Deutsche Nationalmannschaft:Bekenntnis zur Verlierertruppe

Germany's Durm challenges Poland's Rybus during their Euro 2016 group D qualifying soccer match at the National stadium in Warsaw

Weltmeister und Auszubildender: Linksverteidiger Erik Durm.

(Foto: Kacper Pempel/Reuters)

Bundestrainer Löw lässt sich zu keinerlei Aktionismus verleiten: So vertraut er auch gegen Irland den Außenverteidigern Rüdiger und Durm. Und befreit sie von der Aufgabe, Philipp Lahm zu ersetzen.

Von Philipp Selldorf, Essen

Joachim Löw berichtete am Montag in Essen, er habe sich nach der Heimkehr aus Warschau "noch mal die Zeit genommen" und weite Teile des Länderspiels vom Samstagabend angeschaut. Doch dieser Mühe hat er sich offenkundig vergeblich unterzogen. Auch nach der zweiten Ansicht blieb es bei der 0:2-Niederlage gegen Polen, und neue Erkenntnisse über den Unfallhergang hat der Bundestrainer auch nicht ermitteln können - seine live erlebten Eindrücke sah er in allen Einzelheiten bestätigt. "Sehr gute Organisation, Spielanlage absolut in Ordnung, sehr viele Chancen raus gespielt", rekapitulierte der deutsche Bundestrainer und sprach dabei nicht über den Gewinner der Partie.

Wer Löw etwas Böses will oder nichts von ihm hält - es leben ja die seltsamsten Personen mitten unter uns -, der darf sich jetzt ein bisschen aufregen. Der Bundestrainer hat sich demnach nicht nur befriedigt zu dem Auftritt seiner Verlierermannschaft geäußert, er hat auch beschlossen, seine Versagertruppe zur Belohnung gleich noch mal aufzustellen.

Beim Treffen mit Gruppengegner Irland am Dienstagabend in Gelsenkirchen wird also wieder der Neuling Karim Bellarabi den offensiven Flügel besetzen, obwohl er sich noch in Warschau bei den Kollegen entschuldigt hatte wegen der vielen vergebenen Torchancen. Auch der Dortmunder Erik Durm und der Stuttgarter Antonio Rüdiger dürfen ihre Einführungskurse als Links- bzw. als Rechtsverteidiger fortsetzen, wenngleich manche Kritiker nach jener Samstagnacht in Polen die Besetzung der deutschen Außenverteidigung zum dringenden Thema für den nationalen Sicherheitsrat erhoben haben.

Lediglich Christoph Kramer verliert seinen Startplatz in der DFB-Anfangsformation, er musste sogar die sofortige Heimreise antreten - allerdings bloß wegen eines Magen-Darm-Infekts, den er nach einem Entscheid des Trainerstabs nicht weiterreichen sollte im Teamhotel in Essen. Löw ist daraufhin gefragt worden, ob er den ohnehin dezimierten DFB-Kader, dem nur noch 15 Feldspieler angehören, nicht durch eine Nachnominierung stärken wolle.

Die Antwort war ein imaginäres Schulterzucken. Er sehe dazu keine Veranlassung, sagte Löw. Für alle, die ihm Böses wollen: der Gipfel der Unbelehrbarkeit. Doch treffender ist wohl die Schlussfolgerung, dass der Bundestrainer aus plausiblen Gründen Vertrauen in seine Elf setzt, selbst wenn ihr diverse Weltstars und Weltmeister abhanden gekommen und Anzeichen der Hochbelastung nicht zu übersehen sind.

Roy Keane, Irlands Assistenztrainer, liegt offenkundig nicht richtig, wenn er jetzt meint, die irische Mannschaft bekäme es auf Schalke mit einem verwundeten und umso bissigeren Deutschland zu tun. Keane, als Spieler für seine eiserne Härte und seine archaische Spielauffassung berühmt und berüchtigt, hat die Befürchtung geäußert, den Iren stehe eine noch schwierigere Aufgabe bevor, weil die Deutschen vom Anpfiff weg "Feuer aus allen Zylindern" geben würden.

Aber der emotionale Faktor dürfte bei diesem Spiel eine untergeordnete Rolle spielen. "Die Mannschaft wirkt auf mich nicht tief enttäuscht", stellte Joachim Löw fest, ein leiser Unterton der Belustigung klang mit in diesem Satz. Die Mentalität ist nicht mal am Rande ein Thema für ihn. "Die Stimmung in der Mannschaft ist nicht schlecht, sie ist gut", präzisierte der Bundestrainer.

Draxler oder Rudy ersetzen Kramer

Wie sich die Erfahrung einer Niederlage mit den Ansprüchen eines Weltmeisters vereinen lässt, das hat im Namen der Mannschaft Mittelfeldspieler Julian Draxler in Worte gefasst. "Weltmeister zu sein' heißt ja nicht, dass wir unschlagbar sind", bemerkte er - um andererseits das Ziel auszugeben, "an den Status der Unschlagbarkeit wieder nahe heranzukommen".

Nicht nur der Spielort Schalke deutet darauf hin, dass Draxler einen Startplatz im Mittelfeld erhalten könnte. Für die defensivere Kramer-Rolle hat Joachim Löw wohl den Hoffenheimer Sebastian Rudy vorgesehen.

Acht Weltmeister: Voraussichtliche Aufstellung

Deutschland - Irland

Di., 20.45 Uhr/RTL

Deutschland: Neuer (FC Bayern/28 Jahre/55 Länderspiele) - Rüdiger (VfB Stuttgart/21/3 Tore), Boateng (FC Bayern/26/48), Hummels (Borussia Dortmund/25/37), Durm (Borussia Dortmund/22/4) - Rudy (1899 Hoffenheim/24/3), Kroos (Real Madrid/24/54) - Müller (FC Bayern/25/59), Draxler (Schalke 04/21/14), Bellarabi (Bayer Leverkusen/24/1) - Götze (FC Bayern/22/38).

Irland: Forde (FC Millwall/34/21) - Meyler (Hull City/25/11), O'Shea (FC Sunderland/33/99), Wilson (Stoke City/27/19), Ward (FC Burnley/29/27) - McGready (FC Everton/28/71), Whelan (Stoke City/30/60), Quinn (Hull City/28/9), McClean (Wigan Athletic/25/24) - Walters (Stoke City/31/28) - Keane (Los Angeles Galaxy/34/136).

Schiedsrichter: Skomina (Slowenien).

Ansonsten wird Löw seine Mannschaft mit den gleichen Anweisungen versehen, wie er es bereits in Warschau getan hat. Das hat schon darin seinen Grund, dass er in den Iren "eine Kopie der Polen" erwartet, "da könnte man eine Schablone drüber legen", sagte Löw - wobei dem Coach zweifelsfrei bewusst ist, dass kein grün gewandeter Robert Lewandowski auf dem Feld stehen wird. Dem irischen Offensiv-Quartett mit Premier-League-erprobten Männern wie McClean und McGeady und dem in die USA ausgewanderten Robbie Keane in vorderster Front schenkt er aber nicht weniger Respekt.

Dass diese Partie unter dem Ergebnisdruck ein wenig heikler geworden ist, animiert Löw auch nicht dazu, die ewige Außenverteidiger-Frage neu zu überdenken. Durm auf der linken und Rüdiger auf der rechten Seite bleiben die Kandidaten, die er einzuarbeiten gedenkt, die nächsten Rollenexperimente will er ins Frühjahr vertagen. Dem Dortmunder Durm, viel kritisiert nach dem 0:2, billigt Löw die spielerische Klasse zu, um mittelfristig seine Aufgabe zu erfüllen; den Stuttgarter Rüdiger hat er dank Schnelligkeit, Zweikampftechnik und Kopfballstärke ohnehin schon länger für diese Rolle im Blick.

"Den Außenverteidigern gebe ich viel Zeit", legte sich Löw fest. Dass er darauf hinwies, der unvergessliche Philipp Lahm sei sowieso "nicht eins zu eins zu ersetzen - diese Träume kann man sich abschminken", stellt keinen Vorbehalt dar. Eher dürfen Durm und Rüdiger dies als Bekenntnis werten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: