Deutsche Mannschaft bei der Fußball-WM:Wie Löw das nur immer macht

World Cup 2014 - Germany training

Leichtfüßig und wohl durch nichts zu erschütter: Joachim Löw während des Trainings mit der deutschen Nationalmannschaft

(Foto: dpa)

Löws Mannschaft verbreitet bereits im ersten Spiel bei der Fußball-WM so viel Freude, dass es an die fulminanten Auftritte in Südafrika erinnert. Doch die zwei schwersten Hürden kommen noch.

Von Thomas Hummel, Salvador

Würde die Stimmung rund um die Nationalmannschaft in den vergangenen Monaten als Fieberkurve gezeichnet, sie käme auf einer Skala von "Löw muss raus!" bis "Wir werden Weltmeister!" selten über den Wert "Der schöne Jogi und seine Schönspieler vergeigen es doch wieder" hinaus. Skepsis begleitete den DFB auf seine Mission nach Brasilien. Von Südtirol, über die Startbahn am Frankfurter Flughafen, bis hinein in sein selbst gebautes Camp, das nur über den Rio Joao de Tiba zu erreichen ist. Wer sich abschottet, hat was zu verbergen. Oder nicht?

Die schlechte Laune im Umfeld stand im größtmöglichen Gegensatz zum Gemüt des Bundestrainers Joachim Löw. Er wirkte entspannt, mit sich und seinem Leben im Reinen. "Ich fühle mich gut", sagte er am Sonntag, er sei konzentriert, ausgeglichen, fokussiert. Auf dem Trainingsplatz zeigte er, dass er auch noch ganz schön kicken kann und jonglierte ein wenig mit dem Ball. Der 54-Jährige erzählte, dass er morgens schon vor sechs Uhr den Strand entlanglaufe, weil ihm das guttue. Ob er denn dabei über Aufstellung oder Gegner brüte? Könne schon mal vorkommen, aber es sei nicht so, "dass ich nur in der einen Welt lebe, in der ich an Cristiano Ronaldo denke."

Nach dem ersten Spiel der deutschen Mannschaft bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft kann zweifellos behauptet werden: Löws Schönspieler-Laune kam der Verfassung seiner Mannschaft wesentlich näher als der Missmut drumherum. 4:0 gegen die sehr hoch eingeschätzten Portugiesen. Das Fest kann beginnen!

Die Frage bleibt, wie Löw und sein Stab das wieder hingekriegt haben. Von außen betrachtet erlebte der deutsche Tross eine durchaus missratene Vorbereitung. Von wegen schönes Spiel. An potenziellen Störfaktoren mangelte es nicht.

Da war die lange Verletztenliste zu Beginn mit Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Manuel Neuer und Marcel Schmelzer. Während eines Sponsorentermins ereignete sich ein Unfall, in den Benedikt Höwedes und Julian Draxler verwickelt waren, zwei Passanten wurden dabei schwer verletzt. Das Klima im Südtiroler Trainingslager erinnerte weniger an Brasilien als an die Beringsee, nicht einmal Löws Frisur hielt dem Sauwetter stand.

Der Pinkel-Affäre Großkreutz folgte die Raser-Affäre Jogi samt Führerscheinentzug. Es endete mit der schweren Blessur von Marco Reus, der für die WM als Startspieler eingeplant war. Das kann einem schon mal die Stimmung vermiesen.

Nichts von alledem. Als die Deutschen am Samstag in Salvador ankamen, wirkten sie positiv gestimmt, sich ihrer Stärken bewusst. Sehr entschlossen, zu zeigen, dass mehr in ihnen steckt als Schönspielerei.

"Diese Sachen gehören einfach dazu", sagte Manuel Neuer achselzuckend zu den Vorfällen, "aber wir wissen, worum es geht: dass alle Spieler hundertprozentig fit sind." Zudem sei diese Elf eine Turniermannschaft, "wir wissen, dass es nur zusammen geht. Wenn wir zusammenhalten".

Auf dem Platz stand am Montag in der Arena Fonte Nova eine Mannschaft, die bestens vorbereitet war und genau wusste, was sie tun sollte. "Wir waren auf den Punkt genau topfit", sagte Löw nach dem Spiel, und niemand konnte ihm widersprechen. Da Lahm die Seitenwahl gegen Ronaldo verlor, musste die deutsche Mannschaft die erste Halbzeit in der knallenden Sonne spielen. "Da war es schon heftig", berichtete Mats Hummels, "aber eine Minute im Schatten half schon enorm weiter. Das ist ein Riesenunterschied. Sobald man im Schatten war, ging es." Vermutlich hat der Verteidiger deshalb die Ecke reingeköpft: Weil er so glücklich darüber war, einmal bis nach vorne in den Schatten rennen zu dürfen.

10 000 Deutsche singen "Oh, wie ist das schön"

Löws taktischen Kniffe griffen: Cristiano Ronaldo hatte wenige Szenen, vorne deckten die Deutschen die Schwächen in der portugiesischen Defensive brutal auf.

Löws Spieler haben bereits im ersten Spiel so viel Freude verbreitet, dass es an die teilweise fulminanten Auftritte in Südafrika erinnerte. 10.000 Landsleute sangen schon Mitte der ersten Halbzeit "Oh, wie ist das schön, sowas hat man lange nicht gesehen". DFB-Präsident Wolfgang Niersbach ließ das Ereignis sprachlos zurück: "Das ist Freude pur. Mir fehlen gerade die Worte."

Das Fußballland pflegt die Tradition, ihrem Löw und seiner Mannschaft nicht viel zuzutrauen, schon seit einigen Jahren. Eigentlich schon so lange, dass es das Fußballland besser wissen sollte. Egal, ob als Ko-Trainer bei der WM 2006 oder bei allen darauffolgenden Turnieren - zu Beginn jagte die deutsche Mannschaft dem Rest immer einen Heidenschreck ein. Nur das 1:0 vor zwei Jahren gegen Portugal im Lemberg musste schwer erkämpft werden, allerdings gegen einen damals auch bärenstarken Gegner. Und mit einer Mannschaft, in der sich die Blöcke aus Dortmund und München nur mäßig sympathisch fanden. Sonst: mit Hurra ins Turnier!

Wenn Löw endlich seinen Kader um sich scharen kann, seine Methoden anwenden und umsetzen darf, dann ist dieser Mann glücklich. Er versteht es, die Wochen der Vorbereitung zu nutzen, eine Mannschaft zu formen. Praktisch alle wichtigen Spieler arbeiten gerne mit Löws Trainerteam zusammen und unterstützen es. Löw nominierte für die WM einige Frischlinge, die froh sind, dabei sein zu dürfen und bestimmt keinen Ärger machen. Und dass etablierte Kräfte wie Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose auch nach ihren Verletzungen ihre Ersatzrolle klaglos hinnehmen, zeugt von funktionierendem Teamgeist.

Die Historie zeugt allerdings auch davon, dass Löws Team in Turnieren stets zwei schwere Hürden nehmen muss: Es scheitert gerne im Halbfinale. Und im zweiten Gruppenspiel. Vielleicht ein wenig berauscht vom Auftakt, kam häufig sofort der Tiefschlag. 0:1 gegen Kroatien (2008), 0:1 gegen Serbien (2010), nur vor zwei Jahren siegten die Deutschen 2:1 gegen Holland. Doch da war Mario Gomez noch dabei.

Am Samstag, 16 Uhr Ortszeit, wartet in Fortaleza Ghana. Bis dahin dürfte Joachim Löw weiter vor sechs Uhr morgens über den Strand laufen und dabei sicher wenig an Kevin-Prince Boateng denken. Denn der könnte ihm wirklich schlechte Laune bereiten.

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