Deutsche Nationalmannschaft:Die Regierungserklärung des Joachim Löw

Training Fußball Nationalmannschaft

Bundestrainer Joachim Löw, dahinter Trainer-Azubi Miroslav Klose.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)
  • Bundestrainer Löw fordert breite Unterstützung für das bevorstehende Kader-Puzzle vor der Fußball-WM.
  • In dem Thema stecken Gerechtigkeitsdebatten und Konfliktpotenzial.
  • Ausdrückliches Lob hat Löw indes für seine Stammspieler parat.

Von Claudio Catuogno, Baku

Drinnen im Bus saßen die Nationalspieler, draußen an der Bustüre schützten energische Polizisten die deutsche Delegation vor aserbaidschanischen Fans. Genauer: vor ihrer Zuneigung, die sich allerdings auf einen DFB-Spieler beschränkte. "Mesut, Mesut, Mesut!", skandierte die Menge. Die kulturelle Nähe zur Türkei ist in Baku allgegenwärtig, und so hat auch der Bundestrainer wieder mal einen Eindruck davon bekommen, wo überall Mesut Özil seine 31 Millionen Facebook-Fans hat. Definitiv auch in Aserbaidschan.

Besonders viel hat Joachim Löw andererseits gar nicht mitbekommen von der Özilmania. Anstatt nach dem 4:1 (3:1)-Sieg gegen Aserbaidschan in der WM-Qualifikation ebenfalls den Bus anzusteuern, machte es sich der Bundestrainer woanders bequem: unter den Scheinwerfern im kleinen Presseraum des Tofiq-Bahramov-Stadions. Seinen Blouson hängte er über einen Stuhl, das Kinn stützte er behaglich mit den Handflächen ab. Alles an Löw signalisierte: Hier bleibe ich jetzt erst mal sitzen.

Das mag auch daran gelegen haben, dass es der DFB-Tross nach dem Abpfiff nicht eilig hatte; der Rückflug nach Frankfurt ging erst um zwei Uhr nachts. Vor allem aber hatte Löw ein paar Botschaften loszuwerden. Irgendwann brauchte er dazu nicht mal mehr Fragen. "Und ...", hob er an, nachdem der Dolmetscher gerade fertigübersetzt hatte, dann kam er wieder ins Plaudern und Dozieren, der Übersetzer übersetzte, Löw riss wieder das Wort an sich. "Und ..."

Seinen Führungsspielern zollt Löw ein Sonderlob

Zweieinhalb Monate sind es nur noch bis zum Confed-Cup. Dann ein weiteres Jahr bis zur WM in Russland. Löw hat am Sonntagabend in Baku beschlossen, dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre für eine Regierungserklärung.

Mit der Partie als solcher hielt er sich nicht lange auf: "Fünftes Spiel, fünfter Sieg, Pflichtaufgabe erfüllt", das Analysestakkato des gelassenen Siegers. "Wir haben es nicht in allen Phasen so durchgezogen, wie es unser Anspruch ist. Trotzdem: absolut in Ordnung." Aber auch Löw weiß, dass ab sofort jede seiner Entscheidungen im Lichte der kommenden Aufgaben gedeutet wird: Wieso stand diesmal Bernd Leno im Tor? Heißt das etwas für die Frage, welche Torhüter Löw zum Generalproben-Turnier nach Russland mitnimmt und wer mit der U21 zur Nachwuchs-EM nach Polen darf respektive muss? Und wenn Sami Khedira jetzt im nächsten Qualifikationsspiel gegen San Marino gesperrt ist (zweite gelbe Karte): Ist das dann Schonung genug - und gibt Löw stattdessen im Sommer einem anderen Stammspieler frei?

Dass er einigen Leistungsträgern einen fußballfreien Sommer spendieren will, hat der Bundestrainer schon angekündigt. In Baku wanden sich unter anderem Mats Hummels und Thomas Müller elegant um die Frage herum, ob sie das gerne wären.

