutzte seinen Einfluss auf Özil nicht.

Mehr Wille und mehr Einsatz, um die Affäre irgendwie in den Griff zu bekommen, oder eben die Heimreise: Das hätte die Wahl sein können, die der Trainer seinem Lieblingsschüler hätte bieten können. Stattdessen versuchte Löw, die unbequeme Angelegenheit dadurch loszuwerden, dass er die Aussage dazu verweigerte ("zu diesem Thema ist alles gesagt"). Er zog sich auf seine Sportlehreraufgaben zurück, den Rest sollten andere regeln.

Dass Özil gegen Schweden nicht spielte, war keine Strafe

Den Mitgliedern des Präsidialausschusses von Reinhard Grindel, DFB, bis Reinhard Rauball, BVB, hat Löw jetzt berichtet, die Stimmung in der Mannschaft sei gar nicht schlecht gewesen, "aber jeder war irgendwie mit sich selbst beschäftigt": Die Bayern-Spieler, die mit ihrer rasant abwärts führenden Saisonkarriere zu tun hatten; der Torwart Manuel Neuer, der um sein Comeback kämpfte; Sami Khedira, der plötzlich nicht mehr wusste, wohin seine Juventus-Turin-Form verschwunden war; und der beim Testspiel in Leverkusen radikal ausgepfiffene und dadurch moralisch gründlich derangierte Ilkay Gündogan sowieso. Gündogan spielte nach seiner unfallbedingten Einwechslung gegen Schweden wie eine schwache Fälschung seiner selbst. Faktisch hatte das DFB-Team durch ihn einen Mann weniger an Bord, der Mittelfeldspieler von Manchester City, als Trumpfkarte eingeplant, konnte sein Versprechen nicht einlösen.

Dass Löw seinen Mesut beim Spiel gegen Schweden zum ersten Mal in der gemeinsamen, seit 2010 währenden WM-Geschichte nicht in die Startformation stellte, war allerdings keine Reaktion auf die Kalamitäten. Schon gar nicht war es eine späte Strafe dafür, dass Özil wochenlang die Verantwortung gegenüber den Mitspielern im Nationalteam ignoriert hatte.

Denn darum ging es eben auch in dieser hoch komplizierten, an Familie, Ehre und Vaterländer rührenden Sache: Dass ein Fußballer, der 29 Jahre alt und in Weltstädten und Großklubs herangewachsen ist, ein Stück weit selbst wissen sollte, was er durch sein Wegducken anrichtet - trotz all der Einflussnahmen seiner Berater und sturen Einflüsterer, über die beim DFB geklagt wurde und wird.

Gegen Südkorea durfte Özil wieder mitspielen, und wenn er auch schon brillanter war als diesmal, so war er immer noch einer der Besseren. Auf Löws Kader für das nächste Länderspiel, Anfang September in München gegen Frankreich, darf man wirklich gespannt sein.

© SZ vom 07.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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