Deutsche Eishockey-Nationalspieler:Silber im Gepäck, Playoffs in Sicht

Pyeongchang 2018 - Eishockey

Marcel Goc aus Deutschland tröstet Goalie Danny aus den Birken - für Goc, Deutschlands Kapitän, geht es nun in die Playoffs der DEL.

(Foto: dpa)
  • Nur zwei Tage nach der Rückkehr von Olympia geht der Ligaalltag für die deutschen Eishockeynationalspieler wieder los.
  • Der deutsche Erfolg bei Olympia ist vor allem der Erfolg eines Teams. Wie lange dieses in seiner Zusammensetzung bestehen kann, ist noch offen.
  • Einige der Nationalspieler können ihre Silbermedaille aus Pyeongchang jetzt mit der deutschen Meisterschaft krönen.

Von Christian Bernhard und Johannes Schnitzler

Sonntag: Südkorea, Olympia-Finale. Montag: Frankfurt, Ankunft nach elf Stunden Flug, im Gepäck eine Silbermedaille. Mittwoch: 50. Spieltag in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Der Alltag hat die Nationalspieler schnell eingeholt. Zum Beispiel in Berlin: Da hatten sich Marcel Noebels, Jonas Müller und Frank Hördler pünktlich zum Spiel am Mittwochabend gegen den EHC München einsatzbereit gemeldet - die Pyeongchang-Teilnehmer von Meister München hingegen bekamen noch eine Schonfrist. Die Eisbären gewannen 3:2 (1:0, 2:1, 0:1); München steht aber schon als Hauptrunden-Erster fest.

Nationalmannschafts-Kapitän Marcel Goc hat mit Adler Mannheim zumindest die Pre-Playoffs perfekt gemacht mit einem 4:1 in Schwenningen. Auch Christian Ehrhoff und die Kölner Haie sind nun sicher in der K.o.-Runde - trotz einer 1:3-Niederlage in Iserlohn. Auch an den bayerischen DEL-Standorten mit Nationalspielern, in München, Nürnberg und Ingolstadt, feierten die Fans ihre Idole - schon bei der Ankunft am Montag. Zeit für eine kleine Verehrung. Am Dienstag stand Timo Pielmeier wieder da, wo er sich am wohlsten fühlt: auf dem Eis. Der Torhüter des ERC Ingolstadt nahm vor dem Heimspiel gegen die Krefeld Pinguine (5:1) ganz normal am Training teil.

Davor und danach war nichts normal. Pielmeier trug sich ins Goldene Buch der Stadt Ingolstadt ein, musste in der Kabine seine Medaille vor den neugierigen Teamkollegen "beschützen" und bekommt am Samstag in seiner Heimatstadt Deggendorf einen Empfang. In all dem Trubel gilt es, den Fokus auf den Liga-Alltag wiederzufinden. Leistungen von Pielmeier wie jene beim 0:1 gegen Schweden in der Vorrunde wären den Ingolstädtern sehr recht. Sie wollen sich noch direkt für das Viertelfinale der DEL-Playoffs qualifizieren, dafür müssen sie mindestens Platz sechs erreichen. Ganz nebenbei gewann Pielmeier in Pyeongchang den Demonstrationswettbewerb für den lässigsten Rübezahl-Bart der Spiele.

Der (fast) Vollendete

Kaum einem gönnten Fans und Mitspieler den Erfolg so sehr wie Patrick Reimer. Der Nürnberger Kapitän, der in den vergangenen Jahren zahlreiche Einzel-Preise abgeräumt hat, beteuerte immer wieder glaubwürdig, dass er alle Auszeichnungen - "Spieler des Jahres", "Stürmer des Jahres", Torschützenkönig - gegen einen Mannschaftserfolg eintauschen würde. Olympia-Silber ist schon mal kein schlechter Anfang. Das nächste Ziel wäre der DEL-Titel, der ihm noch fehlt, im Mai steht die WM in Dänemark an, und nächstes Jahr ... "Ich muss mal schauen, was der Körper am Ende der Saison sagt", sagte der 35-Jährige nach dem Finale. Rücktrittsgedanken?

Das Turnier habe "auf jeden Fall Lust auf mehr gemacht", beruhigte Reimer, wichtig sei, "dass jetzt alle Jungs weiter zusammenhalten und nicht sagen: ,Jetzt haben wir Großes erreicht.' Unser Ziel muss es sein, den Weg weiter gemeinsam zu gehen." Es muss also nichts heißen, dass Reimer sein Trikot mit dem Bundesadler schon abgegeben hat. Neue, stolze Besitzerin des Leibchens mit der Nummer 37 wurde im Laufe einer wilden Partynacht im Deutschen Haus eine gewisse Lindsey Vonn.

Das Medium

Der Münchner Yannic Seidenberg war so etwas wie das personifizierte soziale Medium der Nationalmannschaft. Zwar erlangte Kapitän Marcel Goc mit seinen ersten Facebook-Schritten eine gewisse Berühmtheit. Aber an Seidenbergs virtuosen Umgang mit dem Smartphone reichte er nicht heran. Schon auf dem Hinflug postete Seidenberg ein Bild von sich und seiner Sitznachbarin, einer gewissen Lindsey Vonn. Später eröffnete er Einsichten ins Innenleben des Teams. Gegen Ende der Spiele wurden Seidenbergs Nachrichten jedoch schlagartig spärlicher.

Sein Handy sei während der "exzessiven" Feier im Deutschen Haus verschwunden, teilte er mit, schuld daran seien die deutschen Bobfahrer. "Schuld" an der Silbermedaille trug Seidenberg zu großen Teilen selbst. Wie in München zeigte der 34-Jährige auch in Südkorea, dass die Umschulung vom Stürmer zum Verteidiger das Beste war, was ihm zum späten Zeitpunkt seiner Karriere passieren konnte. Seidenbergs Übersicht und Überzahl-Qualitäten waren (fast) Gold wert. Und am Ende hatte er auch wieder ein Smartphone, mit Bildern von der Silber-Sause. Unter anderem darauf zu sehen: eine gewisse Lindsey Vonn.

Der Buddhist

Nach der Rückkehr aus Südkorea wartete Leo Pföderl auf dem Frankfurter Flughafen. Und wartete. Und wartete. Doch sein Gepäck kam nicht an. Als der Nürnberger Stürmer mit den Teamkollegen Reimer und Ehliz im Privatjet von Klub-Boss Thomas Sabo saß, ging es weiter mit der Warterei: Erst nach 30 Minuten bekamen sie die Starterlaubnis. Auch in Pyeongchang musste Pföderl - den die ARD-Kommentatoren beharrlich "Pfoderl" aussprachen, ohne Ö-Pünktchen - geduldig ausharren: Nach seinem Tor im Achtelfinale gegen die Schweiz kam er nicht mehr zum Einsatz. "Das Miteinander bei der Nationalmannschaft ist sehr respektvoll", hatte der Münchner Patrick Hager vor der Abreise nach Fernost gesagt: "Auch die Jungs auf der Tribüne gehören dazu. Alle ziehen mit, da beklagt sich keiner." Also saß Pföderl, buddhagleich, und murrte nicht. Schließlich lohnte sich die Warterei auch für ihn: Als sie am Montagabend mit rund 75 Minuten Verspätung endlich in Nürnberg ankamen, warteten dort 500 Fans. Sie sangen: "Leeeo Pfö-derl!" Mit Ö.

Der Beste

Keine Frage, Silber war ein Kollektiverfolg. Der Spieler, der aus dem Kollektiv am meisten herausgehoben wurde, war aber Danny aus den Birken. Eine Lesart besagt, der Münchner Torhüter wuchs in Südkorea über sich hinaus; Münchens Kapitän Michael Wolf hingegen findet, er habe seine Leistungen "auf einem anderen Niveau" bestätigt. Beim EHC muss sich der 33-Jährige wieder auf den Zweikampf mit David Leggio, Teil des US-Olympia-Teams, einstellen. Trainer Don Jackson ist ein Verfechter der Theorie "ein Topteam braucht zwei gleichwertige Goalies", beide bekamen in dieser Saison ähnlich viele Spiele. In Südkorea stand Leggio keine einzige Minute im US-Kasten. Aus den Birken wurde zum besten Torhüter des Turniers gewählt.

Der Krieger

Gerade erst wieder in Deutschland angekommen und schon wieder spielen? Kaum einer aus dem Silber-Team dürfte darüber so geschmunzelt haben wie der Nürnberger Yasin Ehliz. Wem auf dem Eis schon mal das linke Ohr durch einen Puck zerfetzt wurde wie Ehliz in den Playoffs 2017, stellt sich eine solche Frage nicht. Nicht umsonst bezeichnete ihn sein Trainer Rob Wilson mehrmals als "Krieger". Als er im Finale gegen die Russen im eigenen Drittel den Puck verlor und Deutschland 0,5 Sekunden vor der ersten Pause in Rückstand geriet, hätte sich Ehliz vermutlich am liebsten selbst ins Ohr gebissen. Aber ein Krieger gibt so schnell keinen Frieden. Unermüdlich jagte der 1,77 Meter große Außenstürmer seine Gegenspieler, und als er im letzten Drittel hinter dem Tor der Russen die Scheibe eroberte, führte sein Zweikampf zum 3:2 durch Jonas Müller und ... na ja, fast zum Golden End. Mit seiner Dynamik und seinem Kampfgeist wird Ehliz nun wieder den Gegnern in der DEL Angst einjagen.

Der Treffsichere, der Künstler, der Unauffällige

Der Treffsichere

Den eingebürgerten Münchner Brooks Macek hatten die Kollegen aus seiner kanadischen Heimat nicht auf dem Schirm. Der Stürmer aus Winnipeg wechselte vor fünf Jahren nach Deutschland. In Nordamerika hatte er nicht ein Spiel als Profi bestritten. Seit seinem Tor im Halbfinale gegen Kanada ist er auch im Eishockey-Mutterland ein Begriff. Macek machte in Südkorea einfach das, was er auch in der DEL tut: Tore schießen. Mit 26 Treffern führt Macek die Liga an, in Pyeongchang traf er zwei Mal. Man muss kein Prophet sein, um zu behaupten: Es werden in dieser Saison noch ein paar Törchen dazu kommen.

Der Künstler

Stürmer Frank Mauer schuf auf dem Weg ins Finale ein Bild wie von einem großen Renaissance-Meister gemalt: Im Halbfinale gegen Kanada traf der Münchner mit einem Schuss zwischen seinen eigenen Beinen hindurch zum 3:0-Zwischenstand. Mauers Tor war der Moment, in dem - spätestens - alle Beobachter ihre Augen rieben und an ihrem Verstand zweifelten, ein Kunstwerk aus Esprit, Eleganz und Effizienz. Och, sagte Mauer später, er habe so einen Treffer schon länger geplant. Aber der Moment müsse passen.

Einen passenderen Moment als ein Halbfinale gegen den Rekord-Olympiasieger muss man erst mal finden. Für Mauer war dieses Artefakt die Krönung der vergangenen Monate: Offenbar beflügelt von seiner Hochzeit und der Geburt des ersten Kindes spielte sich der 29 Jahre alte Speed-Skater zurück ins Nationalteam, für das er längere Zeit nicht mehr berücksichtigt worden war. Wie man auf einer Erfolgswelle reitet, weiß indes keiner besser als er: Vor seinen beiden Münchner Meisterschaften 2016 und 2017 holte Mauer bereits 2015 mit Mannheim den deutschen Titel. 2018 könnte der vierte nacheinander folgen.

Der Unauffällige

Durch den Erfolg in Pyeongchang ist die Nationalmannschaft in der Weltrangliste auf Platz sieben vorgerückt. Daryl Boyle, der Mann mit der Nummer sieben, rückte dadurch an eine Stelle, wo er sonst selten steht: in den Mittelpunkt. Unauffälligkeit auf hohem Niveau ist Boyles große Qualität; ein Verteidiger, der selten auffällt, macht seinen Job sehr gut. Boyle ist weder der kräftigste noch der schnellste oder schussgewaltigste Abwehrspieler, doch er verfügt über eine Eigenschaft, die Trainer besonders lieben: Er macht kaum Fehler. Die auch von drei Pflastern nicht zu verbergende Schnittwunde auf seiner linken Wange, die sich der Münchner Verteidiger im Olympia-Finale zugezogen hatte, verlieh dem Mann mit den babyblauen Augen etwas Verwegenes. Nur Christian Ehrhoff stand im Endspiel länger auf dem Eis als der gebürtige Kanadier.

Der Komplette

Bei der Frage nach dem komplettesten deutschen Stürmer landet man schnell bei einem Rosenheimer, der seit dieser Saison in München spielt. Patrick Hager ist torgefährlich, kreativ und defensiv stark. Gemixt mit einer guten Portion Aggressivität ergibt das den besten deutschen Scorer in Südkorea: drei Tore und vier Vorlagen verbuchte der 29-Jährige. Das Resultat: Die weltweit renommierte Fachzeitschrift The Hockey News schrieb, deutsche Kinder wollten nun vielleicht, "dass ihre Eltern ihnen eine Ausrüstung kaufen und sie beim Eishockey anmelden, um der nächste Patrick Hager zu werden", statt "der nächste Franz Beckenbauer, Michael Schumacher oder Dirk Nowitzki". Komplett gaga. Aber warum eigentlich nicht?

Die Attraktion

Es könnte sein, dass Dominik Kahun demnächst Ärger mit den Schiedsrichtern bekommt - wegen irregulärer Ausrüstung. Der Münchner verließ Südkorea mit dem grimmigen Versprechen, er werde seine Silbermedaille "nie wieder ausziehen". Anders als seine Kollegen aus Ingolstadt und Nürnberg kann Kahun bis Sonntag ausruhen und seine Medaille sogar mit ins Bett nehmen wie ein Kuscheltier. "Ich habe ein Tor im Finale bei Olympia geschossen", sagte Kahun nach dem 3:4 gegen Russland: "Davon habe ich nicht mal als kleiner Junge geträumt."

Der 22-Jährige ist wie Yasin Ehliz "schon lange dabei", sagt Patrick Hager: "Aber dann schaust' in ihren Pass und dann siehst', wie jung die eigentlich noch sind." In Pyeongchang spielte Kahun wie ein Alter. Mit seiner Kreativität und Übersicht wirbelte er Schweden, Kanadier und Russen durcheinander, wie er es für gewöhnlich mit seinen Gegenspielern in der DEL tut. Doch wie lange noch? "Er ist ein Weltklassespieler, der in jeder Liga spielen kann", sagt Franz Reindl, der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes: "Er hat ein exzellentes Turnier gespielt, jeder Wechsel ist eine Attraktion."

Interesse aus der russischen KHL gab es in den vergangenen Jahren immer wieder, durch seine Olympia-Auftritte hat sich der im tschechischen Plana geborene Techniker auch in Übersee wieder ins Gespräch gebracht. Nur ein Gerücht ist indes das Interesse einer gewissen Skifahrerin namens Lindsey Vonn.

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