Deutsche Handballer vor EM-Aus:Ganz nah am Abgrund

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Patrick Wiencek (mi): Kaum Durchkommen gegen Montenegro (Foto: Boris Pejovic/dpa)

Die deutschen Handballer erleiden beim 25:27 in Montenegro einen schweren Rückschlag in der EM-Qualifikation: Die Chance ist nun klitzeklein, sich doch noch die Teilnahme am Turnier 2014 in Dänemark zu sichern. Während die Montenegriner feiern, ist die Enttäuschung beim DHB riesengroß.

Nichts wie weg von hier, nichts wie raus, dachten sich die deutschen Handballer, und drängten aus der Halle im Sportcenter Moraca von Podgorica: Sie hatten an diesem Mittwochabend gerade ihr vorletztes EM-Qualifikationsspiel verloren, 25:27 (11:13) gegen Montenegro, das damit qualifiziert ist für das kontinentale Turnier vom 12. bis 26. Januar 2014 in Dänemark.

Die montenegrinischen Spieler feierten das tanzend auf dem Spielfeld, das wollten sich die deutschen Profis nicht mitansehen. Sie haben nun das Aus vor Augen, das erstmalige Verpassen einer Europameisterschaft - und das, nachdem sie im vorigen Jahr schon Olympia zum ersten Mal verpasst haben. Für den Deutschen Handballbund (DHB), den mitgliederstärksten Verband der Welt, wäre das ein schwerer Rückschlag.

Die Auswahl von Bundestrainer Martin Heuberger hat mit ihren 4:6 Punkten in der Gruppe 2 nur noch eine klitzekleine Chance, das abzuwenden: Sie muss am Samstag in Aschaffenburg (14 Uhr/BR) den Außenseiter Israel (2:8) bezwingen und darauf hoffen, dass Montenegro (8:2) gleichzeitig in Tschechien (6:4) gewinnt - dann würde ihr das bessere Torverhältnis im Vergleich mit den Tschechen noch zur EM-Teilnahme verhelfen.

Aber das sind Rechenspiele, die Trainer Heuberger eigentlich hatte vermeiden wollen durch einen Sieg in Podgorica. "Ich habe mich mit einem EM-Aus nicht befasst", gab der Bundestrainer zu: "Die Enttäuschung ist riesengroß." Sein Kapitän Oliver Roggisch sagte: "Wir haben nie zu unserem Spiel gefunden, keiner hatte Normalform."

Martin Heuberger hatte Respekt gehabt vor der Kulisse in Podgorica, der 49-Jährige hatte von Rauchschwaden erzählt, die durch die Halle waberten, von einem Lärm, der die Ohren betäubte. Aber er hatte das alles nur auf Videos gesehen und gehört, in der Realität war es dann so, dass längst nicht alle Plätze auf der Tribüne besetzt waren, und die 2500 anwesenden Zuschauer sich nicht ungebührlicher benahmen als Zuschauer anderswo auch - sie wurden freilich auch von einer Hundertschaft Polizisten beäugt.

Erst mal gab es also keinen Grund zur Beunruhigung; die stark ersatzgeschwächte DHB-Auswahl, die in dem Magdeburger Stefan Kneer nur noch eine gesunde Fachkraft im linken Rückraum hatte, begann dann auch sehr unaufgeregt, aber doch schwungvoll.

Ihr Elan wurde jedoch bereits nach sechs Minuten gebremst durch eine Zwei-Minuten-Strafe gegen Spielmacher Michael Haaß (Göppingen) - statt den 3:1-Vorsprung ausbauen zu können, mussten die deutschen Handballer erst einmal den Ausgleich hinnehmen. Später versäumten sie es selbst, Kapital zu schlagen aus zwei aufeinanderfolgenden Zeitstrafen gegen die Gastgeber zwischen der 16. und der 20. Minute.

Zu mehr als einem Tor Vorsprung (7:6) reichte die numerische Überlegenheit nicht. Immerhin schienen sie die Montenegriner im Griff zu haben, anders als bei der 27:31-Niederlage im Hinspiel Anfang November. Das änderte sich in den letzten fünf Minuten vor der Pause. Da nutzten die Gastgeber einen 5:1-Lauf zur 13:11-Führung. Zu allem Übel wurde Patrick Wiencek, neben Kneer bester Werfer des DHB-Teams (je vier Tore), auch noch für zwei Minuten auf die Bank geschickt.

Das DHB-Team überstand die kritische Phase nach dem Seitenwechsel zunächst ohne weiteres Gegentor, Rechtsaußen Patrick Groetzki beendete die Torflaute, vergab dann bei einem Gegenstoß aber die Chance zum Ausgleich (er traf bloß die Latte), ehe ihm der kurz darauf bei einer ähnlichen Situation doch noch glückte.

Trotzdem schafften es die deutschen Spieler nicht, die Partie zu drehen. Immer wieder gingen sie verschwenderisch mit ihren Möglichkeiten um, ließen ihre Überzahl ungenutzt verstreichen, vergaben selbst Siebenmeter. Als Groetzki ein weiteres Mal am Torgehäuse scheiterte, schien das deutsche Team eine Viertelstunde vor Schluss (16:20) einer neuerlichen Niederlagen gegen den Außenseiter entgegenzutaumeln.

"Ich glaube, dass uns in Montenegro 60 Minuten lang alles abverlangt wird", hatte Bundestrainer Heuberger seine Spieler auf eine bis zum Schluss enge Partie eingeschworen. Er reagierte, ließ seine Defensive offensiver agieren, um den Angriff der Gastgeber früher zu stören.

Das Resultat: Binnen drei Minuten waren die Deutschen wieder auf ein Tor heran (19:20/49.), sie schöpften neuen Mut. Aber sie fanden immer noch kein richtiges Mittel, um die Montenegriner ins Wanken zu bringen - vor allem deren Torwart Rade Mijatovic stand felsenfest an seinem Platz und ließ die Angriffe ein ums andere Mal abprallen. So tröpfelten die Sekunden von der Uhr, dann die Minuten, den Deutschen lief die Zeit davon. Es war zum Verzweifeln. "Montenegro war einfach abgebrühter als wir", räumte Heuberger später ein.

Er nahm zwar noch einmal eine Auszeit, als die drittletzte Minute anbrach, beim Stand von 22:25. Aber da rissen die montenegrinischen Spieler schon jubelnd die Arme hoch. Sie wussten, das würde reichen für sie.

© SZ vom 13.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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