Deutsche Nationalelf:Geplagt vom Post-WM-Blues

Borussia Dortmund - VfL Wolfsburg

Ein Halbjahr zum Wegwischen: Mats Hummels und der BVB stecken tief im Schlamassel.

(Foto: dpa)

Die Erinnerungen an den WM-Sieg in Brasilien sind noch präsent, doch die Fußball-Realität hat viele Nationalspieler längst eingeholt. Özil, Podolski und zahlreiche Dortmunder haben frustrierende Monate hinter sich. Richtig stark sind derzeit nur wenige DFB-Profis.

Von Gregor Derichs

Nach seinem letzten Spiel im triumphalen WM-Jahr erntete Miroslav Klose vernichtende Kritiken. Zum schlechtesten Spieler von Lazio Rom ernannte die Sportzeitung Gazzetta dello Sport den 36-Jährigen nach dem 2:2 bei Inter Mailand. "Sein Spiel ist von vielen Fouls geprägt, er hat Probleme, den Ball zu halten", urteilte das renommierte Blatt und resümierte: "Das Alter schreitet voran."

Am 13. Juli stand der 36-Jährige als Weltmeister und WM-Rekordtorschütze noch auf der Sonnenseite des Fußballer-Lebens. Doch fünfeinhalb Monate später ist der Lack ab. Entgegen der wunderschönen Erinnerungen an die grandiosen Momente von Brasilien, die in zahlreichen Jahresrückblicken auftauchen, sind viele Weltmeister längst vom grauen Alltag eingeholt worden. 14 der 23 Nationalspieler, die in Rio de Janeiro den vierten WM-Titel der deutschen Nationalmannschaft feierten, hat es mehr oder weniger böse erwischt - entweder haben sie keinen Stammplatz in ihren Klubmannschaften oder sie wurden durch Verletzungen aus der Bahn geworfen.

Löw sieht mentales Nachlassen

"Es ist doch normal, dass nach einem solch intensiven Turnier mit einer so großen Willensleistung bei dem ein oder anderen Probleme auftauchen. Zudem ist es auch mental nicht so einfach, einen so großen Erfolg zu verarbeiten", sagte Bundestrainer Joachim Löw am Wochenende dem sid. "Ich denke, dass es für einige Spieler jetzt gut ist, wenn sie in der kurzen Winterpause einen Schnitt machen, das Jahr endgültig abhaken können und sich auf die neuen Aufgaben in der Zukunft konzentrieren."

Neue Aufgaben, das könnte vor allem auf Lukas Podolski gemünzt sein. Viele Schlagzeilen produzierte der Stürmer, weil er gegen seine Nebenrolle beim FC Arsenal aufbegehrte, ohne damit etwas ändern zu können. Dabei kann sich die Torquote des Ex-Kölners eigentlich sehen lassen. Aus statistischer Sicht schießt er alle 79 Minuten ein Tor für die Londoner. Das Problem ist nur, dass der 121-malige Nationalspieler in dieser Saison ganze 238 Minuten für die Gunners in Premier und Champions League auf dem Platz stand.

So kommt Podolski die Öffnung des Transferfensters am 1. Januar nicht ungelegen, schließlich ist er nach eigenem Bekunden "kein Hanswurst", der seinen lukrativen und bis 2016 laufenden Vertrag auf der Tribüne absitzen will. Jede Woche wird er mit einem anderen Klub in Verbindung gebracht. Zuletzt hieß es, Inter Mailand sei an ihm interessiert, Verhandlungen sollen bereits aufgenommen worden sein.

Podolski könnte bis Sommer ausgeliehen werden

Die Flucht aus London scheint konkret zu werden. Die Gazzetta dello Sport berichtet in ihrer Samstagausgabe, Inters Sportdirektor Piero Ausilio sei bereits am Freitagabend nach London geflogen, um Podolski dort zu treffen. Auch mit Arsenals Teammanager Arsène Wenger wolle sich Ausilio am Wochenende zusammensetzen. Bis zum Ende der Saison könnte Podolski demnach zunächst ausgeliehen werden. Bei einem offiziellen Wechsel im Sommer gehe es dann um eine Summe von maximal sechs Millionen Euro.

Der Post-WM-Frust: Dem Stürmer geht es nicht alleine so. Auch wenige Kilometer weiter im Westen Londons muss sich Podolskis Kollege André Schürrle immer häufiger mit der Reservistenrolle begnügen. Seit Anfang Oktober stand der pfeilschnelle Angreifer nur noch zweimal in der Startelf des Spitzenreiters FC Chelsea. Meist kommt der Ex-Leverkusener nur zu Kurzeinsätzen, wie am Montag beim 2:0 in Stoke über zehn Minuten. An einen Wechsel denkt der Vorlagengeber zum Siegtor im WM-Finale (noch) nicht, stattdessen will er sich unter Starcoach José Mourinho durchsetzen.

Drei Dortmunder Weltmeister im BVB-Abwärtsstrudel

Dass der WM-Titel keineswegs mit einer Stammplatzgarantie verbunden ist, musste auch ein Dortmunder Trio feststellen. Roman Weidenfeller wurde angesichts der BVB-Krise bis zum Jahresende von Trainer Jürgen Klopp zur Nummer zwei degradiert, eine Rolle, die er von der WM kennt. Zur Rückrunde werden die Karten laut Klopp neu gemischt, angezählt ist der Keeper trotzdem. Das gilt auch für Kevin Großkreutz, der sich zwischenzeitlich auf der Tribüne wiederfand und auch von Bundestrainer Joachim Löw übergangen wurde. Ein Abschied des BVB-Urgesteins scheint nicht mehr ausgeschlossen zu sein. Und der aus Freiburg gekommene Matthias Ginter ist trotz des großen Dortmunder Verletzungspechs nur ein Ergänzungsspieler. Erik Durm kam zwar zu mehr Einsätzen, brachte aber in der Nationalmannschaft und bei der Borussia allenfalls durchschnittliche Leistungen.

Der Absturz des BVB spiegelt sich auch in der Leistungskurve von Mats Hummels wider, der in Brasilien noch auf Weltklasseniveau verteidigte. Wegen eines Beckenschiefstands hatte Hummels die Vorbereitung und die ersten vier Spiele verpasst. "Es ist nicht einfach, nach der WM in so eine Saison reinzukommen", erklärte er. Insgesamt dreimal stoppten ihn verschiedene Verletzungen. Womöglich handelte es sich um Spätfolgen der hohen WM-Belastungen - wie bei Bastian Schweinsteiger.

Schweinsteiger ist wieder da

Der Münchner, der beim 1:0 gegen Argentinien im Finale so unermüdlich kämpfte, musste wegen seiner Knieprobleme auf ein Comeback bis Ende November warten. Erst beim 2:1 in Mainz zum Hinrunden-Abschluss traf er zum ersten Mal in dieser Saison - mit einem sehenswerten Freistoß ins Kreuzeck. Schweinsteiger ist wieder da, dafür wird der zurückgetretene WM-Kapitän Philipp Lahm den Bayern wegen eines Sprunggelenkbruchs bis zum Frühjahr fehlen.

Ein einziger Weltmeister spielte danach im Klub immer

Langwierige Verletzungen warfen auch Arsenal-Mittelfeldspieler Mesut Özil, den Schalker Julian Draxler und Sami Khedira von Real Madrid aus der Bahn. "Vollkommen im Abseits" sah die spanische Zeitung Marca den Ex-Stuttgarter, nachdem er nur 51 Minuten in der spanischen Liga zum Einsatz gekommen ist. WM-Stammspieler Benedikt Höwedes fiel mit einem Sehnenriss "nur" einige Wochen aus.

Lediglich ein einziger Weltmeister kam in allen Pflichtspielen seines Vereins von der ersten bis zur letzten Minute zum Einsatz: Der Hannoveraner Torwart Ron-Robert Zieler erlebte zudem beim 1:0-Sieg in Spanien einen großen Moment in der Nationalelf. Und er schilderte, welche Wertschätzung er erfährt, obwohl er in Brasilien fünf Wochen ausschließlich trainiert hatte und keine Minute spielen durfte. "Früher war es immer so, dass die Leute gesagt haben: ,Das ist der Zieler.' Heute höre ich oft: ,Da ist der Weltmeister' ", beschrieb der 25-Jährige die Veränderung.

Schwierige Momente erlebte hingegen Christoph Kramer. Beim 0:1 von Borussia Mönchengladbach in Dortmund unterlief ihm ein denkwürdiges Eigentor aus 44 Metern, und nach unqualifizierten Kommentaren bezüglich seiner bevorstehenden Rückkehr zu Bayer Leverkusen musste er sich deutliche Worte vom früheren Gladbacher Bundestrainer Berti Vogts anhören ("Bei Weisweiler hätte er einen schweren Stand"). Mit seiner nun beschlossenen Rückkehr nach Leverkusen und der dortigen Vertragsverlängerung bis 2019 räumte der 23-Jährige am Montag ein, dass er seit der WM "zu allem Stellung bezogen und im Nachhinein ein bisschen naiv und zu viel drauflos geplaudert habe".

Die positiven Gegenbeispiele: Götze und seine Münchner Mitspieler

In der Weltmeister-Falle befinden sich aber längst nicht alle Spieler. Mario Götze etwa ist eine der Ausnahmen. Dem Münchner verlieh die WM offensichtlich einen großen Schub. Das 1:0-Siegtor gegen Argentinien war für den sensiblen Ausnahmespieler der Startschuss zu einem überragenden zweiten Halbjahr mit elf Pflichtspieltoren. Auch seine Münchner Mitspieler Manuel Neuer, Jerome Boateng und Thomas Müller hatten ihre Verdienste zur nächsten Super-Serie der Bayern mit 14 Siegen und nur drei Unentschieden in der Hinrunde.

Überstrahlt werden alle von Toni Kroos, der nach seinem Abschied aus der Bundesliga bei Real Madrid so richtig durchstartete. "Das Leben ist schön", sagte der 24-Jährige vor einigen Wochen, als er nach seinem Befinden gefragt wurde. Seit dem vergangenen Wochenende darf er sich gar Doppel-Weltmeister nennen, nachdem die Königlichen die Klub-WM gewannen. In Marokko war Kroos fester Bestandteil des Real-Teams wie zuvor auch in allen Meisterschafts- und Champions-League-Spielen. "Kroos ist das GPS von Real", adelte ihn die Sporttageszeitung Marca.

Als Gewinner darf sich ebenfalls Shkodran Mustafi fühlen, der nach einer Verletzung zu Saisonbeginn bei seinem neuen Verein FC Valencia zum Leistungsträger aufgestiegen ist. Während Klose bei Lazio Rom nur noch zu vier Startelf-Einsätzen kam, behielt Per Mertesacker bei Arsenal seinen Stammplatz. Der Abwehrmann hat den WM-Triumph offenbar für sich besser verarbeitet. "Es ist nicht einfach, zurück in den Alltag zu kommen und die Motivation hochzuhalten. Man muss sich zusammenreißen."

"Wir sind auf dem Boden der Realität gelandet"

Genau das fordert Joachim Löw seit Beginn der Saison ein. "Nach der WM war die Euphorie insgesamt riesengroß. Es hörte sich manchmal so, als hätten wir den Nimbus der Unschlagbarkeit. Aber wir sind auf dem harten Boden der Realität gelandet", sagte der Bundestrainer. Die allgemeinen Nachwirkungen der WM und die Rücktritte der früheren Stammkräfte Klose, Mertesacker und Lahm führten dazu, dass in allen Länderspielen seit dem Triumph von Maracana auf dem DFB-Team nur das Etikett Weltmeister drauf stand, aber der Inhalt alles andere als weltmeisterlich war. Mit "neuen Impulsen" und "neuen Reizen", erklärte Löw, wolle er 2015 die Weichen neu stellen.

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