Deutsche Nationalmannschaft:Ein Abend wie gemalt

Deutsche Nationalmannschaft: Lukas Podolski (li.): Letzte Chance für ein Tor optimal genutzt

Lukas Podolski (li.): Letzte Chance für ein Tor optimal genutzt

(Foto: AP)

Zum ersten Mal seit 30 Jahren gewinnen die Deutschen ein Heimspiel gegen England. Das Team von Gareth Southgate bietet bei der Podolski-Gala aber beeindruckende Szenen.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Um 22.32 Uhr hob der Slowene Matej Jug am Spielfeldrand beide Arme. Die Dioden auf seiner elektronischen Auswechseltafel leuchteten zur Feier des Tages in besonders schönem Rot und bildeten strahlend die Nummer 10. Lukas Podolski setzte sich in Bewegung, um das bedeutsamste Kapitel seiner Fußballer-Karriere zu beenden. Als Nationalspieler hat der Kölner einst die Rolle eines jungen Schelms im Sommermärchen gespielt, später wurde er Weltmeister und scherzte frech und charmant mit der Bundeskanzlerin. Man hat ihn nicht weinen sehen bei seinen Abschieden aus Köln und München, und als er diesmal in der 84. Minute eines freundschaftlichen Länderspiels gegen England vom Platz ging, auch nicht. "Danke Dortmund, Danke Köln, Danke Deutschland", hatte er vor dem Anpfiff in seiner typischen Tonart ins Stadionmikrofon gebellt.

60 000 Zuschauer erhoben sich und applaudierten, als er vom Feld ging und den Bundestrainer Joachim Löw umarmte. Die Engländer erwiesen sich als zuvorkommende Gala-Gäste und gewährten dem deutschen Team einen schmeichelhaften 1:0 (0:0)-Sieg, zu dem Podolski in der 69. Minute tatsächlich das entscheidende und wirklich traumhafte Tor beisteuerte. Er drosch den Ball mit links aus 25 Metern in den Winkel. Im Jubel fasste er sich an den Kopf, als könne er so viel Glück gar nicht fassen.

Sogar Gegenspieler applaudieren

"Wie im Film" habe sich Podolski gefühlt. "Ein Drehbuch, das ich nicht besser hätte schreiben können", sagte Thomas Müller später: "Mir als Regisseur wäre das nur zu kitschig, das glaubt dir ja keiner."

13 Jahre nach seinem ersten Länderspiel in Kaiserslautern (eingewechselt für Fredi Bobic) zelebrierte Podolski kurz darauf seine letzte und längste Auswechslung. Während derartige Zeitverzögerungen sonst mit Pfiffen und bisweilen einer gelben Karte geahndet werden, applaudierten diesmal sogar einige Gegenspieler. Es war ein wehmütiger Moment. Mit 130 Länderspielen und 49 Toren rangiert Podolski auf den Plätzen drei und vier der ewigen deutschen Bestenlisten. Lothar Matthäus (150 Spiele) und Miroslav Klose (71 Tore) bleiben hier die Referenzgrößen.

Podolski war zehn Jahre alt und ging zur Erich-Kästner-Hauptschule in Bergheim, als der Engländer Gareth Southgate im Juni 1996 einen Elfmeter verschoss, der als wichtiger Teil einer englischen Elfmeterphobie gilt. Im EM-Halbfinale von London wurde der Elfmeter des damals 25-Jährigen vom deutschen Torwart Andreas Köpke pariert. Als englischer Nationalcoach hat er den deutschen Torwart-Trainer Köpke am Mittwoch in Dortmund wiedergesehen und freundlich begrüßt. Die Zeit heilt alle Wunden.

Gegen Aserbaidschan könnten viele wieder fit sein

Das 35. Länderspiel zwischen beiden Nationen war ansehnlicher als das übermütige Gebolze englischer Fans am Nachmittag auf dem zentralen Platz in der Innenstadt mit einem mitgebrachten Ball. Sie mussten von der Polizei freundlich um Contenance gebeten werden und wendeten sich verständnisvoll wieder den örtlichen Bierspezialitäten zu. So berauschend war die deutsche Leistung am Abend dann nicht, das lag auch daran, dass im deutschen Team außer Manuel Neuer auch Mesut Özil, Julian Draxler, Mario Gomez und Sami Khedira verletzt ausfielen. Bis auf Neuer könnten alle wieder fit sein, wenn die deutsche Mannschaft am Sonntagabend (18 Uhr/RTL) in Baku gegen Aserbaidschan um WM-Qualifikationspunkte spielt.

Es war 30 Jahre her, dass eine deutsche Mannschaft auf deutschem Boden gegen England gewonnen hatte, jedoch hatte es seit jenem 3:1 in Düsseldorf 1987 bloß drei weitere Partien hierzulande gegeben: 2001 in München (1:5) sowie 2008 (1:2) und 2016 (2:3) in Berlin. Nun hat Podolski zum Abschied die drei Dekaden dauernde Serie geknackt. Er hat die hängende Spitze als Zentrum inmitten vieler junger Nachfolger gespielt. Der 20 Jahre alte Julian Brandt sowie die 21 Jahre alten Julian Weigl, Leroy Sané und Timo Werner umgaben ihn, hatten aber so ihre Probleme, die Engländer in Schwierigkeiten zu bringen. Die besseren Chancen hatten in der ersten Halbzeit die Gäste. Nach einem Fehlpass von Kimmich lief Adam Lallana aufs deutsche Tor, schoss aber freundlicherweise nur an den Pfosten. Auch Eric Dier mit einem Freistoß übers Tor und Dele Alli, der frei vor Marc-André ter Stegen auftauchte und diesen bloß anschoss, erwiesen Podolski mit dem 0:0-Halbzeitstand den nötigen Respekt.

Nach einer knappen Stunde war Podolski plötzlich die akute Lust anzumerken, sein 49. Länderspieltor zu schießen. Erst lupfte ihm Toni Kroos einen Ball in den Strafraum, den er nicht ganz erwischte, dann blockte Jake Livermore seinen Schuss. Als Gary Cahill Podolski im Mittelfeld gefoult hatte, entschuldigte er sich besonders fürsorglich. Das Publikum war entrüstet - und flippte in der 69. Minute aus, als Podolski aus 25 Metern abzog, und der Ball wie ein Strich in den rechten oberen Winkel des englischen Tors sauste. Es war ein Abschied wie gemalt.

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