Confed-Cup, U21-EM oder Urlaub - in der Frage stecken Gerechtigkeitsdebatten und Konfliktpotenzial. Auch mit den Vereinen. Man habe kürzlich "eine große Runde gemacht und einige Namen diskutiert", berichtete Löw - "aber dann haben wir gesagt, dass wir die Entscheidungen im Mai treffen". Doch schon jetzt bat Löw energisch darum, beim anstehenden Nationalspieler-Puzzle das große Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren: "Am Ende ist alles ausgerichtet auf Russland 2018, auf unseren großen Traum, dort den WM-Titel zu verteidigen. Das steht über allem. Dem muss sich alles andere unterordnen."

Löw findet Ansatzpunkte zur Selbstkritik

Das Spiel von Baku kommt dem Bundestrainer da gerade recht. Es lieferte zum einen genügend Ansatzpunkte für Selbstkritik: Man habe "etwas arrogant gespielt und Aserbaidschan dadurch zwei Klassen besser aussehen lassen", gestand Verteidiger Hummels. Man sei "in den Zweikämpfen zu locker" gewesen, ergänzte André Schürrle. Das galt vor allem für die Phase nach Schürrles 1:0 (19.), als erst der lockere Müller den Ball hergab, Toni Kroos und Jonas Hector ihn dann locker an sich vorbeirollen ließen - ehe Dimitrij Nazarov, sonst Linksaußen bei Erzgebirge Aue, das 1:1 erzielte (31.). Man habe "schon gemerkt, dass wir vier Monate nicht zusammen waren", sagte Löw, "manche Automatismen haben nicht so gegriffen". Mit gemeinsamem Training (auf Löw-Deutsch: "Dränning") kriege man das aber in den Griff.

Zum anderen produzierte der Sonntagabend bereits genügend kleine Erfolgsgeschichten, die Löw signalisieren, dass die Richtung stimmt. Die Schürrle-Geschichte zum Beispiel: letztes Länderspiel von Beginn an im Oktober 2015, dann ein schwieriger Start nach dem Wechsel nach Dortmund, Innenbanddehnung im Knie, beim BVB oft nur Einwechselspieler. Auch Löw hatte Schürrle bisher meistens als Joker gebracht. Nun erzielte er das 1:0, das 4:1 (80.) und bereitete Müllers 2:1 (36.) mit einem Schnittstellenpass vor. Er fühle sich "pudelwohl", berichtete Schürrle, und er spüre "das Vertrauen des Trainers", das sei wichtig. Auch Müller, der beim FC Bayern bisher erst auf zwei Saisontreffer in der Liga kommt, macht bei der Nationalelf zuverlässig seine Tore, ebenso wie Mario Gomez, der Schütze des 3:1 (45.).

"Und ...!"

Joachim Löw wurde jetzt grundsätzlich. "Und ... Auch wenn heute nicht alles perfekt lief: Ich muss trotzdem mal ein Kompliment machen an meine Führungsspieler." Seit "sieben, acht Jahren" habe man Partien gegen nominell kleinere Nationen "immer klar gewonnen, nie 1:0 oder 2:1, es war nie knapp", betonte Löw.

Dass der Bundestrainer dabei die holprige Qualifikation zur EM 2016 generös unterschlug: geschenkt! Löw schwärmte weiter: "Man merkt in jedem Dränning, dass die Konzentration da ist, dass immer Zug da ist." Joachim Löw war am Sonntag ein glücklicher Bundestrainer.

Sein Mittelfeldregisseur Mesut Özil hat übrigens nur eine Nebenrolle gespielt in Baku: zunächst geschont wegen gerade erst auskurierter Rückenbeschwerden, dann eingewechselt in der 61. Minute. Schon da tobte das Stadion, als habe Aserbaidschan das zweite Tor erzielt. "Mesut, Mesut."

Joachim Löw hat es mit einem Schmunzeln zur Kenntnis genommen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: