Deutsche Nationalelf:Variabler durch Mario Götzes Rückkehr

Nach langer Verletzungspause deutet Mario Götze im Nationaltrikot an, dass er bald wieder der junge Alte sein könnte. Für Joachim Löw eröffnen sich damit neue Optionen: Der Bundestrainer kann je nach Gegner und Spielstand von 4-2-3-1 zum 4-1-4-1 bis hin zu einer Art 4-1-3-2 wechseln.

Boris Herrmann

Man sagt, Fußball sei eine Wissenschaft geworden. Wenn das stimmt, dann ist das mit den Rückennummern allerdings eine Wissenschaft für sich. Es wird inzwischen zwar mehr denn je über moderne Sechser, falsche Zehner und echte Neuner gesprochen, aber seltener denn je haben diese Sechser, Zehner und Neuner dann auch wirklich eine Sechs, eine Zehn oder eine Neun auf dem Rücken.

Deutsche Nationalelf: Position: irgendwo zwischen 7,9 und 8,75. Leistung: gut bis sehr gut. Mario Götze beim Spiel gegen Faröer.

Position: irgendwo zwischen 7,9 und 8,75. Leistung: gut bis sehr gut. Mario Götze beim Spiel gegen Faröer.

(Foto: AP)

Die Zahlen auf dem Trikot haben sich von ihrer Bedeutung emanzipiert. Sie sind nicht mehr positionsgebunden, und wenn man nichts dagegen unternähme, würden sie wohl irgendwann in den Himmel wachsen. Von 0 bis 99 hat es schon fast alles gegeben im Profifußball. Die Fifa hat aus Gründen der Lesbarkeit zumindest dreistellige Nummern verboten. Eine wohltuende Ausnahme in diesem Zahlengestrüpp bildet die Nationalmannschaft der Färöer. Sie ist am Freitag zum WM-Qualifikationsspiel in Hannover klassisch durchnummeriert aufgelaufen - von 1 bis 11.

Beim deutschen Team (Startelf-Durchschnitts-Rückennummer: 11,9) hatte der Zehner die Acht (Özil), der Neuner die Elf (Klose) und der Vierer die Siebzehn (Mertesacker). Mario Götze trug das Trikot mit der Neunzehn. Wer sich bei ihm im Anschluss an das standesgemäße 3:0 nach einer Positionsbeschreibung erkundigte, bekam zur Antwort: "Was ich gespielt habe, war eine Acht und eine halbe Zehn." Götze unterschlug dabei, dass er auch noch eine viertel Sechs gegeben hatte. Die war bloß nicht so oft zu sehen, weil sich die durchnummerierten Färinger recht bald in zehn Fünfer verwandelten. Kurzum, Götzes Auftritt muss man rückennummerisch irgendwo zwischen 7,9 und 8,75 einordnen.

Qualitativ lag er irgendwo zwischen gut und sehr gut. Laut Bundestrainer Joachim Löw ist Götze zwar "noch nicht so weit, dass er komplett seinen Rhythmus gefunden hat". Gemessen daran sah es aber schon ziemlich rhythmisch aus. Götze wirkte leichtfüßig, frisch und austrainiert. Das war zuletzt nicht immer so. In den zurückliegenden acht Monaten ist der Ernst des Lebens eingebrochen in die scheinbare Traumkarriere des begnadeten Mario Götze, 20.

Eine langwierige Schambeinverletzung setzte ihn fast die komplette Rückrunde außer Kraft. Bei seinem Verein Borussia Dortmund war er in der entscheidenden Phase der Meisterschaft sowie im Pokalfinale nur Zuschauer. Was er dabei sah, konnte ihm nicht uneingeschränkt gefallen. Er sah, dass auch er ersetzbar war. Auch bei der EM in Polen und der Ukraine kam das weltweit bekannte deutsche Wunderkind auf gerade einmal elf Einsatzminuten.

Kampf um den Stammplatz

Nach der EM sollte alles wieder besser werden. Da bekam Götze aber eine Bindehautentzündung. Seine Saisonvorbereitung war zerrüttet, mit dem Ergebnis, dass er beim BVB jetzt um einen Stammplatz kämpft. Spaß am Fußballspielen müsse er haben, sagen sie in Dortmund, dann sei Götze am besten. In Hannover war ihm erstmals seit langer Zeit wieder der Spaß von den Füßen abzulesen. 87 Minuten lang, bis am Ende die Puste ausging. "Hat mal wieder gut getan, so lange zu spielen", sagte Götze. Genau so gut hätte er sagen dürfen: Hat mal wieder gut getan, vier Gegner auszutricksen und das 1:0 zu schießen.

Was das für seine Startelf-Perspektiven in der Nationalelf bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Einerseits ist Götze gegen die Färöer natürlich nur in die Anfangsformation gerutscht, weil Bastian Schweinsteiger nicht dabei war und Toni Kroos verletzt ausfiel. Andererseits hätte Löw im zentralen Mittelfeld auch (die von ihm hoch geschätzten) Lars Bender oder Ilkay Gündogan aufstellen können. Dass er sich für Götze entschied, hatte pädagogische Gründe ("Spielpraxis gegen so einen Gegner tut ihm gut"), war aber auch der Taktik geschuldet.

Gegen einen erwartet defensiven Gegner wie die Färöer spielte Deutschland mit einem fluiden Mischsystem. Und dafür war Götze die Idealbesetzung. Er war gewissermaßen das Relais, das zwischen den Mischformen hin- und herschaltete. Vom 4-2-3-1 zum 4-1-4-1 bis hin zu einer Art 4-1-3-2 und wieder zurück. Er war ein Mann auf drei Ebenen. Mal spielte er neben Khedira, mal neben dem Doppeltorschützen Özil, mal neben Klose. Diese Flexibilität brachte das widerspenstige Abwehrbollwerk der Gäste zum Einstürzen.

Fast wäre man geneigt, zu sagen, Götze habe für sich eine neue Position entdeckt, hätte er sich nicht schon einmal beim DFB als Zwischenspieler betätigt. Kurz vor der EM war das, beim missratenen Testspiel gegen die angriffslustige Schweiz. Deutschland verlor 3:5, nicht zuletzt deshalb, weil oft Löcher waren, wo eigentlich ein Zwischenspieler hätte sein sollen. Es wäre deshalb keine Überraschung, wenn Götze am Dienstag in Wien wieder auf der Bank säße. Gegen die angriffslustigen Österreicher wird Löw seine 7, 9 bis 8,5 wohl wieder zu Gunsten einer klassischen Doppelsechs opfern. Dafür bietet sich an der Seite von Sami Khedira der anscheinend genesene Kroos an, zumal der ebenfalls Zwischenspieler-Mentalität auf den Platz brächte.

Mario Götze hat trotzdem einen bleibenden Eindruck hinterlassen zum Auftakt der WM-Qualifikation. Er hat gezeigt, dass er bald wieder der junge Alte sein könnte und dass er Löw damit neue taktischen Optionen eröffnet. Und so ganz nebenbei gab er auch noch ein kluges Statement in einer recht unklugen Debatte ab. Götze hat bei der Hymne geschwiegen - und dann aus voller Überzeugung ein schönes Tor für Deutschland erzielt.

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