Deutsche Nationalmannschaft:Der Knall als Kunstform

Lesezeit: 3 min

Eskalation am Tag danach: Mit seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft inszeniert sich der nicht für die Weltmeisterschaft berücksichtigte Stürmer Sandro Wagner weiter als ein Mann der klaren Aussagen.

Von Benedikt Warmbrunn, München

Fünf Tore in acht Länderspielen: Sandro Wagner im Trikot der deutschen Nationalmannschaft. (Foto: Franck Fife/AFP)

Den Gedanken von Sandro Wagner fand Joachim Löw ziemlich gut. "Wahrscheinlich" bekomme Wagner "genug Möglichkeiten", sagte der Bundestrainer im Dezember, deswegen fand er, Löw, es damals richtig, dass Wagner von Hoffenheim zum FC Bayern wechselte. Andere hatten den Sinn dieses Transfers ein halbes Jahr vor der WM angezweifelt, da in München ja Robert Lewandowski den Stammplatz im Sturm für sich beansprucht. Aber natürlich hatte der Bundestrainer recht. Wagner bekam reichlich Möglichkeiten, um auf sich aufmerksam zu machen. In 14 von 17 Rückrundenpartien in der Bundesliga spielte er, viermal davon über 90 Minuten. Acht Tore erzielte er, hinzu kam ein weiterer Treffer im Achtelfinale der Champions League in Istanbul.

Mit Löws Lob für Wagners Wechsel beginnt also diese Geschichte, die eine Geschichte darüber ist, wer welche Gedanken gut findet und auch eine Geschichte darüber, wann es vielleicht einmal gut ist, einen Gedanken nicht auszusprechen.

Nachdem Löw an diesem Dienstag bekanntgegeben hatte, dass Wagner nicht zum vorläufigen Aufgebot der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Russland gehöre, geht es nun nicht so sehr darum, wer alles eine Chance bekommen hat, es geht zum Beispiel erstaunlich wenig um den überraschend nominierten Freiburger Angreifer Nils Petersen. Stattdessen geht es hauptsächlich um: Wagner.

"Ich trete hiermit sofort aus der Nationalmannschaft zurück", sagte dieser am Mittwoch schmollend der Bild. Nach acht Länderspielen, fünf Toren sowie dem Titel beim Confed Cup 2017 endet die Karriere des 30-Jährigen im DFB-Dress also so, wie er es am liebsten mag: mit einem lauten Knall. Es ist die Kunstform, durch die er bekannt geworden ist.

Wagner war immer ein Mann für klare Ansagen, auch schon zu seiner Zeit in der Bayern-Jugend. Damals hatte er bereits dieses Selbstbewusstsein, das ihn in den späteren Jahren immer weiter nach oben kommen ließ. Später fiel er mit provokanten Sprüchen auf ("Gemessen an all dem, was man aufgibt, finde ich, dass auch die bei Bayern zu wenig verdienen - selbst zwölf Millionen oder so"), und als er auch mit Toren in der Bundesliga auffiel, wiederholte er mantraartig, dass es seiner Meinung nach ganz klar den einen besten deutschen Stürmer gebe: Sandro Wagner.

Im Winter also wechselte er nach München zurück, bestärkt von Löw. Da gleichzeitig Mario Gomez aus Wolfsburg nach Stuttgart wechselte, wurde bald das Duell der beiden Angreifer um den Platz hinter dem gesetzten Timo Werner ausgerufen. Am nachdrücklichsten hielt Wagner dieses Wettschießen im Gespräch, so lange, bis er fand, dass es kein Thema mehr sei. Mitte April sagte er: "Ich habe es verdient, da mitzufahren - und ich fahre da auch mit, da bin ich mir sicher."

"Für mich ist klar, dass ich mit meiner Art anscheinend nicht mit dem Trainerteam zusammenpasse."

In der Öffentlichkeit hat Joachim Löw die nicht nur für Wagner überraschende Nicht- Nominierung kaum begründet, er sagte nur, dass man manchmal "auch nicht viele Argumente" habe. Sportlich hatte also nichts gegen Wagner gesprochen - aber schon eher, dass sich die meisten seiner Aussagen um ihn selbst drehten. Diesen Gedanken sprach Löw aber nicht aus. Wagner hatte am Montagabend mit Löw telefoniert, am Dienstag hatte er nach einer Ansprache von FC-Bayern-Trainer Jupp Heynckes vor Rührung Tränen in den Augen. Am Mittwoch erklärte er dann, dass er wegen seiner Sprüche und seiner Art nicht nominiert worden sei. "Für mich ist klar, dass ich mit meiner Art, immer offen, ehrlich und direkt Dinge anzusprechen, anscheinend nicht mit dem Trainerteam zusammenpasse", sagte er.

Und Wagner setzte noch den einen Gedanken drauf, der den stets um das Klima in der Mannschaft bemühten Löw in seiner Entscheidung bestätigen dürfte: "Ernst nehmen", sagte Wagner, "kann ich das natürlich nicht." Er konzentriere sich nun auf seinen Job beim FC Bayern, bei "dem Verein, den ich liebe".

Dass auch eine unangenehme Entscheidung würdevoll ernst genommen werden kann, demonstriert in diesen Tagen übrigens Mario Götze. Der 25-Jährige - um 55 Länderspiele erfahrener als Sandro Wagner, zwölf Länderspieltore mehr, darunter das einzige beim Finale 2014 in Rio - ist dem Vernehmen nach sehr enttäuscht, dass auch er nicht berücksichtigt wurde. Götze reagiert auf Löws Entscheidung aber, indem er sich selbst zurücknimmt. Er schweigt. Panorama

© SZ vom 18.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: