Deutsche Bewerbung:Masterplan Asien

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Mit Hilfe der Regierung warb Franz Beckenbauer gezielt um vier Stimmen in der Fifa-Exekutive. Das dürfte Deutschland den Zuschlag gebracht haben.

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo und Klaus Ott, Berlin/München

9. Juni 1999. Noch ein gutes Jahr bis zur Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Frank Beckenbauer, Präsident des deutschen WM- Bewerbungskomitees, und sein Vertrauter Fedor Radmann sind ins Kanzleramt gekommen, um sich für die bisherige Unterstützung der Bundesregierung zu bedanken - und um weitere Hilfe zu bitten. Beckenbauer stuft die eigenen Chancen als "ganz gut" ein, aber die Konkurrenz dürfe "nicht unterschätzt werden", warnt er. Wichtig sei, dass Marokko seine Bewerbung nicht zurückziehe, weil es sonst für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) "eng" werden und Südafrika siegen könnte. Diverse Planspiele werden entwickelt.

Nachzulesen ist das in einem Vermerk, den ein Ministerialrat damals über das Gespräch Beckenbauers und Radmanns mit dem seinerzeitigen Chef des Bundeskanzleramtes, Bodo Hombach, angefertigt hat. Die Süddeutsche Zeitung konnte die Notiz und weitere Unterlagen jetzt einsehen.

Nach den ersten Formalitäten und Höflichkeiten waren die beiden Besucher gleich auf ein "Problem" zu sprechen gekommen: die "Berichterstattung einiger Presseorgane". In Klammern hatte der Ministerialrat aufgeschrieben, wer den Besuchern die meisten Sorgen machte: Spiegel, Stern, SZ. Das Problem sei, dass sich diese Blätter immer wieder kritisch mit dem Fifa-Präsidenten Joseph S. Blatter beschäftigten. Da in Zürich, wo die Fifa ihren Sitz hat, "jede Zeile gelesen wird, sind solche Artikel hinderlich für die DFB-Bewerbung".

Beckenbauer und Radmann hielten es für sinnvoll, dass Kanzler Gerhard Schröder mit dem Fifa-Präsidenten rede. So rasch wie möglich solle ein Termin vereinbart werden. Auch die Möglichkeit, Blatter und die übrigen 23 Mitglieder des Fifa- Exekutivkomitees zu einem "Termin mit öffentlicher Wirksamkeit einzuladen", war dem Vermerk zufolge erörtert worden. Eine Mitgliederliste der Fifa-Exekutive wurde der Notiz beigefügt. Ein Jahr später, am 6. Juli 2000, vergab das Gremium mit 12:11 Stimmen - bei einer Enthaltung - die WM 2006 an Deutschland. Vorausgegangen war eine intensive Lobbyarbeit, über die der Vermerk vom 9. Juni 1999 nachträglich viel Aufschluss gibt.

Das eigentliche Anliegen von Beckenbauer und Radmann bei dem Besuch im Kanzleramt waren die vier asiatischen Vertreter in der Fifa-Exekutive gewesen. "Die Herren Beckenbauer und Radmann unterstrichen, dass die Beziehungen zu Katar und Saudi Arabien sehr wichtig seien (von dort kommen zwei Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees)". Darunter steht der rätselhafte Satz: "Es wird Einfluss genommen auf die Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees von Südkorea und Thailand."

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(Foto: dpa)

Kanzler, Kaiser & Co.: Gerhard Schröder und Franz Beckenbauer kämpften für die WM 2006 - beim Confed-Cup,...

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(Foto: phalanx)

...auf Flügen in ferne Länder...

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(Foto: Reuters)

...oder bei Fifa-Chef Blatter.

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(Foto: imago)

Auch Fedor Radmann (links) und Wolfgang Niersbach (rechts) halfen, die WM nach Deutschland zu holen.

Kein Wort über die afrikanischen Delegierten, die Wahlmänner aus Nord-, Süd- oder Mittelamerika und die Vertreter Ozeaniens. Das Gespräch drehte sich, neben all dem Getue um Blatter, um die Stimmen der vier asiatischen Delegierten. Es wurden, so kann man den Vermerk verstehen, Katar und Saudi-Arabien schon früh als mögliche potenzielle Verbündete gesehen. Außerdem noch Südkorea und Thailand. Aus heutiger Sicht ist der Vermerk so etwas wie ein übergeordneter, weitreichender Plan: der Masterplan Asien.

Wer am Ende dafür gesorgt hat, dass Deutschland gegen Südafrika gewann, kann niemand mit Gewissheit sagen. Auch Beckenbauer weiß es angeblich nicht. Die Wahl war geheim. Manches spricht dafür, dass Deutschland die Stimmen der acht Europäer und der vier Asiaten in der Fifa-Exekutive bekam. Die vier afrikanischen Delegierten stimmten sicherlich für Südafrika. Die drei Nord- oder Mittelamerikaner vermutlich auch - und in unterrichteten Kreisen nimmt man an, dass auch die drei Südamerikaner für Südafrika waren. Der Ozeanien-Vertreter Charles Dempsey - der als Unterstützer Deutschlands galt, aus der Heimat aber den Auftrag mitbekommen hatte, Südafrika zu wählen - hatte die Versammlung bekanntlich vor dem entscheidenden Wahlgang verlassen.

Eine absolute Sensation war es nicht, dass Deutschland siegte. Stunden vor der Abstimmung hatten Online-Dienste die Wahlaussichten der Kandidaten noch einmal beleuchtet, und die "Tendenz" der vier Wahlmänner aus Asien wurde meist mit "Deutschland" angegeben. Doch infolge der aktuellen DFB- und WM-Affäre rund um die Verschiebung von 6,7 Millionen Euro gibt es manche Spekulation, wie das mit den vier Asiaten gewesen sein soll.

Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger behauptet, der ehemalige Nationalspieler Günter Netzer, der die WM- Bewerbung unterstützte, habe ihm vor Jahren gesagt, mit den ominösen 6,7 Millionen Euro "haben wir die vier Asiaten bezahlt". Netzer dementiert das entschieden.

Aber deutlich wird aus alten Vermerken des Kanzleramtes, wie sehr Schröder und seine Regierung Beckenbauer geholfen haben. Die Golf-Staaten spielten bei all den Planspielen eine große Rolle. Katar stelle in Mohamed Bin Hammam ein Mitglied im Fifa-Exekutivkomitee, steht in einem der Dokumente aus dem Jahr 1999 über ein Treffen Schröders mit dem Emir von Katar in Berlin. Bin Hammam spielte eine Schlüsselrolle in der Fifa. "Für D wichtige Stimme, da bislang nicht festgelegt", notierte das Kanzleramt. Und der Emir sei "fußballbegeistert und hat großen Einfluss auf die Stimmabgabe Katars". Schröder solle den Emir bitten, die deutsche Bewerbung zu unterstützen: "Wir wissen um das Gewicht seiner Stimme im nationalen und internationalen Fußball." Dem Vermerk zufolge hielt die Bundesregierung eine "weitere Vertiefung" der Beziehungen zu Katar für "wünschenswert" und wollte den Emir ermutigen, seinen Kurs "der Liberalisierung konsequent fortzusetzen".

Was man nicht alles so sagt, wenn man eine WM haben will. Beckenbauer war beim Besuch des Emirs in Berlin einer der Gäste gewesen, und auch sonst öffneten Schröder und die deutschen Diplomaten ihm alle Türen. Das galt sogar für den G-8-Gipfel im Sommer 1999 in Köln. Auch da führten Beckenbauer und sein Vertrauter Radmann viele Gespräche. Radmann berichtete der Bundesregierung hinterher, bei diesem Termin sei für die deutsche WM-Bewerbung "viel erreicht worden".

Die Bundesregierung hat viel Lobbyarbeit geleistet, aber es blieb offenbar nicht nur bei Worten, insbesondere nicht in Asien. Deutsche Konzerne kündigten vor der Vergabe der WM 2006 große Geschäfte mit Thailand und Südkorea an; jenen beiden Ländern also, deren Fifa-Vertreter laut dem Kanzleramts-Vermerk gezielt beeinflusst werden sollten. Der Bundessicherheitsrat, der innerhalb der Bundesregierung über Waffenexporte entscheidet, genehmigte wenige Tage vor dem WM-Zuschlag für Deutschland die Lieferung von 1200 Panzerfäusten an Saudi-Arabien.

War das alles nur Zufall oder eher Landschaftspflege? Der aus der Flick-Affäre stammende Begriff meint in diesem Zusammenhang nicht, dass mit Geld geschmiert wird. Aber dass politisch und wirtschaftlich gezielt nachgeholfen wird.

Trotz aller Bemühungen um die WM war man im Kanzleramt bis zuletzt unsicher gewesen, ob Deutschland den Zuschlag bekomme. Sicherheitshalber wurden für Schröder zwei Sprechzettel vorbereitet. Im Falle einer Niederlage solle der Regierungschef eine "gewisse Enttäuschung" eingestehen. Dieser Sprechzettel war dann aber nur noch für die Akten gut.

Schröder konnte die andere Rede halten und sich beim DFB für die "einwandfreie Bewerbung" bedanken. Das Lob kam umgehend zurück. Beckenbauer und Radmann dankten Schröder für die "außergewöhnliche Unterstützung".

© SZ vom 27.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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