Deutsche Nationalelf besiegt Kasachstan:"Ich habe ja auch fast getroffen"

Manuel Neuer macht einen Fehler und wird ausgepfiffen, Ilkay Gündogan gestaltet das Spiel: Die beiden prägenden Akteure gegen Kasachstan hätten nach der Partie lospoltern können - doch das tun sie nicht. Sie sind wohlerzogene junge Männer, die wissen, dass zu laute Sprüche ihrer Sache nicht dienlich wären.

Von Thomas Hummel, Nürnberg

Auf der Gegengerade des Nürnberger Stadions hing ein weithin gut sichtbares Spruchband. Der Fanclub Nationalmannschaft feierte Geburtstag, also stand da: "Von Aserbaidschan bis Zypern *** 10 Jahre an Eurer Seite". Man wünschte sich spontan, dass einen Tag nach der bitteren Euro-Entscheidung kein Zyprer unter den 43.000 Zuschauern war, der dieses Band falsch hätte interpretieren können.

Ohne dass wir eingeladen wären, darf behauptet werden, dass Manuel Neuer an diesem Mittwoch seinen Geburtstag mit einem weniger auffallenden Spruchband feiert. Was sollte auch draufstehen? "Von Gelsenkirchen-Buer bis Nürnberg-Dutzenteich - 27 Jahre ein Super-Torwart"?

Nein, Manuel Neuer geht damit nüchterner um: "Der Geburtstag ist einmal im Jahr, ich feiere den nicht großartig", sagte er. Die erste Stunde dürfte er ohnehin auf der Autobahn nach München erlebt haben, danach "gehe ich schlafen, wenn ich in München bin".

Kurz davor war der Torwart als Erster aus der Kabine der DFB-Spieler gekommen. Er wusste, dass da draußen die Menschen mit den Kameras und Mikrofonen vor allem auf ihn warteten. 4:1 hatten die Deutschen gegen Kasachstan gewonnen, sie haben in der WM-Qualifikationsgruppe C nun acht Punkte Vorsprung auf Schweden, Irland und Österreich.

In der ersten Halbzeit zeigte die Gruppe Hochbegabter phasenweise großartigen Fußball. Neben vier Toren trafen sie sagenhafte sechs Mal Latte oder Pfosten. Es hätte ein freudiger Abend sein können, ausnahmsweise ohne grimmige Debatten. Wenn da nicht die Aktion des Manuel Neuer gewesen wäre, Sekunden nach der Pause.

Per Mertesacker hatte den Ball zu seinem Torwart zurückgespielt und der tat das, was er meistens tut: Schlug den Ball nicht wild in die Wolken, sondern versuchte sich als Libero, der von hinten das Spiel aufbaut. Doch diesmal ahnten die Kasachen das Spielchen, griffen gleich mit mehreren Leuten vorne an und überraschten Manuel Neuer böse. Er verlor den Ball, Heinrich Schmidtgal schoss zum zwischenzeitlichen 1:3 für die Gäste ein. Und das reichte, um bei vielen Zuschauern hörbaren Unmut zu provozieren.

Vielleicht nahmen die Nürnberger Zuschauer Manuel Neuer übel, dass er dem einzigen Fürther auf dem Platz ein Tor geschenkt hatte. Vielleicht schimpften die Franken über die oberbayerische Arroganz dieses FC-Bayern-Torwarts, vielleicht war vielen ob der totalen Dominanz der Deutschen in der ersten Halbzeit einfach langweilig. Jedenfalls bedachten viele Besucher von da an jede Aktion von Manuel Neuer mit höhnischen Rufen oder Pfiffen. Und das schlug mehr auf die Stimmung beim DFB-Team als das Gegentor.

"Manuel Neuer hat einen Fehler gemacht, er hat den zweiten Angreifer nicht gesehen. Aber es ist nicht in Ordnung, dass er danach ausgepfiffen, jede Aktion mit Ironie und Häme begleitet wird", beklagte sich Bundestrainer Joachim Löw und appellierte: "Er ist der Torwart von Deutschland!"

Konkurrenz im Mittelfeld

Solche Überreaktionen des Publikums bei Spielen seiner Mannschaft sind Löw schon lange suspekt, er kann da seinen Ärger kaum unterdrücken. Und er hatte doch moniert, dass gegen Schweden die Partie in den letzten 30 Minuten auch deshalb so entglitt, weil Neuer ständig den Ball von hinten rausschlagen musste und dieser dann postwendend zurückflog. Der Bundestrainer will, dass sein Torwart seine Art des Spielens beibehält. Er will nicht, dass das von ein paar hämischen Zuschauern kaputt gepfiffen wird. "Er soll von hinten rausspielen, er ist ein offensiver Torwart", erklärte Löw. Subtext: Da kann sowas passieren, besser gegen Kasachstan als gegen Spanien.

Neuer denkt ohnehin nicht daran, in seinem 28. Lebensjahr sein Spiel zu verändern. "Ich werde jetzt nicht Kopfkino fahren und ständig fragen: Warum hast du das gemacht? Es gibt andere Lösungen dafür, deshalb gehe ich meinen Weg weiter", sagte er. Dabei entschuldigte er sich nicht nur für das Gegentor bei Fans und Mitspielern, sondern übernahm gleich die Verantwortung für die gesamte, etwas zähe zweite Halbzeit. "Wir wollten an die erste Halbzeit anknüpfen. Aber wenn man so beginnt, ist es für die Mannschaft schwer, positiv weiterzuspielen. Man hat schon bei einigen Spielern leichte Verunsicherung gesehen."

Und was sagt er selbst zur Reaktion der Zuschauer? "Das bleibt jedem selbst überlassen. Gehört habe ich das, aber abstellen kann ich es nicht. Ich will jetzt nichts gegen die Fans sagen." Manuel Neuer ist eben ein gut erzogener Mensch.

Er hätte auch sagen können: Freut euch doch lieber über all die gelungenen Aktionen dieser Mannschaft, über wunderbare Tore von Marco Reus (2), Mario Götze und Ilkay Gündogan. Überhaupt, dieser Gündogan! Wie schon im Spiel in Frankreich beeindruckte der 22-Jährige im Zentrum des Platzes mit starker Technik, mit Dynamik und Übersicht. Er hat im Kampf um die beiden Stammplätze im defensiven Mittelfeld zu Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger aufgeschlossen, allein die internationale Erfahrung der Konkurrenten lässt ihn im Ansehen des Trainerteams wohl noch den halben Zentimeter hinten dranstehen.

Doch die Debatte, welcher von den Dreien künftig draußen sitzen soll, hat er mit seiner formidablen Vorstellung nicht beseitigt. Im Gegenteil. "Ich habe heute ein ordentliches Spiel gemacht", sagte er: "Wenn ich wieder mal die Chance bekomme, versuche ich wieder, das Beste draus zu machen." Ebenfalls gut erzogen, der Mann.

Er hätte ja poltern können, dass er und die anderen Dortmunder dieses Spiel geprägt haben. Die Borussen-Spieler, Gündogan, Reus, Götze kombinierten im Verbund mit Mesut Özil so schnell, dass Thomas Müller manchmal gar nicht mehr mitkam. Und Marcel Schmelzer spielte auch ordentlich. Alle Treffer erzielten Dortmunder. Sehr her, ihr Bayern, wir werden immer stärker!

Doch erstens sagte Ilkay Gündogan das nicht, überhaupt kein Dortmunder sagte etwas in der Art. Und selbst wenn: Bayern-Torwart Manuel Neuer hatte den richtigen Konter: "Ich habe ja auch fast getroffen."

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