Deutsche Nationalmannschaft:Joachim Löw kann verzeihen

57625971

Damals noch Nationalspieler: Marcell Jansen im Spiel um Platz drei gegen Portugal bei der WM 2006.

(Foto: AFP)

Für das zweite WM-Qualifikationsspiel gegen Kasachstan nominiert der Bundestrainer neben Patrick Herrmann überraschend auch Marcell Jansen. Eine Personalie mit einer gewissen Wucht - sie illustriert abermals Löws autarke Personalpolitik.

Von Christof Kneer, Herzogenaurach

Es gab ja immer wieder Gerüchte, wonach die deutsche Nationalelf über eine geheime Höhle verfügt. Man weiß nichts Genaues über diese Höhle, niemand hat sie je gesehen, man kann nur vermuten, dass es in dieser Höhle bestimmt recht loungig zugeht, vielleicht stehen irgendwo sogar ein paar Tischtennisplatten herum. Ein paar Annehmlichkeiten haben die armen Ausgemusterten ja auch wirklich verdient, als Belohnung dafür, dass sie Joachim Löw treue Dienste geleistet haben. Allesamt sind sie irgendwann still verschwunden, Manuel Friedrich und Clemens Fritz früher, Andreas Beck, Serdar Tasci, Piotr Trochowski, Heiko Westermann, Marcell Jansen, Marko Marin, Cacau und Christian Träsch etwas später.

Sie alle haben irgendwann aufgehört, Nationalspieler zu sein, es gab kein großes Aufhebens um sie, vermutlich, weil niemand bemerkte, dass sie fehlten. Die Kaderpositionen 15 bis 23 wurden in immer rasenderem Tempo von immer jüngeren Spieler besetzt, und dass es einer der Ehemaligen noch mal zurück schaffen würde in Löws neumodischen Kader, war nicht viel wahrscheinlicher als ein Comeback von Klaus Augenthaler. Auf einmal war dann Heiko Westermann wieder da. Und nun kommt auch noch Marcell Jansen.

Es war nur eine Randnachricht, die Teammanager Oliver Bierhoff am Sonntag im DFB-Quartier in Herzogenaurach unter die Leute brachte, aber sie hatte doch eine gewisse historische Wucht. Dass Joachim Löw auf den plötzlichen Spielerschwund nach Bastian Schweinsteigers Gelbsperre und Julian Draxlers Gehirnerschütterung mit der Nachnominierung des 27-jährigen Marcell Jansen reagierte, macht einer ganzen Kompanie von Ausgemusterten wieder Hoffnung.

"Wir haben diese Spieler nicht vergessen", sagt Löws Assistent Hansi Flick, "die meisten sind immer noch in unserem erweiterten Fokus." Manuel Friedrich ist damit eher nicht gemeint, aber Spieler wie Tasci und Marin dürfen sich immer noch gelegentlich über Anrufe und/oder SMS-Botschaften freuen, auch Stefan Kießling wird trotz seiner zweifelhaften Eigenschaft als Mittelstürmer zumindest wahrgenommen.

Anschaulich wie kaum eine andere Personalie illustriert der Name Jansen die autarke Personalpolitik des Bundestrainers. Mit der Radikalität eines aufrichtigen Überzeugungstäters verweigert er sich allen Einflüsterungsversuchen von außen, er holt nur jene Spieler, die in das Bild passen, das er sich vom Fußball macht. In der Regel sind das nach neuesten Standards ausgebildete Jungspunde wie der ebenfalls nachnominierte Sven Bender, der ohnehin meist zum Kader zählt, wenn er nicht nach irgendwelchen Zweikampfhandlungen gerade wieder verbeult ist - oder nun auch Patrick Herrmann, 22, dessen Einbestellung eine kleine Überraschung war.

Jansens leichtsinniger Umgang

Den Gladbacher ereilte die Nachricht im Trainingsquartier der U21 in Israel, am Montag wird er von Tel Aviv via Frankfurt nach Herzogenaurach reisen. Er fühlt sich ähnlich wie Mario Götze in allen vorstellbaren Offensivrollen zu Hause und könnte den abgereisten Draxler ebenso ersetzen wie Angreifer Mario Gomez, dessen Oberschenkelzerrung einen Einsatz am Dienstag weiter fraglich erscheinen lässt.

Jansens Comeback nach zweieinhalb Jahren aber belegt, dass Löw keine Altersgrenze in seinen Kader eingebaut hat, er hat nichts gegen Spieler, die schon zu Klaus Augenthalers besten Zeiten geboren wurden. Jansens Comeback dürfte dabei eine andere Qualität besitzen als das Comeback des treuen Kaderauffüllers Westermann. Im Hinterkopf hat Löw den leidenschaftlichen Linksfuß eigentlich immer als Nationalspieler geführt - er hat ihn nur nicht mehr berufen.

Es hat ihm nicht gefallen, wie leichtsinnig dieser Profi mitunter mit seinem Körper umgegangen ist, in einem SZ-Interview vom Mai 2011 hat er Jansen streng verwarnt. "Marcell ist vor Turnieren immer auf den letzten Drücker fit geworden, aber in der Zeit zwischen den Turnieren war er zu wenig zu sehen", mahnte Löw damals. Er hat Jansen ein seriöseres Fitnessmanagement empfohlen, er hat ihm nahegelegt, "im Sommer ganz konsequent was für die Fitness zu tun und in Hamburg eine Saison professionell durchzuziehen - oder wir müssen künftig auf dich verzichten". Es werde künftig "nicht mehr so sein, dass ein paar gute Spiele reichen, um zum Turnier zu kommen".

Der Bundestrainer kann verzeihen, auch diese Botschaft steckt in dieser Rückholaktion. Er hat Jansens stabile Leistungen beim HSV registriert, und Assistent Flick hat bei Klubtrainer Thorsten Fink sicherheitshalber noch ein paar Erkundigungen eingezogen. Fürs Erste hat es der theoretische Nationalspieler Jansen geschafft, auch praktisch wieder zum Nationalspieler zu werden - zumal er im Verein auch wieder Linksverteidiger spielt, das ist eine der wenigen Positionen, auf denen Löw keine 17 Alternativen hat. Er hat eigentlich gar keine, er hat nur Marcel Schmelzer, dessen Spiel ihn oft nur mäßig entzückt.

"Wir können Marcell Jansens Flanken-Qualität auf der linken Seite gut gebrauchen, und defensiv hat er sich auch sehr verbessert", sagte Löw am Sonntag. Das hört sich nicht so an, als müsste Jansen nach dem Kasachstan-Spiel wieder zurück in die geheime Höhle, zu Tasci und Trochowski, zu Träsch und Marin.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: