Deutsche Handballer verpassen WM:Nervös zum Totalschaden

Germany v Poland - IHF World Championship 2015 Playoff Leg Two

Steht wohl vor dem Aus: Handball-Bundestrainer Martin Heuberger.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Schon wieder ein wichtiges Turnier ohne Deutschland: Im entscheidenden Playoff-Spiel gegen Polen verliert die deutsche Nationalmannschaft wegen ihrer Schwächen im Überzahlspiel - und der Wucht eines ehemaligen Magdeburgers. Bundestrainer Heuberger steht vor dem Aus.

Von Saskia Aleythe

Den Weg kennt Silvio Heinevetter gut. Vom Tor in der Magdeburger Arena zu den Umkleidekabinen ist er viele Jahre gegangen, von 2005 bis 2009 reifte er dort beim SC Magdeburg zum Nationalspieler. An diesem Samstagnachmittag im Jahr 2014 hat er es besonders eilig, vom Spielfeld zu gelangen. Schon kurz nach dem Abpfiff läuft er dem Ausgang entgegen, dreht aber noch einmal um. Entkommen kann er der Gewissheit ohnehin nicht: Die deutsche Nationalmannschaft verpasst die WM 2015 in Katar.

"Wenn es gegen Polen misslingt, verschwinden wir von der Bildfläche", hatte Heinevetter vor dem entscheidenden Playoff-Spiel der FAZ gesagt, sein Abgang in Magdeburg folgte dieser Ankündigung in zügiger Ausführung. Mit zwei Toren Vorsprung hätte das Team von Martin Heuberger gegen Polen gewinnen müssen.

Zur Pause leuchtete ein Mut stiftendes 14:10 von der Anzeige - doch am Ende prangte dort ein 28:29. Die WM 2015 in Katar ist damit das dritte Turnier seit 2012, für das sich die Mannschaft nicht qualifizieren konnte. "Ich bin zutiefst traurig", bekannte Heinevetter hinterher: "Wir sind so dämlich. Wir sind einfach auch zu naiv und zu dumm."​

Noch vier Minuten vor dem Abpfiff hatten die Deutschen mit 27:25 in Führung gelegen, es war der letzte Moment an diesem Junitag, in dem der deutsche Handball dem Totalschaden noch fern war. Es folgten zwei schlechte Aktionen von Steffen Weinhold und ein fataler Wurf ins Publikum von Steffen Fäth - und dann jubelten die Polen. Michael Biegler, einst Heinevetters Trainer in Magdeburg und heute Trainer der Polen, gönnte seinem Team kurz vor dem Ende noch eine Auszeit. "Jungs, ich könnte euch alle knutschen", sagte er, "aber die 13 Sekunden spielen wir noch."

Sein Gegenüber Martin Heuberger war da deutlich betrübter. Ende des Monats läuft der Vertrag des Bundestrainers aus. "Wenn man die Qualifikation nicht schafft, muss man sich den Diskussionen stellen. Meine Mannschaft hat bravourösen Handball gespielt", resümierte Heuberger. Er fand auch schnell eine schlüssige Erklärung für den Erfolg der Gäste: "Bei Polen hat Bielecki einen sehr guten Tag erwischt und praktisch aus dem Nichts getroffen." Nur eine Lösung dafür fand Heuberger nicht.

"Ich spüre nur Leere"

Auch Karol Bielecki kennt die Wege durch die Magdeburger Arena gut, zwei Jahre lang hat er mit Heinevetter dort in einem Team gespielt. Am Samstagnachmittag verweilt er gerne noch ein bisschen auf dem Spielfeld, hüpft und jubelt, feiert die WM-Teilnahme mit den Kollegen der polnischen Nationalmannschaft. Bielecki hat den Deutschen in der Schlussphase schwer zugesetzt, immer wieder die harmlose Mauer übersprungen und aus reichlicher Distanz mit ordentlicher Wucht getroffen.

Heinevetter war in diese Minuten seltsam machtlos, doch Heuberger vertraute ihm weiter. Der Mann von den Berliner Füchsen hatte schließlich die erste Hälfte mit tollen Reflexen erfüllt, hielt das deutsche Team nach einem frühen Verlust mit in der Partie. Der robuste Patrick Wiencek verdrehte sich in einer Offensivaktion das Knie und musste ersetzt werden. Doch die Deutschen setzten sich ab, Holger Glandorf flog ungezügelt aufs Tor der Polen zu, auch Michael Kraus wurde seiner Aufgabe als Impulsgeber gerecht.

Gäbe es eine reelle Chance auf Erfolg, würden die deutschen Handballer wohl einen Antrag bei der IHF einreichen, die Spielzeit auf 30 Minuten zu verkürzen. "Wir sind in der zweiten Halbzeit ähnlich wie vor einer Woche nicht mehr richtig ins Spiel gekommen", analysierte DHB-Vizepräsident Bob Hanning nach der Partie, "und in Überzahl gab es kein Miteinander im Team". Dank einiger Fehler der Deutschen kamen die Polen in der 42. Minute zum Ausgleich - und dann wurde es skurril.

Statt Stärke aus der bis dato gezeigten Leistung zu ziehen, verlor sich die Mannschaft in alter Nervosität. In den letzten zehn Minuten kassierten die Polen zweimal eine Zeitstrafe - eigentlich die besten Voraussetzungen für einen deutschen Sieg. Stattdessen: Fehlschüsse und keine Lösung gegen den überragenden Bielecki. "Wir waren in Überzahl einfach nicht abgeklärt, haben keinen Gewinn aus den vielen Zeitstrafen für die Polen erzielt", erklärte Christian Schwarzer, der 2007 mit dem deutschen Team noch Weltmeister geworden war.

"Ich spüre nur Leere", sagte Holger Glandorf nach der Partie geknickt, "es ist schwer, dazu etwas zu sagen. Aber man hat gesehen, dass wir alles getan haben, um das Ding zu gewinnen." Michael Haaß ergänzte: "Eine Erklärung für sowas zu finden, ist einfach schwer. Jetzt überwiegt die Enttäuschung. Es ist genau das passiert, was nicht hätte passieren dürfen." Was nun aus dem Team und vor allem dem Trainer wird, wird sich in Bälde entscheiden. "Es tut erst mal sehr, sehr weh", bekannte Bob Hanning, "wir müssen uns Gedanken machen, wie es weitergeht." Wenig später kündigte er eine Erklärung für Mittwoch an.

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