Deutsche Handballer bei der EM:Mit flacher Hierarchie und starken Außenspielern

Für die deutschen Handballer geht es bei der Europameisterschaft in Serbien nur um eins: ihre Olympia-Chance zu wahren. Schon das erste Spiel am Sonntag gegen Tschechien könnte hierfür entscheidend sein. Doch Experten bezweifeln, dass die Substanz im Team gut genug ist.

Joachim Mölter

Stünde dem Handball-Bundestrainer Martin Heuberger Deutschlands Handballer der Jahre 2009 und 2010 zur Verfügung, er hätte ein Problem weniger bei der am Sonntag beginnenden Europameisterschaft in Serbien. "Was uns fehlt, ist jemand, der auch mal ein einfaches Tor macht", sagt Heuberger; jemand, der zur Not zehn Meter vor dem Tor abspringt und den Ball mitsamt dem Torhüter ins Netz drischt.

Handball-Laenderspiel: Deutschland - Ungarn

Handball-Laenderspiel: Deutschland - Ungarn Handball, Nationalmannschaft, Laenderspiel, Deutschland - Ungarn, Sonntag (08.01.12), Getec-Arena, Magdeburg: Pascal Hens setzt zum Torwurf an. Das Spiel endete 21:22. Foto: Ronny Hartmann/dapd

(Foto: dapd)

Einer wie Filip Jicha eben, der Rückraumspieler des deutschen Rekordmeisters THW Kiel. Der 29-Jährige ist zuletzt nicht nur hierzulande als bester Spieler ausgezeichnet worden, sondern im vergangenen Jahr sogar weltweit; bei der EM 2010 in Österreich war er Torschützenkönig mit fast neun Treffern pro Spiel.

Doch Filip Jicha ist Tscheche, und weil Tschechien am Sonntag in Nis (17.20 Uhr/ZDF) der Auftaktgegner der deutschen Auswahl ist, hat Heuberger eher ein Problem mehr. "Jicha in den Griff zu bekommen, ist schwierig", sagt der 47-Jährige, der im vorigen Sommer die Nachfolge von Heiner Brand angetreten hat.

Heubergers vordringlichste Aufgabe bei diesem Turnier ist es, den Niedergang der deutschen Handballer seit dem WM-Gewinn 2007 nicht nur aufzuhalten, sondern umzukehren. Mit Platzierungen wie bei den jüngsten Turnieren - Zehnter bei der EM 2010 und Elfter bei der WM 2011 - wird das Hauptziel kaum zu erreichen sein: die ohnehin geringe Chance auf die Olympia-Qualifikation für London zu wahren.

Für den weiteren Turnierverlauf ist die Partie gegen Tschechien jedenfalls richtungsweisend: Mazedonien ist Außenseiter in der Gruppe B, da ist ein Erfolg am nächsten Dienstag fest eingeplant; und gegen den WM-Vierten Schweden im abschließenden Vorrundenspiel am Donnerstag ist eher nicht mit einem Sieg zu rechnen.

Wenn die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) Punkte in die Hauptrunde mitnehmen will, als Basis für eine ausreichend gute Platzierung im Endklassement, sollte sie die vorsichtshalber schon gegen Tschechien holen. "Unser Hauptaugenmerk gilt dem ersten Spiel", sagt Heuberger folglich; darauf hat er sein Team vorbereitet.

Ob das von der Substanz her gut genug ist, um einen weiteren Rückschritt zu verhindern, war in dieser Woche Thema etlicher Experten, die sich zu Wort gemeldet und die Qualität von Heubergers Auswahl angezweifelt haben.

Der Altinternationale Stefan Kretzschmar zum Beispiel, Mitglied der Weltmeistermannschaft von 2007, hat im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Fehlen eines "charismatischen Anführers" bemängelt - ohne jedoch einen namentlichen Vorschlag parat zu haben.

Keine Sorge um Torhüter und Außenspieler

Martin Heuberger hat sich mit solchen Debatten nicht beschäftigt, "da verbraucht man nur unnötig Energie", hat er gesagt und versichert: "Ich bin zufrieden mit meinem Kader." Tatsächlich hat ihm niemand sagen können, wen er sonst noch hätte mitnehmen können nach Serbien.

Er habe zwar nicht den einen, alle überragenden Führungsspieler, findet Heuberger, aber dafür gleich drei mit unterschiedlichen Aufgaben: den Mannheimer Oliver Roggisch als Chef für die Abwehr, den Göppinger Michael Haaß als Spielgestalter im Angriff sowie den Hamburger Pascal Hens als Kapitän fürs große Ganze. Heuberger bevorzugt eine flache Hierarchie, er hat sogar eine gewisse Mitbestimmung der Spieler eingeführt, um sie stärker in die Verantwortung zu nehmen. "Es bringt ja nichts, wenn ich etwas vorgebe, und die Spieler setzen es nicht um, weil sie nicht überzeugt davon sind", erklärt er.

Die am Rande der letzten Vorbereitungsspiele gegen Ungarn (36:33 und 21:22) verbreitete Meinung, seinen Spielmachern mangele es an Spielwitz, teilt Heuberger nicht. "Es fehlt eher die Spieldisziplin", findet er: "Wir suchen zu früh den Abschluss, anstatt noch zwei, drei Pässe mehr zu spielen und dadurch in eine bessere Schussposition zu kommen." Den Eindruck, dass der Rückraum die Schwachstelle des deutschen Spiels ist, kann er trotzdem nicht verwischen.

Am wenigsten muss man sich um Torhüter und Außenspieler sorgen. Im Tor kämpfen Silvio Heinevetter und der zuletzt gegen Ungarn überragende Carsten Lichtlein um die Nummer eins. Wobei Abwehrchef Roggisch den in der Vorbereitung etwas schwächeren Heinevetter noch im Vorteil sieht: "Testspiele waren noch nie Silvios Ding. Bei ihm muss es um etwas gehen."

Auch auf den Außenpositionen ist die DHB-Auswahl mit Dominik Klein und Uwe Gensheimer auf der linken sowie Christian Sprenger und dem jungen Patrick Groetzki auf der rechten Seite bestens besetzt. Selbst der sonst so kritische Kretzschmar hat an seinem Nachfolger am Spielfeldrand wenig auszusetzen: "Gensheimer ist für mich der weltbeste Linksaußen. Aber er muss es in Serbien mal zeigen." Das hat man bei deutschen Handballern auch schon lange nicht mehr gesehen: dass sie über Außenbahnen und Umwege zu ihrem Ziel kommen müssen.

Modus

Die ersten Drei jeder Gruppe erreichen die Hauptrunde (21. - 25. Januar) und nehmen die gewonnenen Punkte gegen die ebenfalls qualifizierten Konkurrenten mit. In Belgrad treten die Teams aus den Gruppen A und B gegeneinander an, in Novi Sad die der Gruppen C und D. Die Mannschaften auf den Plätzen eins und zwei bestreiten die Halbfinals (27.1.), die jeweiligen Sieger das Finale am 29. Januar in Belgrad.

Olympia-Qualifikation

Am olympischen Handball-Turnier in London nehmen zwölf Teams teil, sechs qualifizieren sich direkt, sechs weitere über insgesamt drei Ausscheidungsturniere im April.

Direkt für Olympia qualifiziert sind: Gastgeber Großbritannien, Weltmeister Frankreich, Asienmeister Südkorea, Amerikameister Argentinien sowie der Europa- und der Afrikameister, die in diesem Monat ermittelt werden. Sollte Frankreich auch Europameister werden, rückt der EM-Zweite nach.

An den drei Ausscheidungsturnieren im April nehmen teil: die sechs Teams, die bei der WM 2011 die Plätze zwei bis sieben erreicht haben - Dänemark, Spanien, Schweden, Ungarn, Island und Kroatien. Dazu kommen sechs Teams über die kontinentalen Titelkämpfe: Brasilien und Chile als Zweiter und Dritter der Amerika-Meisterschaften, Japan als Zweiter der Asien-Meisterschaften, der Zweitplatzierte der Afrika-Meisterschaften sowie zwei weitere Teams aus Europa.

Im günstigsten Fall reicht der 10. Platz bei der EM, um sich für eines dieser Turniere zu qualifizieren - nämlich dann, wenn weder Frankreich noch eines der sechs bereits teilnahmeberechtigten Länder Europameister wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: