Deutsche Nationalmannschaft:Eine kleine Romanze

Deutscher Fußball mit Schnurrbart: Mit drei Toren und forschen Sprüchen ist Hoffenheims Stürmer Sandro Wagner beim 7:0 in der WM-Qualifikation gegen San Marino der auffälligste Akteur.

Von Sebastian Fischer, Nürnberg

Fußballbeobachter auf der ganzen Welt haben es in den vergangenen Jahren nicht leicht gehabt mit der deutschen Nationalmannschaft. Die Deutschen, darauf hatte man sich eigentlich geeinigt, sind die harten Verteidiger und kantigen Stürmer - bis sie unter dem für deutsche Verhältnisse außerdem erschreckend gut frisierten Trainer Joachim Löw vor rund zehn Jahren plötzlich einen Kulturwandel einleiteten, mit dem Ball zu zaubern begannen und lieber umständlich als einfach spielten. Für jene, die sich langsam an diesen Wandel gewöhnt haben, könnte es nun schon wieder kompliziert werden.

Die Fußballwelt sei hier repräsentiert von einer Reporterin des mexikanischen TV-Senders TV Azteca, die am Samstag, eine Woche vor Beginn des Confed-Cups in Russland, nach Nürnberg gereist war. Dort sah sie sich nun einem Mann gegenüber, der gar nicht aussah wie ein Götze oder Kroos. Er war größer und älter, er trug Bart und sagte einen Satz, so banal, dass er vor Kurzem vielleicht noch auf dem Löw'schen Index stand. Sandro Wagner, 29, der soeben in seinem zweiten Länderspiel drei Tore erzielt hatte, lächelte freundlich und sagte: "I'm a striker. I want to make goals."

Germany's Sandro Wagner scores their seventh goal to complete his hat trick

Leichter Sprung: Sandro Wagner trifft dreimal gegen San Marino - hier per Kopf zum 7:0-Endstand.

(Foto: Michaela Rehle/Reuters)

Natürlich sagt ein 7:0 in der WM-Qualifikation gegen San Marino - eine Mannschaft mit Spielern, die so wunderbar nach Fantasie klingen wie der Name des eingewechselten Adolfo José Hirsch - nicht viel mehr aus als eine Trainingseinheit. Er könne das schon einschätzen, sagte Wagner, "das war jetzt nicht England oder Italien". Doch eine Auffälligkeit zeigt der einzig zulässige Vergleich dann doch. Beim Hinspiel im November, einem 8:0, sahen die deutschen Angriffe aus wie auf einer Taktiktafel gemalte Blitze: ein flacher, druckvoller Pass an den Strafraum, ein kurzer Pass quer, ein Schuss. Kein einziges Tor war damals ein Kopfball, keines fiel nach einer Flanke, nach einer Ecke nur ein Eigentor von San Marino. In Nürnberg zeigte die Zeichnung nun geschwungene Linien: vier Tore nach an Flanken, zwei nach Ecken, eines nach einem Freistoß, drei Kopfbälle.

Dieser Fußballsommer mit seinem Turnier von umstrittener Bedeutung ist für den Bundestrainer ein Sommer der Experimente. Er müsse auch weiterdenken, sagt er auf die Frage nach der Zielsetzung für den Confed-Cup, weiter zur Weltmeisterschaft im kommenden Jahr. Die Experimente heißen Amin Younes, ebenfalls Debüt-Torschütze am Samstag, oder Leon Goretzka, der in der Rolle des Mittelfeldchefs gastiert. Doch das wohl spannendste Experiment ist der Fußball mit dem Mittelstürmer Wagner. Der sei bei hohen Bällen "sehr präsent", habe "einen großen Schritt nach vorne gemacht", lobte Löw. Und Julian Draxler, in diesem Sommer Kapitän, behauptete, Wagner gebe dem deutschen Spiel etwas, "was wir in der Vergangenheit so nicht genutzt haben".

Germany v San Marino - FIFA 2018 World Cup Qualifier

Schwerer Stand: Stürmer Timo Werner wird ausgepfiffen.

(Foto: Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

Nun gibt es einen Mittelstürmer namens Mario Gomez, der sogar schon 31 Jahre alt ist, der zu den etablierten, aber von Löw geschonten Spielern gehört, und ebenfalls Flanken verwerten kann. Doch Wagner interpretiert die Position noch klassischer. Zusätzlich ist es die wechselhafte Geschichte von Wagners Karriere, die dieses Experiment so besonders macht.

"Es war immer mein Ziel, für die Nationalmannschaft zu spielen. Und jetzt habe ich auch noch ein paar Tore gemacht", sagte er. Sein bis zum Nürnberger Dreierpack letztes Tor in einem Nationaltrikot hatte er bei der U 21-EM 2009 erzielt - Wagner stand damals in einem Team mit Manuel Neuer und Jérôme Boateng. Zwischenzeitlich drohte er als Zweitligaspieler zu enden, dann fiel er in Darmstadt auf, zog weiter zur TSG Hoffenheim, für die er jüngst mit elf Saisontoren zur Champions-League-Qualifikation beitrug. Was ihm die Länderspiel-Treffer bedeuten, das zeigte schon sein Jubel nach dem ersten, einem Flugkopfballtor zum 2:0, als er einen San-Marinesen aus dem Bild schubste: Dies sollte sein persönlicher Moment sein. Zum 3:0 stocherte er den Ball über die Linie, das 7:0 war ein perfekter Kopfball.

Als wollte er beweisen, welche Vorzüge es noch so hat, ihn zu nominieren, provozierte und witzelte Wagner nach dem Spiel derart, wie es öffentlich wohl gerade kein anderer Nationalspieler tut. Die Leistung von Joshua Kimmich, der ihm beide Kopfballtore vorbereitete, der insgesamt vier Treffer auflegte und an der Entstehung aller sieben direkt beteiligt war? "Ich hab ja auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel und selten jemanden gesehen, der so gut flankt. Vielleicht können wir den nach Hoffenheim holen." Die Pfiffe gegen den eingewechselten Leipziger Timo Werner, dem manche Fans noch immer eine Schwalbe nachtragen? "Unverständlich, absolut überflüssig. Ich habe noch nie in dem Alter einen so guten Stürmer gesehen." Und sein Verhältnis zu Trainer Löw, den er noch vor wenigen Monaten dafür kritisiert hatte, ihn, den eigener Ansicht nach besten deutschen Stürmer, nicht zu berücksichtigen? Wagner sagte: "Das ist der Anfang einer Liebesbeziehung."

Erster Einsatz für Demme, Tor-Debüt für Younes: WM-Qualifikation Europa – Gruppe C

Deutschland - San Marino 7:0 (4:0)

Deutschland: ter Stegen (FC Barcelona) - Kimmich (FC Bayern München), Mustafi (FC Arsenal), Hector (1. FC Köln) ab 55. Plattenhardt (Hertha BSC) - Can (FC Liverpool) - Brandt (Bayer Leverkusen), Goretzka (FC Schalke 04), Draxler (Paris St. Germain) ab 76. Demme (RB Leipzig), Younes (Ajax Amsterdam) - Stindl (Borussia Mönchengladbach) ab 56. Werner (RB Leipzig), Wagner (TSG Hoffenheim). - Trainer: Löw.

San Marino: Benedettini (Novara Calcio) - Bonini (Tre Penne Galazzano), Della Valle (AC Dogana), Biordi (FC Fiorentino), Cesarini (TP Galazzano) ab 87.Brolli (SSF Falciano), Palazzi (TP Galazzano) - A. Golinucci (Tropical Coriano), Cervellini (Borgo Maggiore), Mazza (Sant'Ermete) ab 69. Bernardi (FC Fiorentino), Zafferani (La Fiorita) - Rinaldi (La Fiorita) ab 78. Hirsch (SSF Falciano). - Trainer: Manzaroli.

Tore: 1:0 Draxler (11.), 2:0 Wagner (16.), 3:0 Wagner (29.), 4:0 Younes (38.), 5:0 Mustafi (47.), 6:0 Brandt (72.), 7:0 Wagner (85.). - Schiedsrichter: Petrescu (Rumänien). - Zuschauer (in Nürnberg): 32 467. - Gelbe Karten: Bonini, Cervellini, Mazza.

Aserbaidschan - Nordirland 0:1 (0:0)

0:1 Dallas (90.+2).

Norwegen - Tschechien 1:1 (0:1)

0:1 Gebre Selassie (36.), 1:1 Söderlund (55./Foulelfmeter).

1 Deutschland 6 6 0 0 27:1 18

2 Nordirland 6 4 1 1 11:2 13

3 Tschechien 6 2 3 1 9:5 9

4 Aserbaidschan 6 2 1 3 3:9 7

5 Norwegen 6 1 1 4 6:10 4

6 San Marino 6 0 0 6 1:30 0

Fr., 1. September: Tschechien - Deutschland, Norwegen - Aserbaidschan, San Marino - Nordirland.

Der Bundestrainer sieht das nicht so romantisch, andere Gegner würden eine andere Taktik erfordern, sagte er vorsorglich. Doch drei Wagner-Tore stehen nun schon mal für immer in der DFB-Statistik; mehr, als zum Beispiel Jürgen Kohler insgesamt geschossen hat. Und zumindest in Mexiko werden nun wohl ein paar TV-Zuschauer fürchten, dass der alte deutsche Fußball mit Schnurrbart wieder da ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: