Deutsche Defensive bei der EM:Abwehrverbund, entstanden aus der Not

Boateng, Badstuber, Mertesacker, Lahm: Mit dieser Viererkette dürfte Joachim Löw in das EM-Turnier gehen. Was Kritiker als problematisch ansehen, ist für den Bundestrainer die beste verfügbare Lösung. Zumindest Boateng deutete gegen Israel sein offensives Potential an, das in Polen und der Ukraine noch wertvoll werden könnte.

Carsten Eberts, Leipzig

Nach dem Spiel berichtete Israels Trainer Eli Guttman von einem kleinen Deal, den er mit Bundestrainer Joachim Löw eingegangen war. Die Wettaufsichtsbehörden dürfen sich in diesem Fall aber ruhig weiter den Geschehnissen in der italienischen Fußballliga widmen, denn was Guttman erzählte, war ein durchaus zulässiges Abspracheverfahren im letzten Spiel vor einem großen Turnier. Guttman sagte: "Ich habe dem Trainer versprochen, dass es keine Verletzten geben wird. Weil Deutschland zur Euro fährt." Und Israel eben nicht.

Länderspiel Deutschland - Israel

Sami Khedira schaut zu, Jerome Boateng (li.) grätscht: Der Bayern-Verteidiger scheint seinen Platz auf Rechts sicher zu haben.

(Foto: dpa)

Die Aussagekraft der deutschen Generalprobe vor der EM ist damit hinlänglich beschrieben. Deutschland siegte 2:0 gegen einen drittklassigen Gegner, der nicht nur spielerisch unterlegen war, sondern laut Auskunft seines Coaches nicht mal richtig zur Sache ging. Bundestrainer Löw zog trotzdem diverse Schlüsse aus diesem Auftritt. Denn zumindest - und das ist die gute Nachricht - hatten sich in der deutschen Defensive keine neuerlichen Katastrophen zugetragen.

So genügten Löw die mageren Erkenntnisse, um sich vorerst auf eine defensive Formation für den ersten EM-Auftritt gegen Portugal festzulegen. In der ihm eigenen Unverbindlichkeit vermied Löw zwar jegliche verbindliche Zusage; er wolle Anfang der Woche entscheiden, vielleicht sogar erst am kommenden Freitag, einen Tag vor dem EM-Auftakt gegen Portugal. Die Zeichen verdichten sich jedoch: Die deutsche Viererkette dürften in acht Tagen Jérôme Boateng, Holger Badstuber, Per Mertesacker und Philipp Lahm bilden.

Drei Bayern-Spieler sind das, dazu Mertesacker vom FC Arsenal aus London, die Kandidaten von Meister Borussia Dortmund sind beim Abwehrcasting vorerst durchgefallen. "Die Organisation war besser, aber es gibt noch was zu tun", erklärte Löw mit Blick auf die verwirrende 3:5-Testspielniederlage gegen die Schweiz vom vergangenen Wochenende. Wohlgemerkt gegen einen Gegner, der offensiv etwas zu bieten hatte.

Boateng, Badstuber, Mertesacker, Lahm - der deutsche Bundestrainer ist sicherlich schon einmal sorgenfreier in ein großes Turnier gestartet. Zu zwei gesetzten, weil sich in guter bis sehr guter Form befindenden Spielern (Badstuber, Lahm) gesellen sich zwei Akteure, die eigentlich nur dabei sind, weil es auf ihrer jeweiligen Position derzeit keine besseren gibt: Boateng, der als Außenverteidiger aushelfen soll, obwohl er sich prinzipiell als Innenverteidiger sieht. Und Mertesacker, der in der Rückrunde in der englischen Premier League vor lauter Verletzungen kaum ein Spiel bestritt. Und trotzdem den in der Nationalelf oft fehlerbehafteten Mats Hummels hinter sich ließ.

Boateng zeigte gegen die Israelis immerhin, dass ihm als Rechtsverteidiger recht ordentliches offensives Potential innewohnt. Das Zusammenspiel mit Thomas Müller, seinem Kompagnon auf der rechten Seite, klappte gut - und das, obwohl beide daheim beim FC Bayern eigentlich kaum Gelegenheit hatten, diese Variante im Spielbetrieb zu üben. Mal sicherte Boateng hinten ab, wenn Müller dribbelte. Mal überlief Boateng seinen Kollegen, flankte beherzt, zog einmal sogar nach Innen und setzte seinen Schuss mit dem linken Fuß an den linken Pfosten des israelischen Gehäuses.

Harmlose Israelis

Wie sattelfest Boateng defensiv derzeit ist, ließ sich am Donnerstagabend kaum beurteilen. Nicht ein einziges Mal kamen die Israelis gefährlich über Boatengs Seite, sein Gegenspieler Maor Melikson war selbst viel mehr mit defensiven Aufgaben beschäftigt, als Akzente nach vorne setzen zu können. Gegen Portugal wird Boatengs Widerpart nicht Melikson, sondern Cristiano Ronaldo heißen. Ein Grund zur Sorge? Zumindest der Bundestrainer verneint. Er wisse ja, was Boateng defensiv in der Lage sei zu leisten, sagt er. Auch wenn er dies gegen Israel mangels Gegenwehr nicht zeigen konnte.

Vertraut Löw auf Boateng, entscheidet er sich automatisch gegen eine andere Variante: Dass Philipp Lahm zumindest für das Portugal-Spiel auf die rechte Seite wechselt, weil er in der Vergangenheit gegen Ronaldo mehrfach gut aussah. Lahm kehrte gegen Israel nach links zurück, weil keiner der anderen Kandidaten auf dieser Position in der Vorbereitung überzeugen konnte. Somit ist der kleine Münchner die große Schiebemasse in Löws Defensivverbund. Die Entscheidung des Bundestrainers ist mehr eine gegen Marcel Schmelzer auf Links - als eine bedingungslose pro Jérôme Boateng auf Rechts.

Das größte Comeback der kurzen Vorbereitung lieferte indes Per Mertesacker. Lange war er in England ausgefallen, im Test gegen die Schweiz verblüffte er mit Wacklern, Stellungsfehlern und Patzern, die man vom ruhigen Norddeutschen sonst eigentlich nicht kennt. "Für Per war es entscheidend, nochmal ein Spiel zu machen", sagte Bundestrainer Löw. "Die zwei Partien waren ungemein wichtig für mich", gab auch Mertesacker zu.

Er braucht bis zum Portugal-Spiel noch einmal einen Leistungssprung, der mindestens so groß ist, wie der zwischen den Partien gegen die Schweiz und Israel. "Wir wurden heute nicht so gefordert", erklärte Mertesacker zurecht, "bei der Euro wird das ganz anders sein."

Davon ist auszugehen, schließlich heißen die Gegenspieler im ersten EM-Spiel nicht mehr Itay Shechter, Eran Zahavi oder Maor Melikson - sondern Ricardo Quaresma, Nani und Cristiano Ronaldo. Ganz zu schweigen vom Duell mit den Niederlanden, wenn Robin van Persie, Klass-Jan Huntelaar und Arjen Robben die deutsche Viererkette vor Aufgaben stellen werden.

Für Löw ist das kein schlechtes Omen, schließlich sagt er: "Das Spiel gegen Portugal wird in einem ganz anderen Tempo ablaufen. Es wird für uns auch mehr Räume geben, weil Portugal klasse nach vorne spielt." Spielt die deutsche Offensive mit Esprit und Tempo nach vorne, hat die Abwehr entsprechend weniger zu tun. Klingt ganz nach einem Motto, dass bei dieser Europameisterschaft noch wichtig werden könnte.

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