Deutsche Elf gegen Österreich:Löw und die Schmach der Chancenverwertung

Das Nachbarschaftsduell zwischen Österreich und Deutschland ist längst von jeder Folklore befreit. Bundestrainer Joachim Löw konzentriert sich auf die sportlichen Schwächen seiner Elf - und macht sich die Qualität der Österreicher zunutze, um nach innen und außen Warnsignale zu senden.

Christof Kneer, Wien

Schon vor acht Jahren war Joachim Löw in Wien immer montags gut in Form. Zeitzeugen schwören sogar, dass Löw der Allerbeste war, damals, bei den violetten Senioren-Kickerln von Austria Wien. Zwar haben ihn auch die schönsten Pässe beim Feierabendfußball nicht davor gerettet, vom damaligen Austria-Boss Frank Stronach als Trainer entlassen zu werden, aber seine Montagsform hat er sich auch von dem schrägen Milliardär nicht austreiben lassen. Löw war auch an diesem Montag wieder in beachtlicher Spiellaune, seine Leistung kam gut an, zumindest beim österreichischen Teil des Publikums.

Kaum in Wien gelandet, hat Löw die Gastgeber so oft für ihre "absolut konkurrenzfähige Mannschaft" gelobt, dass die bislang konkurrenzlos vergötterten Spanier demnächst neidisch werden dürften. "Ich habe bei der Lektüre im Flugzeug gesehen, dass Österreichs Spieler sich selbstbewusst äußern", sagte Löw vor dem EM-Qualifikationsspiel in Wien (Dienstag, 20.30 Uhr), "und ich muss sagen: absolut zu Recht."

Die Fußballmannschaften aus Deutschland und Österreich sind sich zuletzt ziemlich häufig begegnet, aber so wie diesmal war's noch nie. Die Zeiten, in denen die Österreicher dank Buffy Ettmayer Übergewicht im Mittelfeld hatten, sind zwar lange vorbei, aber diese fast schon militante Abwesenheit von Folklore ist neu. Sonst sind vor dem Anpfiff des Duells regelmäßig kleinere Boshaftigkeiten ausgetauscht worden, die einen haben die anderen an die Schmach von Cordoba erinnert, und die anderen haben die einen wissen lassen, dass das über 30 Jahre her ist und es seitdem offenbar nix mehr zu feiern gab.

Aber Löw schätzt die Österreicher viel zu sehr, vor allem ihren Trainer Marcel Koller, der Fußball in denselben Schweizer Denkerstübchen gelernt hat wie Löw. Und die Österreicher mögen diesen Löw, weil er so gar nicht dem Klischee vom goscherten Piefke (überheblicher nördlicher Nachbar/ d. Red.) entspricht; überhebliche nördliche Nachbarn taugen den Österreichern ungefähr so sehr wie Obfoahrtswödmasta (Abfahrtsweltmeister/d. Red.) aus der Schweiz.

"Cordoba is' mir eh' wurscht", hat Österreichs Teamkapitän Christian Fuchs am Montag wissen lassen, und der Teamkamerad Marco Arnautovic hat das mannschaftsinterne Desinteresse am heiligen Mythos mit einer demonstrativen geografischen Wissenslücke garniert. "I waaß ned amoi, wo dös Cordoba liegt", hat er gesagt, "in Kolumbien oder wos?" Die frechste Aussage, die sich am Montag auftreiben ließ, stammt vom Mittelfeldspieler Veli Kavlak: "Ich traue uns zu, dass wir Deutschland 2:1 schlagen", hat er gesagt, "aber natürlich haben wir Respekt."

30 Punkte im Langstreckenwettbewerb

Ob seine Komplimente an die Österreicher ernst gemeint oder nur eine Kriegslist seien, ist Löw nach dem ungefähr 37. Österreicher-Lob (SZ-handgezählt) in der Pressekonferenz gefragt worden. Löw hat den Fragesteller aus Österreich überrascht angeschaut, natürlich sei das Ernst, hat er gesagt, "das ist einfach eine realistische Einschätzung". Es war derselbe Löw, der vor wenigen Wochen, bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, noch etwas ungnädig reagiert hat auf den Fußball, den Dänen und Griechen gegen die DFB-Elf angeboten hatten.

Gemessen am selbstbewussten Trainer aus EM-Tagen wirkte es erstaunlich defensiv, wie Löw für den Dienstagabend "ein Spiel auf Augenhöhe" prognostizierte. "Die WM-Qualifikation ist ein Langstreckenwettbewerb, in dem 30 Punkte vergeben werden", sagte Löw, "das hier ist kein Entscheidungsspiel."

Löw hat das Italien-Spiel nicht vergessen. Er hat nach der Niederlage im EM-Halbfinale schmerzhaft erfahren müssen, wie mächtig eine Fallhöhe sein kann, wie massiv sie einem Trainer zur Last gelegt wird. So macht er sich die (tatsächlich erheblich gestiegene) Qualität der österreichischen Nationalelf zunutze, um nach innen und außen Warnsignale zu senden. Er möchte auf keinen Fall Szenarien an die Wand werfen, denen die Öffentlichkeit auch nur ansatzweise den Gewinn des WM-Titels 2014 entnehmen könnte, und er will auch, dass seine Spieler wachsam bleiben.

Die interne EM-Analyse hat ja vor allem einige Sünden bei der Chancenverwertung offenbart, weshalb der DFB-Trainerstab das Training in den vergangenen Tagen etwas verändert hat. Löw und Assistent Hansi Flick haben die Offensivreihe um Reus, Müller oder Götze Torschuss unter Druck üben lassen, mal mit Zeitlimit, mal mit mehreren attackierenden Verteidigern. Jenseits des Handwerks sind die Trainer aber auch der Meinung, dass die Großzügigkeit beim Torschuss auch an einem gewissen Leichtsinn des jungen, noch etwas verspielten Personals liegen könnte. Groß geratene Österreicher kann Löw da als Argumentationshilfe ganz gut gebrauchen.

Wer jetzt immer noch nicht ausreichend gewarnt ist, dem müsste spätestens die Meldung zu denken geben, die am Montag durchsickerte. Der Österreicher Walter Schachner und der Deutsche Hansi Müller, zwei Cordoba-Hauptdarsteller, haben sich am Wochenende auf einem Hindernis- Parcours in Spielberg ein Duell im Rennauto geliefert. Schachner, der Österreicher, hat gewonnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: